Traumwandeln I
Am Ufer stehend sah ich übers Wasser,
das schwarz und ölig unter Wolken stand,
die dräuend wogten, wo ein Wind sie fand,
und meine Züge wurden merklich blasser.
Ein Boot erschien wie von Magie gezogen
und legte zwischen kargen Gräsern an.
Darinnen stand ein schwarz verhüllter Mann,
den Stab gleich einem Sensenschaft gebogen.
Er hielt mir stumm die blasse Hand entgegen,
als wäre meine Fahrt beschlossne Sache.
Ich zwickte mich und rief mir zu: Erwache!
Ich lebe noch, und meine Träume legen
mir die Gedanken nah, die ich mir mache,
erkenne ich der Bilder Trost und Segen.
Traumwandeln II
Ein dichter Wald umsäumte meines Pfades
verwachsne Ränder wie ein dunkles Omen.
Ich schritt durch Blätterhallen wie in Domen
und Schatten aus dem kalten Maul des Hades.
Die Luft war frostig, und es roch nach Erde
gleichwie nach Schicksal, das dem Wandrer dräute,
der jeden Schritt durch diesen Hag bereute,
erhoffend, dass es nicht noch schlimmer werde.
Was mochte hinter jenen Stämmen lauern?
Was gluckste in der Quelle unter Farnen?
Erschlagen von des stillen Waldes Mauern
aus schwarzem Holz ergab ich mich dem Schrecken
und ließ mich reuelos von ihm erwecken.
Ein Traum, gewiss, doch wollte er mich warnen?
Traumwandeln III
Ich irrte durch den Marmor fremder Gruften,
die dicht an dicht und höher mich umstanden,
als Blicke reichten. Ihre Reihen wanden
sich immer weiter fort. Ein Blütenduften
hing in der Sommerluft des Nachmittages,
so gar nicht spukhaft oder finster dräuend,
Versöhnliches mit all den Toden scheuend,
die mich umgaben, und ich dachte: Wag es!
Genieße diesen Ort und die Geschichten,
die er dem durch ihn Wandelnden erzählt,
und finde Schwere unter den Gewichten,
die er dem allzu leichten Sinn verleiht.
Du bist nicht der, der deine Wege wählt
in diesem Garten aus erlöstem Leid.
Traumwandeln IV
Ich wiederholte eine Endlosschleife
derselben Handlung, wie darin gefangen,
da nicht gewillt, ans Ende zu gelangen,
wenn es nicht gut war wie des Weines Reife.
Ich gärte lange über dem Versagen,
das mich ins Dauern dieser Szene bannte,
denn ich stand still, egal wie schnell ich rannte,
und wollte doch mich nicht ins Wache tragen.
Und als ich schweißgebadet doch erwachte,
verwünschte ich den Zustand, denn ich wollte
im Traum die Lösung finden, die mich segnet.
So ist der Fluch, den ich mir selbst erdachte,
das Unerreichte, dem mein Ehrgeiz grollte,
der wütend seiner Nemesis begegnet.
Traumwandeln V
Ich stand an eines Abgrunds schmaler Klippe
und war bereit, zu springen und zu fliegen,
im Traume alle Schwerkraft zu besiegen
wie auch den Tod mit seiner krummen Hippe.
Doch im Moment, der kein Zurück erlaubte,
erkannte ich mit Schrecken mein Versagen,
zuviel selbst hier in einem Traum zu wagen,
was mir mit einem Schlag den Atem raubte!
Ich würde stürzen, keines Fluges mächtig,
und schreiend, zappelnd endlos weiter fallen,
den Aufschlag fürchtend, der mich nie erlöste.
Ich ruderte zurück, doch niederträchtig
sog mich der nackte Abgrund ein mit allen
Befürchtungen, die er in mir entblößte.
Traumwandeln VI
Ich stand in einer Menge von Gesichtern
mit nackter Abscheu in diffusen Mienen,
die alle nur auf mich gerichtet schienen,
als wären sie die Urteile von Richtern.
Und alle zeigten mich mit Fingern nieder
wie Läufe von Pistolen, durchgeladen,
um in Verachtung meine Angst zu baden,
mit jedem ihrer Blicke, immer wieder.
Ich lernte nie die Sünde, die sie kannten,
die keiner Gnade mich für würdig hielten,
wo sie mich kalt in ihre Mitte bannten,
aus der kein Weg in die Erlösung führte.
Ich war die Scheibe nur, auf die man zielte:
Der Paria, der kein Gefühl berührte.
Traumwandeln VII
Ich war umgeben ganz von Buchregalen,
so hoch, dass sie im Dunkel sich verloren,
sich endlos weiterspinnend in Emporen,
die sich der Neugier meines Geists empfahlen.
Doch menschenleer war dieser Hort des Wissens,
die Schritte echoten in stillen Hallen,
als wären ganz sie aus der Welt gefallen
und nicht mehr Teil des menschlichen Gewissens.
Ich irrte endlos durch die düstren Gänge
und fragte mich, wo all die Seelen waren,
die hier zu lesen fänden von perfekten Welten,
die wir erbauen könnten, wenn's gelänge,
das Wissen hier für alle zu bewahren,
bis ihre Träume diesen Ort erhellten.
Traumwandeln VIII
Ich stand allein in einer nackten Wüste,
und neben mir ein marmornes Gesicht
von irgendeinem einst bekannten Wicht
als ernste und dem Sein entrückte Büste.
Ich dachte mir, dass ich wohl wissen müsste,
wer dieses Mienenspiel erfüllter Pflicht
gewesen war, doch wusste ich es nicht,
und keiner mehr, der es zu sagen wüsste.
Vergänglich ist der Ruhm all unsrer Taten,
Vergessen holt uns ein, was wir auch wagen.
Die Ewigkeiten, die wir uns erbaten,
belügen uns mit blinden Illusionen.
Egal, womit wir uns ins Leben tragen -
wir können nur die Gegenwart bewohnen.
Traumwandeln IX
Von weit sah ich die Liebe meines Lebens,
von der ich nicht mal wusste, wie sie hieß,
verschwinden, weil ich sie verschwinden ließ,
so ungewohnt des Nehmens oder Gebens,
darin sich andere so leicht gefallen,
dass ich nicht halten konnte, was mich zog,
und lieber mich mit Eigensinn belog,
dass ich mich gänzlich unterschied von allen.
Dem Mut zur Liebe hieß ich mich entsagen.
Wer nichts besitzt, der hat nichts zu verlieren.
Ich ließ ich ganz in die Gewissheit tragen,
Vertrauen sei für andere gemacht.
So ließ ich meine Seele hinter Schlieren
aus Tränen nur verschwinden in die Nacht.
Traumwandeln X
Ich stand entblößt am Pranger vor den Blicken
all jener, deren Achtung wichtig war,
ganz hilflos und entmächtigt offenbar,
und eine Stimme schien sich anzuschicken,
die Schale allen Zornes zu entleeren
auf mich, der ich zutiefst verachtet stand,
entrechtet von den Mienen, die ich fand,
als wollten sie mit Kälte mich verheeren.
Die Stimme keifte, wurde nimmer müde,
mich hinzustellen als den letzten Dreck,
so selbstgerecht und selbstgefällig prüde,
als hätte sie ein Recht, mich so zu richten
mit ihren Mitteln und zu ihrem Zweck,
und dürfte mich vor allen so vernichten.
Traumwandeln XI
Ein Freund, auf den ich meine Stärke baute,
da meiner Seele so vertraut verwandt
und mir seit Kindertagen wohlbekannt,
verriet mich, als ich mich ihm anvertraute.
Er lieferte mich aus mit einem Lachen,
das mir erklärte, was ich für ihn war.
Bis dahin war die Welt mir wunderbar,
doch konnte er sie mir zur Hölle machen.
Ich hasste glühend heiß, doch so vergeblich -
er lebte einfach weiter, ungehindert!
So sanft zu sein, ist unter Sanften löblich,
doch würgte mich die Wut in meinem Herzen,
und würde mich für alle Tage mindern,
die mir noch blieben unter Seelenschmerzen.
Traumwandeln XII
Der Träume elf entstellten meine Nächte,
versehrten mich mit ihrer Zungen Feuer.
Sie wuchsen in mir an wie Ungeheuer,
und nichts, was meiner Seele Frieden brächte.
War ich der Sünder und der Selbstgerechte,
der dies verdiente, an der Welt gescheitert?
Was hatte jenes Eiterloch erweitert,
das Träume in mich spie wie alles Schlechte?
Die Zeit verging, ließ endlich Gnade walten,
und alle Bilder, die mich so verletzen,
begannen zu verblassen, zu erkalten,
und ich verging zugleich mit ihr im Wachen
der Tage, die mein krummes Sein zersetzen,
bis keine Träume mich mehr traurig machen.