Autor Thema: Die da oben  (Gelesen 949 mal)

Erich Kykal

Die da oben
« am: Oktober 26, 2022, 12:09:00 »
Wir plagen uns in kleinen Reigen,
tagtäglich mühend uns um Gunst,
wenn wir einander alles zeigen,
was uns Erfüllung ist und Kunst.

Wir lassen gern den großen Macher,
da oben machen, der verspricht,
dass unsere die letzten Lacher
für immer sind, und andrer nicht.

Schon ist man jäh von Macht umzingelt,
und sah es doch mit Anlauf kommen,
hat die Gelegenheit vertingelt,
der eignen Menschenpflicht zu frommen.

Warum nur will man nie erkennen:
Er wird sich selbst und uns betrügen,
sich bald in Größenwahn verrennen
und weiter alle Welt belügen!

So kostet wieder Menschenleben
die eigne Trägheit zum Beschluss,
dass aus dem Schauspiel, das wir geben,
die Menschheit endlich lernen muss.
« Letzte Änderung: Oktober 27, 2022, 18:48:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Die da oben
« Antwort #1 am: Oktober 26, 2022, 15:38:09 »
Hi eKy!
Ein schönes und nachdenkliches Stück Gedankenlyrik!
Nach der ersten Strophe dachte ich, es ginge um eine Binnenkritik am hiesigen Dichten auf der entvölkerten Wiese (im "kleinen Reigen"). Dann weitet sich der philosophische Blick aber doch in die Betrachtung des Menschentums in der großen weiten Welt. :)
Dabei sind die zwei letzten Zeilen der zweiten Strophe in Wortreihenfolge und grammatischer Beziehung ziemlich komplex gebaut und für einen Durchschnittsleser wahrscheinlich schon leicht überfordernd - ich bin mir dabei nicht mal sicher, ob nicht das "unsere" eigentlich parallel zu dem Genitiv von "andrer" geführt werden müsste, da hier m. E. das "und" von "und andrer nicht" eine Kasusangleichung fordert... auf alle Fälle ist das syntaktisch schon höheres Kino ;)
Und in der vierten Strophe bin ich tatsächlich nicht mehr ganz durchgestiegen, worauf sich das "sie" von "sie nur betrügen" bezieht und wie es im Verhältnis zu dem "IHRE" steht (warum ist das groß geschrieben?). Offenbar ist das "sie" in diesem Nebensatz das Subjekt (im Plural): Sie betrügen IHRE Pflicht. Bezieht sich dann das IHRE auf dieses "Sie" in diesem Satz = "Sie betrügen IHRE (eigene) Pflicht" oder bezieht es sich zurück auf die Menschenpflicht in der Strophe vorne dran (was dann allerdings ein ziemlich weiter und etwas uneindeutiger Bezug ist). Hier bräuchte ich etwas Lesehilfe... ;)
Wunderbar dann aber die letzte Strophe, die gehobene Sprache und einen der Menschheitslage angemessenen Ernst doch mit einer leicht melancholischen Verschmitztheit verbindet. :)
LG!
S.

 

Erich Kykal

Re: Die da oben
« Antwort #2 am: Oktober 26, 2022, 21:57:30 »
Hi Suf!

Das "sie" in S4 bezieht sich auf die "Macher" aus S2, auf "die da oben", wie schon der Titel spezifiziert. Habe ich den Bogen zu weit gespannt?

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Die da oben
« Antwort #3 am: Oktober 27, 2022, 15:20:18 »
Hi Suf!

Das "sie" in S4 bezieht sich auf die "Macher" aus S2, auf "die da oben", wie schon der Titel spezifiziert. Habe ich den Bogen zu weit gespannt?

LG, eKy

Hi eKy!
Ah... also für mich persönlich ist da der Bogen tatsächlich etwas zu raumgreifend gestaltet. Aber das ist jetzt erstmal nur meine Einzelmeinung. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Die da oben
« Antwort #4 am: Oktober 27, 2022, 18:51:53 »
Hi Suf!

Ich habe die betreffende Str. in Z2 noch leicht verändert, zumindest den Plural eliminiert, sodass man das 'Er' jetzt leichter mit dem 'Macher' in S2 in Verbindung bringen kann - hoffe ich zumindest.

LG, eKy
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Sufnus

Re: Die da oben
« Antwort #5 am: Oktober 31, 2022, 16:20:04 »
Hi eKy!
Das hilft ein bisschen, aber der Bezugsbogen ist immer noch sehr weit gespannt. Einfacher wäre es ja, wenn S3 und S4 vertausch wären. Meines Erachtens würde das nicht nur das Bezugsproblem etwas weiter entschärfen, es wäre auch im Gesamtduktus gar nicht so schlecht, weil dann auf das Konstatieren der "vertingelten" Gelegenheit (alte S3, neue S4) die Conclusio der S5 folgt. Eine andere Variante wäre natürlich auch S2 und S3 zu vertauschen, auch das rückt den Macher (alte S2, neue S3) näher an das "er" in S4. Dabei ist für mich die Gedankenführung zwar nicht ganz so organisch wie bei meinem ersten Vorschlag, ein formaler Vorteil wäre aber, dass die Kadenzenwechsel dann regelhaft sind, was derzeit noch nicht realisiert ist. Aktuell: S1, S2 und S5 männlich und weiblich im Wechsel und S3 und S4 nur weibliche Kadenzen. Beim Vertauschen von S2 und S3 sind alle ungeraden Strophen männlich/weiblich im Wechsel und die geraden Strophen durchgängig weiblich.
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Die da oben
« Antwort #6 am: Oktober 31, 2022, 22:38:06 »
Hi Suf!

Erst muss der 'Macher' erwähnt und etabliert sein, ehe man sich von (seiner) Macht umzingelt fühlen kann. Von daher erscheint mir ein einfacher Austausch der Strophen nicht stimmig.

Auf das Kadenzenmuster habe ich her beim Schreiben ehrlich gesagt gar nicht geachtet. Asche auf mein blankes Haupt ...

LG, eKy
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