Autor Thema: Raubtierkapitalismus  (Gelesen 669 mal)

Erich Kykal

Raubtierkapitalismus
« am: Dezember 11, 2021, 10:44:09 »
Wir leben alle im Waswärewenn,

getrieben von den Wünschen, die wir hegen,
den Zukunftsbildern, die wir nah uns legen,
der Hinterlassenschaften ungewahr,
die uns entfallen auf vermüllten Wegen,
so lange wir uns nur wie manisch regen:
Dem Dreck voraus bleibt alles wunderbar!

Wir leben alle im Dagehtnochwas,

verloren in den Oberflächlichkeiten,
die unsre ganze Sicht der Welt bestreiten,
als stünden wir wie über allen Dingen,
und dürften ewig wie auf Wolken gleiten,
auf Illusionen, die wir willig reiten,
als könnte so allein ein Sein gelingen!

Wir leben alle im Daskostetnichts,

und wir vertagen dauernd alle Schulden,
als könnte endlos sich die Welt gedulden,
aus der wir immer neue Märchen schnitzen,
als wäre alles außer uns ganz unerheblich,
wenn immer lauter sie und doch vergeblich
uns mahnen will, dass wir sie nicht besitzen.
« Letzte Änderung: Oktober 11, 2022, 10:35:30 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Raubtierkapitalismus
« Antwort #1 am: Dezember 11, 2021, 11:48:59 »
Hallo Erich,

wunderbar, dass du Gedichte mit Aphorismen verbindest.

Ja, wem gehört die Erde? Das ist eine wichtige Frage. Hat man Geld und Macht, kommt einem das Leben vor, als sei es ein Märchen. Wen interessiert, dass Rentner Flaschen sammeln oder an Tafeln stehen? Ein Leben lang gearbeitet - für was?

"Dem Dreck voraus bleibt alles wunderbar" Der beste Satz des Gedichts.

Man könnte ergänzen: Und nach mir die Sintflut.

Einen schönen Tag

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Raubtierkapitalismus
« Antwort #2 am: Dezember 11, 2021, 20:25:59 »
Hi Rocco!

Vielen Dank für deinen freundlichen Zuspruch, aber bewirken wird so eine lyrische Belehrung natürlich nichts, wie wir wissen. Dennoch - man fühlt sich selbst ein wenig besser, wenn man weiß, dass man hinterher sagen könnte: Ich hab's euch ja schon lang gesagt!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Raubtierkapitalismus
« Antwort #3 am: Dezember 16, 2021, 20:26:21 »
Klasse, lieber Erich,

die Charakterisierung der verschwenderischen Lebensweise, die sich nicht nur sorglos fortsetzt, sondern - trotz der Vorboten der Selbstzerstörung -  noch steigert. "Raubtierkapitalismus" ist etwas, das sich kaum zähmen lässt.

Schön auch die Wortagglutination, die Parolen kennzeichnet und das Reimschema, das im Wechsel die Aussagen zusammendrängt und die Zusammenhänge entspannt.


Sehr gern und mit Genuss gelesen.
Liebe Grüße von gummibaum




 
« Letzte Änderung: Dezember 16, 2021, 20:28:54 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Raubtierkapitalismus
« Antwort #4 am: Dezember 17, 2021, 17:18:13 »
Hi Gum!

Vielen Dank für die Akklamation!  :)

Missbrauch und Ausbeutung von Menschen gilt uns als verpönt - aber wenn wir genau das mit den Reserven unserer Grundlagen machen, reagieren wir doch extrem träge und unwillig, wohlbewusst der Tatsache, dass ein tatsächliches Umdenken uns eines Großteils unseres liebgewonnenen Lebensluxus berauben würde!  ::)

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.