Hi gum!
Ich schließe mich eKys Lob vollumfänglich an, nicht jedoch seinen Korrekturvorschlägen, weil sie Deinen Zeilen eine Sinn-Eindeutigkeit einschreiben, die für mein Liking gar sehr auf Kosten der Komplexität und Selbstreflexivität gingen (mir gefallen die beiden von eKys eingeführten Stichworte!
).
Der "Trick" der Zeilen ist gerade, dass die Grenzen zwischen dem Ich und dem Du auch auf der sprachlich-logischen Ebene durchlässig werden: Das "Du" wird vom "Ich" erschaffen, erweist sich dann aber nicht als das antizipierte "Du" sondern als ein "Abgrund", der sich in sich selbst verschlingt (Z. 3/4). Man kann hier an das Symbol des Ouroboros denken, dieses schlangen- oder drachenartigen Fabelwesens, das sich selbst auffrisst.
Mit dem Bild des "Abgrundes" ist das lyrische Du aber viel entstofflichter zu denken, denn ein Abgrund ist ja ein Fehlen von sicherem Grund und Boden, ein Mangelzustand, was den in Z. 1 beschriebenen Schöpfungsvorgang in eine Paradoxie verwandelt, denn wie soll man ein Fehlen erschaffen?
Übersprungen habe ich bei diesen Überlegungen noch die wunderbare zweite Zeile, die eine interessante Doppeldeutigkeit des Bezugs enthält: Bezieht sich diese "um... zu-Konstruktion" auf das lyrische Du (... dich erschaffe, um ... zu sein) oder auf das lyrische Ich (Ich... erschaffe, um... zu sein). Die zweitgenannte Variante wirft weniger logische Probleme auf, ist aber die uninteressante. Die erstgenannte Variante ist logisch fordernder, weil dann das Du erschaffen würde, um sich selbst ein Licht zu sein... ein Gedankenkonstrukt, welches wieder zu einer Art Logik-Schlage führt, die sich in den eigenen Schwanz beißt oder meinethalben zu dem Bild des Baron v. Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Morast zieht (und sein Pferd noch gleich mit).
Das Vexierspiel um das besungene "Du" und das dichtende "Ich" lässt sich in der zweiten Strophe weiter verfolgen. Hier schwebt das lyrische Ich um das besungene Du, wobei es dann im Inneren (des "Ich"? des "Du"?) einen Stern findet, also ein Objekt, das astrophysikalisch gesprochen, eine ausreichende Masse besitzt, um einen hinreichend effizienten Fusionsprozess zu "zünden" und somit soviel Photonen freisetzt, dass es "selber leuchtet". Es geht also nicht, wie eKy das verstanden hat, um "Erleuchtung" im hermeneutischen Sinne, sondern um Autarkie. Nebenbei bemerkt, ist es diese Eigenschaft, nämlich sich selbst zu genügen, sich aus sich heraus zu ernähren, welche die alten Mystiker mit dem Bild des Ouroboros ausdrücken wollten.
So ist mystisch wohl auch der passende Begriff für diese schönen Zeilen, die in der Form an ein Gebet erinnern und durchaus einige Anklänge an die geheimnisvoll-paradoxen Epigramme des Angelus Silesius liefern, der ja auch ein großer Freund "astronomischer" Bilder mit sehr verschwommener Grenze von Schöpfer und Schöpfung war: "Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht. Wer es nicht selber wird, der sieht Ihn ewig nicht."
Fasziniert gelesen!
S.