Hi Erich, hi Sufnus,
das Gedicht ist entstanden, weil es mir sehr wichtig ist, den Freiheitskampf der Frauen im Iran auch von hier aus zu unterstützen. Es ist vor allem für den mündlichen Vortrag gedacht. Die von dir, lieber Erich, beanstandeten umgangssprachlichen Stellen, die beim Schriftlichen unschön auffallen ("Fraun", "wurde's", "wolln"), wirken im Redefluss stimmig.
Ja, ich mag diese Kinderreime, die schlicht sind und sich einprägen, und wenn Kinder bei den Lesungen dabei sind, wird auch meistens gelacht.
Ich habe das Gedicht am Samstag zum ersten Mal öffentlich vorgetragen. An der Stelle, an der es um die Verhüllung geht, habe ich mir ein großes Tuch um den Kopf gebunden und am Schluss diesen symbolischen Hijab runtergerissen und eine Haarsträhne abgeschnitten, wofür es Applaus und ein persönliches Dankeschön von einer jungen Iranerin gab, deren Mutter früher auch andauernd von der Sittenpolizei belästigt wurde. Doch wie eine Künstlerin in einer Kultursendung sagte, haben sich die mutigen iranischen Frauen in den vergangenen 42 Jahren der Unterdrückung durch die Fundamentalisten stets widersetzt, im Privaten, an den Universitäten und auf der Straße, mal leise, mal laut und heute unüberhörbar und, wie wir alle hoffen, unbesiegbar.
„Löwinnenmut“ - der willkürliche Wechsel in den Daktylus mutet eigenartig an, doch sind wechselnde Versmaße in der Lyrik nicht ungewöhnlich. Etwaiges Holpern lässt sich im mündlichen Vortrag leicht überspielen, weil es am Schluss laut und pathetisch wird. Er ist für mich die passende Metapher. Alles andere erschiene mir zu schwach. Sie spielt auf den geflügelten persischen Löwen an, den Mantikor, den „Menschenfresser“. Im Mittelalter wurde dieses Fabelwesen zum Symbol der Tyrannei, der Unterdrückung und zur Verkörperung des Bösen.
Löwen leben in Rudeln. Die Männchen sind sehr stark, aber die Weibchen sind in der Überzahl. Während die Löwinnen normalerweise ihr Leben lang beim Rudel bleiben, wechseln die Löwen nach ein paar Jahren, meist unfreiwillig, das Revier. Das Revier wird von Männchen und Weibchen gemeinsam verteidigt. Mit „Löwinnenmut“ – viele junge Löwen sind auch dabei - wird es dem iranischen wohl gelingen, den tyrannischen Mantikor in die Wüste zu schicken. Dann könnten die Vielen, die im Exil ein Nomadendasein fristen, in den Iran zurückkehren, und es könnte endlich Frieden herrschen, am besten, wie ich denke, in einem säkularen Staat.
Danke, lieber Sufnus, für das sehr schöne Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff, das ich noch nicht kannte. Mein Dichterfreund Hel hatte vorgeschlagen, für das gebändigte Haar auch das Wort „geschneckt“ zu verwenden. Nachdem ich nun „Am Turm“ gelesen habe, finde ich es wichtig, die Schneckchen des Biedermeier zu erwähnen. Ein tiefgründiges Gedicht mit wunderbaren Metaphern, das, wie man sieht, noch nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.
Dass Droste das Bild vom Turm gewählt hat, ist vielleicht nicht zufällig. Ich könnte mir vorstellen, dass sie auf Rapunzel anspielt, die mit ihren langen Haaren im Turm gefangen gehalten wird. Die Wurzeln dieses Märchens sind in der Antike zu finden, u.a. im babylonischen Etana-Mythos, in dem der König Etana der Göttin Ishtar das magische Gebärkraut (später: Rapunzel) entreißt. Dieses Kraut förderte oder unterbrach die Schwangerschaft. Es steht symbolisch für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, die seit Beginn des Patriarchats unterdrückt wurde. In unserem Kulturraum wurde die Göttin dann zur bösen Hexe im Märchen degradiert.
Das Haar galt im Altertum als Sitz der Seele. Langem Haar wurde Zauberkraft zugesprochen. Beim Flechten eines Zopfes wird abwechselnd der linke und rechte Strang jeweils zwischen die beiden anderen gelegt. Dieses Prinzip versinnbildlicht gegenseitige Fürsorge, aber auch völlige Gleichberechtigung in der Muttersippe. Die drei Stränge stehen für die Tochter, die Mutter und die Großmutter. In seiner Abfolge bis zum unterem Ende steht der Zopf für die Unendlichkeit der Generationen von Müttern. Daher ist er im Märchen von Rapunzel auch ungewöhnlich lang. (Quelle: Gabriele Uhlmann, Rapunzel)
Liebe Grüße
Jenny