Autor Thema: Hallo Hein!  (Gelesen 1735 mal)

Erich Kykal

Hallo Hein!
« am: Oktober 07, 2023, 16:38:35 »
Auf, Gevatter, lass den letzten Tag mir werden,
der mich hier empfängt, am Rand der Dinge,
deren Aufenthalt ich immer noch besinge,
so als wäre schöner nichts auf Erden.

Auf, Gevatter, lass mich an Versprechen brechen,
was mir Hoffnung abzuringen wusste,
bis der Morgen, der mir endlich werden musste,
alle bricht, die von Vergebung sprechen.

Du, Gevatter, den ich täglich niederringe,
überwältigst mich am Ende mühelos,
und beschreibst mir einer Sense Gnadenstoß
wie der Liebe Kuss durch deine Klinge.
« Letzte Änderung: August 03, 2024, 22:03:01 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Hallo Hein!
« Antwort #1 am: Oktober 08, 2023, 15:53:09 »
Lieber Erich,

vertraulichen Umgang hat das LI am letzten Tag mit seinem Gegenspieler Tod, der ihn nach manchem Widerstands doch niederstreckt. Hier ist es für den vom Kampf Ermüdeten sogar eine Gnade, ja, eine Lust (Kuss), die Sense zu fühlen.

Sehr schön geschrieben. Vielen Dank.

LG gummibaum


(Ich habe mich oft über das fehlende z am Namen gewundert und gefragt, ob nicht "Gevatter" auch mal müde war und sich mit der Sense verletzte).   

Erich Kykal

Re: Hallo Hein!
« Antwort #2 am: Oktober 08, 2023, 22:13:48 »
Hi Gum!

Ich denke, es ist eine Kurzform von 'Heinrich', das war früher zusammen mit dem 'Gevatter' eine gebräuchliche Umschreibung für den Teufel. Ein ähnlicher Begriff, wahrscheinlich eine spätere Verballhornung von 'Hein', ist 'Henn', noch zu finden in Namen wie 'Hennebichler', was sich in ewa mit 'Bewohner des Teufelshühels' übersetzen lässt. (Bühel oder Bühl = Hügel oder kleiner Berg)

Danke für deine lobenden Worte! Ich schreibe mittlerweile eher selten noch Gedichte, meist, um in Ünung zu bleiben, oder um meine wenigen verbliebenen Leser nicht zu enttäuschen. So nah am Tod wie das LyrIch bin ich zum Glück (noch) nicht, aber wer weiß? in unserem Alter kann jederzeit etwas daherkommen  - oder eher NOCH MEHR ...  ;) >:D ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Hallo Hein!
« Antwort #3 am: Oktober 08, 2023, 23:08:58 »
Danke für die Erklärung, lieber Erich.

LG g

Sufnus

Re: Hallo Hein!
« Antwort #4 am: November 09, 2023, 12:24:09 »
Hey eKy!
*aus der Versenkung aufauch :)*
Schönes Gedicht - inhaltlich hat es Gum ja schon wunderbar kommentiert - daher komm ich noch mit formalem Nachklapp. Die äußere Form ist nämlich hier interessant, weil Du einen typischen Contrerime darbietest, will heißen, die durch Reimendungen verklammerten Zeilen haben eine abweichende Anzahl an Hebungen und die Zeilen mit gleicher Anzahl an Hebungen haben unterschiedliche Endreime. Oder kürzer: umarmendes Reimschema (ABBA) und bei gekreuztem Hebungsschema (6565) - eben ein: Contrerime.
Spannende Form, weil hier der übliche gleichmäßige Singsangfluss metrisch gebundener Reimgedichte deutlich aufgeraut wird, was um so stärker spürbar ist, je kürzer die Zeilen sind, insofern ist das in Deinem Fall ein gemäßigter Conrerime, weil die Zeilen eben nicht gar so kurz sind. Bei z.B. abwechselnd 3 und 4 Hebungen ist ein Contrerime schon ein recht kantiges Ding. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Hallo Hein!
« Antwort #5 am: November 09, 2023, 21:00:37 »
Hi Suf!

Warst nicht du es dereinst, der mich überhaupt erst auf diesen Trichter gebracht hat? Ich glaube mich erinnern zu können ...  ;)

Ja, diese Technik generiert eine gewisse Stimmung von 'Suspense', ein Gefühl der Verunsicherung und Entwurzelung beim Leser, meist ohne dass er sagen könnte, woher das rührt.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Hallo Hein!
« Antwort #6 am: November 11, 2023, 18:31:01 »
Hey eKy!
Also ganz ursprünglich ist das Querreim (Konterreim, Contrerime)-Thema glaube ich von Thomas auf dem Eiland aufgebracht worden. Wir haben es hier aber auch schon diskutiert - da kanntest Du diese Form aber bereits, glaube ich, insofern bin ich nicht der primäre Trichterbringer. :)
Es hat mich aber wirklich sehr gefreut, diese schöne Form mal wieder zur Lektüre gebracht zu sehen und übrigens finde ich, dass Du es irgendwie durch subtile, samtpfotige Tricks geschafft hast, die metrische Verscherung beinahe unhörbar zu machen. Du bist eben der Meister des harmonischen Klangflusses. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Hallo Hein!
« Antwort #7 am: November 11, 2023, 19:05:20 »
Hi Suf!

Das letzte Kompliment freut mich ganz besonders. Es hat mich schon als Knabe fasziniert, wie elegant, weich und samtig bei Rilke oder auch in Goethe's Faust die an sich so harte Muttersprache zu fließen vermag, wenn man die richtigen Phrasierungen und Wörter wählt.
Dem nachzueifern war mir dazumals ein unbewustes, später ein bewusstes Streben.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.