Autor Thema: Der Wohlstandbürger und Fremdenhasser (Vierhebiges Doppelsonett)  (Gelesen 557 mal)

Erich Kykal

Der Wohlstandsbürger und Fremdenhasser
(oder: Das Erbe von Kolonialismus und Kapitalismus)


Eifergeile Glaubenswächter,
Diener dienender Systeme,
Menschen-, Kinder-, Seelenschlächter.
Und daneben: Der Bequeme,

dessen schweigende Enthaltung
diesen Wahnsinn möglich machte,
dessen eiternde Entfaltung
anderswo Entrechtung brachte.

Doch was schert es ihn, so lange
er sich hinter stummen Mauern
sicher fühlt und um nichts bange,

was ihm sein Ererbtes bietet -
er will satt sein, überdauern,
ganz egal, von wem er mietet.


Und die Zinsen seiner Schulden,
Fliehende mit ihren Kindern,
will er nicht im Lande dulden,
wo sie seinen Luxus mindern,

seine Ignoranz gefährden
durch ihr Elend vor der Türe,
und mit wütenden Gebärden
und entufernder Allüre

macht er sie zum zweiten Male
zu den Opfern seiner Schande.
Weiter dreht sich die Spirale,

bis die Dämme endlich brechen
und der letzten Demut Bande -
und aus Abkehr wird Verbrechen.
« Letzte Änderung: Dezember 29, 2021, 11:28:03 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Wohlstandbürger und Fremdenhasser (Vierhebiges Doppelsonett)
« Antwort #1 am: Januar 02, 2022, 12:35:32 »
Lieber Erich,

eine erfrischende Abrechnung mit den vielen, die in Sicherheit und relativem Reichtum leben und sich von denen abwenden, die in anderen Weltregionen zu ihren Gunsten ausgebeutet und durch Gewalt bedroht werden.

Aber gehören wir nicht auch dazu?

Sehr gern gelesen.
Grüße von gummibaum

 

Erich Kykal

Re: Der Wohlstandbürger und Fremdenhasser (Vierhebiges Doppelsonett)
« Antwort #2 am: Januar 03, 2022, 00:48:12 »
Hi Gum!

Ja und nein.

Ja, weil wir genauso Nutznieser des Wohlstands und des zivilisatorischen Vorsprungs sind, den Europa seit der Kolonialzeit auf dem Rücken von drei Vierteln der restlichen, bis heute weitteilig ausgebeuteten, benachteiligten Weltbevölkerung genießt - und das ist ein Fakt! Um das nachzurechnen zu wollen, muss man kein Kommunist sein!

Nein, weil wir uns zumindest dessen bewusst sind und etwas tun, und sei es nur, ab und an solche Gedichte zu schreiben oder dem Farbigen, der vor dem Supermarkt friert und die Hand aufhält, einmal wöchentlich einen Geldschein in die Hand zu drücken, und zwar ohne Ekel vor der Berührung seiner dunklen Haut.

Natürlich haben wir keine Schuld daran, nur weil wir im Land der Behüteten leben, und nur aus moralischen Erwägungen all das aufzugeben, bloß weil man nicht "Teil der Ungerechtigkeit" sein will, halte ich für einen verstiegenen Anspruch unausgeglichener Existenzen, die sich daran hochziehen, Weltgewissen zu spielen, warum auch immer, und sich keine Gedanken über die möglichen Konsequenzen machen.
Wir machen uns auch nicht mitschuldig, nur weil wir gut verdienen - wir arbeiten ja auch dafür. Man muss kein Heiliger werden und sich Asche aufs Haupt streuen, bloß weil man zufällig in der "guten" Ecke der Welt geboren wurde. Was alles falsch läuft auf der Erde, haben andere verbrochen. Wer einfach nur leben will, begeht kein Unrecht.

Dreiviertel vom Rest der Welt sehen das allerdings anders und wollen endlich auch ein Stück vom immer kleiner werdenden Kuchen - das unausweichliche Ergebnis: Migration, und damit: Druck, Ausgrenzung, Vorurteil, Ausbeutung, Gewalt, bewusstes Ignorieren von Unrecht, usw ... - die Negativspirale endet schlimmstenfalls bei Genozid oder dem Ende aller Zivilisation.

Wir haben, weltgeschichtlich betrachtet, grundsätzlich 2 Möglichkeiten: Abschotten und so lang wie möglich den Luxus eines sicheren Lebens mit guter medizinischer Versorgung genießen, bis alles irgendwann wegen Ressourcenmangel ohnehin zusammenbricht - oder allen Wohlstand "gerecht" in der Welt zu verteilen und so selbst künftig auf vieles davon zu verzichten, und das, ohne vielleicht je ein Dankeschön dafür zu hören.
Abgesehen davon, dass dafür wirklich alle am selben Strang ziehen müssten - ich kann mir nicht vorstellen, dass sich letztere Variante je einer tragfähigen Mehrheit erfreut!

Auch ich habe keine Lust, mir wegen irgendwelcher Vorfahren, die dachten, dass ihnen die Erde gehört, das Büßergewand überzuziehen und mich selbst zu geißeln und zu kasteien. Für die ausbeuterischen Methoden der Weltwirtschaft bin ich auch nicht direkt verantwortlich. Dennoch bin ich bereit, ein Mögliches dafür zu tun, damit die Welt ein besserer Ort wird. Dazu gehört, sich klar gegen Fremdenhass, Rassismus, Wohlstandshybris, Angstabschottung usw. auszusprechen.

LG, eKy

« Letzte Änderung: Januar 03, 2022, 00:50:19 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.