Autor Thema: Jaspers Fläschchen  (Gelesen 942 mal)

hans beislschmidt

Jaspers Fläschchen
« am: Januar 10, 2022, 12:29:38 »
Jaspers Fläschchen

Sein Gift war jahrelang Begleiter
und wachte treu im Schlafgemach.
In Todesträumen Wegbereiter
und Retter gegen Lagerschmach.

Wie könnte jemals er vergeben,
wo er Trude doch nur schützte,
als Gebieter ihrer beider Leben,
ein Freitod nicht mal Jünger nützte.

Wie könnten später die Offerten
und Anerkennung, die ersehnt,
ein Grauen posthum noch bewerten?
Verdienstkreuz dankend abgelehnt.
« Letzte Änderung: Januar 10, 2022, 12:31:51 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Sufnus

Re: Jaspers Fläschchen
« Antwort #1 am: Januar 17, 2022, 13:55:59 »
Hi Hans!

Dein Text wählt einen sehr gelungenen Zugang zur Bigotterie der Adenauer-Ära nach dem Motto "Schwamm drüber", wobei Karl Jaspers durchaus eine mehrdeutige Position in der Zeitgeschichte einnimmt, zu Beginn der Nazi-Zeit keineswegs der eindeutige Gegner des neuen Regimes war.

Gerade das macht Deinen Text aber auch spannend (und fordert dem Leser einiges an Hintergrundwissen ab). Dass zwischen Jaspers und den Jünger-Brüdern schroffe Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten findbar sind, weiß ich - dennoch ist mir die Anspielung auf Jünger (welcher von den beiden ist gemeint? Ernst?) nicht klar geworden - und - in aller Unbescheidenheit - dann dürfte sie auch sonst kaum ein Schwein verstehen... ;)

Was hier aber schon stört, ist das sprachliche Hingestruddel... der Jaspers ist ein würdiger, alter Herr aus einer Epoche als "Bildungsbürger" kein Schimpfwort war. Da hätte er schon etwas mehr Hingabe und Mühe um den Text verdient.

Hier also ein Versuch, die Fugenmaße etwas nachzubearbeiten, damit der Text nicht wie ein klappriges Schülernotat daherkommt. Dabei sind natürlich im Sinne Deiner Poetik Irregularitäten bewusst eingearbeitet worden (metrische Verkürzung in Z4 und Zerstörung des Metrums in Z. 8 ).


Jaspers Fläschchen

Das Gift war jahrelang Begleiter,
bewachte seinen Schlaf, gab Halt:
In Todesträumen Wegbereiter
und Retter vor Gewalt.

Nach "Tausend Jahren": Kein Vergeben!
Mit Trude im Verbrecherlande,
grenzsituiert, zwei Menschenleben,
Frei-Tod? Nur Hohn und Schande!
 
Wie konnte er trotz Nachkriegsehren
und Anerkennung (halb ersehnt)
dem Grauen je den Rücken kehren:
Verdienstkreuz? Dankend abgelehnt.


... LG!

S.
« Letzte Änderung: Januar 17, 2022, 21:11:39 von Sufnus »

hans beislschmidt

Re: Jaspers Fläschchen
« Antwort #2 am: Januar 18, 2022, 08:53:18 »
Lieber Sufnus,
Gefällt mir auch ganz sehr gut deine Bearbeitung und Sicht der Dinge.

Ich habe mich gefragt ....
wie eine Liebe gedeihen kann, wenn man jahrelang in Todesangst leben muss?
Wie stark muss die Solidarität zum Partner ausgeprägt sein?
Wie stark ist eine gewisse Grundhaltung innerhalb eines Volkes, die auch nach dem Krieg nicht einfach verschwindet?

Hintergrund für dieses Gedicht war ein Essay, welches ich mal gelesen habe. Die Beziehung zu Heidegger oder Ernst Jünger stand gar nicht im Vordergrund. Mehr die Entscheidung die Schmeicheleien der BRD zu durchschauen und abzulehnen.

Über das Verhältnis zu Heidegger könnte man auch ein eigenes Gedicht machen.
Über seinen Existenzialismus, der sich stark von dem kompromislosen Sartre unterscheidet, habe ich das Gedicht "Jaspers Planke" gemacht. Das habe ich auch der Wiesen-Autorin Agneta gewidmet, mit der ich jetzt in einem anderen Forum schreibe.

Freut mich, dass du dich nach längerer Pause wieder zurückgemeldet hast.

Gruß vom Hans


Zitat
  V1 2
Er verlor seine Ämter an der Universität und durfte nicht mehr publizieren. Er und seine jüdische Frau Gertrud (Trude) mussten um ihr Leben fürchten und entgingen nur knapp der Deportation in ein KZ. Für diesen Fall hatten sie bereits den gemeinsamen Selbstmord geplant. In einem Essay habe ich gelesen, dass die beiden sich jeden Abend versprochen haben das Zyankali auf dem Nachttisch zu schlucken, falls die Nazis sie abholen würden. Ich finde es bedeutsam, wie eine Liebe unter solch widrigen Umständen wie Ausgangssperre und Todesangst überhaupt gedeihen und überleben konnte.
V3
Nach dem Krieg könnte er sich nicht damit abfinden, dass Nazis wieder in Amt und Würden (MP Filbinger) gehievt wurden und hat die schweizer Staatsbürgerschaft angenommen.
Sein heftig diskutiertes Buch „Die Schuldfrage“ machte ihn zu einem Intellektuellen und philosophischen Störenfried, vor allem als er die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes abgelehnt hat. Mir gefallen solchen "Typen", die sich nicht ducken und die sich nicht kaufen lassen.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)