Autor Thema: Märzwinter  (Gelesen 735 mal)

gummibaum

Märzwinter
« am: M?RZ 07, 2023, 20:25:38 »
Der Alte spürte Frühling im Gemüte   
und küsste erste Blumen vor dem Haus.   
Die Knospen dehnten sich voll Wonne aus     
und öffneten vertrauensvoll die Blüte.

Die Bienen summten, ließen sich betören,
die Stempel gaben sich dem Kitzeln hin.
Da kam dem Alten plötzlich in den Sinn,
ihr Liebesspiel aus Neid durch Schock zu stören.

Er griff den Wolkensack und ließ es schneien, 
warf Hagel auf die Paare, nackt und bloß,
und grinste, denn ihm war, als ging ein Schreien     
 
und Sterben um. Das fand der Kerl famos. -
Doch kam der Lenz herbei, sie zu befreien,
und gab dem Alten seinen Gnadenstoß… 
« Letzte Änderung: M?RZ 12, 2023, 17:16:35 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Märzwinter
« Antwort #1 am: M?RZ 08, 2023, 16:10:14 »
Hi Gum!

Tolles Sonett!

Famos spielst du hier mit den 'Alten' als Sinnbild des Winters. Es liegt nahe, die Jahreszeiten mit Jugend, Zenit, Reife und Alter gleichzusetzen: Der Frühling, der ins Jahr aufbricht, der Sommer, der im Lichte seiner Lebenskraft glüht, der Herbst als Erntender dessen, was das Leben gelehrt und geschenkt hat, und der Winter als die Phase des Rückzugs aus der Welt, der ein Leben beschließt.

Hier hat ein solcher Alter seine zeit überdauert und spuckt dem Nachfolger hämisch in die Suppe, indem er beschädigt, was dieser in Gang setzte. Mir ist nicht ganz klar, warum die in der vorletzten Zeile den Lenz 'echt' nennst, so als hätte der alte Opponent sich als solcher ausgegeben - was im Text allerdings nie der Fall war. Es gab nie einen 'falschen' Lenz, darum erscheint mir die Bezugnahme auf den 'echten' eher verwirrend. Mir gefiele es eher so:

'Doch kam der Lenz herbei, sie zu befreien,'

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Märzwinter
« Antwort #2 am: M?RZ 09, 2023, 11:51:34 »
Vielen Dank, lieber Erich,

für deine freundlichen Worte und den guten Vorschlag, den ich gleich umgesetzt habe.

Dir einen schönen Tag.

g

Sufnus

Re: Märzwinter
« Antwort #3 am: M?RZ 09, 2023, 17:02:44 »
Hi gum!
Ja, das ist ein wirklich famoses Sonett! Bei Deinen Gedichten gibt es ja immer diese ganz Gum-typische Verbindung von Formsicherheit und Leichtigkeit, eine Leichtigkeit, die sich wohl zum Teil aus der vollkommenen Beherrschung der formalen Mittel ergibt, die zum Teil aber einer humorgrundierten Tiefenschicht entspringt.
eKys Deutung, eine Übertragung der Jahreszeiten auf die menschlichen Alters- oder Entwicklungsstufen, erscheint mir sehr nachvollziehbar und dementsprechend die Interpretation des krisenhaften Wintereinbruchs im Frühjahr als eine Art  transgenerationaler Konflikt. Jetzt bin ich ja etwas zwiespältig gegenüber den klassischen Übertragungen von Naturbildern auf die menschliche Existenz, ein Ansatz der in der bürgerlichen Lyrik der zweiten Hälfte des 19. Jh. durchaus zur Standardpoetologie gehörte.
Vielleicht deshalb lese ich aus Deinen Zeilen, lieber gum, auch noch weitere Nuancen heraus: So ist "der Alte" in den Oktetten für mich noch keineswegs als Jahreszeit erkennbar (hier wird ja schließlich auch dem Frühjahr das Wort geredet, kaum eine Jahreszeit, die durch einen "Alten" personifiziert würde). Vielmehr denke ich hier an Gott, der ja oft als alter Mann auftritt (im Märchen meist als gutmütiger, in naiven Bibelderungen von Szenen des alten Testaments als gestrenger Alter). Bei Dir wäre er nun weder gutmütig noch streng (aber gerecht), sondern eher erratisch in seinem Handeln, womöglich eine Demenz? Diese Idee von Alter = Herrgott wird in den Terzetten dann vorsichtig aufgelöst, am Ende ist es dann doch der Winter, der vom Lenz vertrieben wird. Man kann an Goethe denken: "Der alte Winter in seiner Schwäche, zog sich in rauhe Berge zurück.". Dennoch bleibt so ein letztes Quentchen Ungewissheit zurück, diese gum-typische ins hintergründige (gerne auch mal ins Absurde) spielende Mehrbödigkeit.
Ich mag das sehr! :)
LG!
S.

gummibaum

Re: Märzwinter
« Antwort #4 am: M?RZ 12, 2023, 17:35:27 »
Lieber Sufnus,

vielen Dank für deine ausführliche Beschäftigung mit dem Gedicht und das Lob.
 
Der Kalender sagt den Tod des Winters auf den 21. März voraus, so dass er inzwischen sehr alt sein muss. Obwohl es ja letztens schon wärmere Tage gab, die Frühlingsgefühle des Alten verrieten, kam er dann wieder mit Schnee, als könne er sich nicht losreißen und wolle sich an allem, was in der Wärme schon Freude und Befriedigung fand, angesichts des eigenen unausweichlichen Schicksals rächen. So ticken die Alten jedenfalls mitunter. 

LG g