1 - Menschenopfer
Dem Gotte bin ich selbstlos hingegeben,
man zog mich als sein Menschenopfer auf,
erklärte meinen Zweck mir im Verlauf
der Kindheit schon: Ein dargebrachtes Leben.
Des Gottes Segen soll ich ihnen bringen,
indem ich auf mich nehme, was mir frommt,
auf dass der Freudentag, wenn er denn kommt,
mich willig sieht zu würdigem Gelingen.
Nun ist er da! Ich stehe vor dem Tempel,
in Weiß gewandet wie ein Opferlamm,
um mich herum die Eltern und der Stamm -
ein wahrhaft unterwürfiges Exempel.
Ich beuge mich dem Ebenbild des Wahren
und fühle kaum den Kuss der Priesterschneide
an meinem Halse reiben wie Geschmeide,
der meine Weg beendet vor den Jahren.
Mein heißes Blut verlässt die junge Hülle,
das wilde Herz pumpt meinen Körper leer,
und ich verblasse ohne Gegenwehr
für meines Volkes Ernteglück und Fülle.
2 - Frauenbeschneidung
Ich liege vor dem Frauenzelt im Sande,
geschmückt und freudig zugetan dem Fest,
das endlich mich zum Weibe werden lässt,
war ich doch bisher nur ein Kind am Rande.
Die Frauen halten mich, damit ich bleibe,
wo man mich haben muss, damit ich blute,
denn nur im Opfer finde ich das Gute,
das sonst nicht ist in einem niedern Weibe.
Die Klinge schneidet jäh in meinem Schoße,
entfernt die Lust, damit ich meinem Mann
allein gehorsam und ihm treu sein kann,
so will es unser Gott, der wahrlich Große.
3 – Fußdeformation
Die wahre Schönheit liegt in Trippelschritten
von winzigen und kurzen Frauenfüßen,
die Männern unsern Anblick so versüßen,
dass sie beinahe um Erlösung bitten.
Und wie schon ihre Mutter es verstanden,
so schnürt auch meine Mutter mich zurecht
zur edlen Zierde früh für mein Geschlecht,
und keine Tränen, die mir Gnade fanden.
So kann ich heute vielleicht kaum noch laufen,
doch bin ich tapfer eine wahre Braut,
und jeder Mann, der meine Füße schaut,
will mich für sich und seine Zukunft kaufen.
4 – Eunuchentum
Teil I
Ich war gerade elf geworden heuer,
da ließ der Sultan neue Knaben suchen,
zu dienen ihm als eifrige Eunuchen.
Mein Väterchen verkaufte mich ihm teuer.
Schon Tage später lag ich unter Blicken,
betäubt von Kräutern, eisern festgehalten
und schrie die Täter an bei ihrem Walten,
mich in entmannte Sklaverei zu schicken.
Noch viele andre wurden dort geschnitten,
und manche starben auch in ihrer Pein.
Man zuckte nur: 'Es hat nicht sollen sein.'
die Achseln und erhörte doch kein Bitten.
Teil II
Man nannte göttlich meine Knabenstimme
und wollte sie erhalten für die Welt,
und sprach, da so ein Wohlgesang gefällt,
dass Gottgefälligkeit mein Los bestimme.
Nun singe ich Sopran auf hohen Bühnen,
geehrt und angehimmelt, aber tot,
und folge täglich singend dem Gebot,
die Gottesgabe dieserart zu sühnen.