Autor Thema: Werft ihn zu Poden  (Gelesen 1676 mal)

hans beislschmidt

Werft ihn zu Poden
« am: August 05, 2021, 12:37:36 »
Werft ihn zu Poden

Wir tauschen Gott gegen Schrott,
wenn verstrahlte Jakobiner,
die rechte Hand am Schafott,
uns schlachten wie die Hühner.

So gebt ihnen die Knüppel,
haltet Handschellen parat,
bergreift die staatlichen Mittel
als ultimatives Format.

Den Widerporst am Poden,
als armselige Tat,
genießt eure Methoden!
Hurra, es lebe der Staat.
« Letzte Änderung: August 05, 2021, 12:39:15 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #1 am: August 05, 2021, 17:21:12 »
Hi Hans!

Unsterbliche Worte von Monty Python's: " Werft den Purschen zu Poden!" (Nicht zu vergessen Schwanzus Longus und seine Gattin Inkontinentia!)  ;D ;D ;D

Du meinst es staatskritisch, weil sich irgendwer mal wieder irgendwie irgendwo ungerecht behandelt sah - und natürlich sind darob alle Staatsorgane böse, korrupt, verworfen, dämlich oder psychopathisch: Nieder mit dem ganzen Pack! Zum Teufel mit der Demokratie! - So in etwa der Grundtenor, oder?

Jaja, ich weiß: Natürlich möchtest du die Demokratie nicht abschaffen, bloß Missstände kritisieren! Wie kann man das so falsch interpretieren!? - Nun, man kann. Und viele Holzköpfe, die deine Texte lesen, werden das auch tun, egal, was deine eigentliche Intention als Autor gewesen sein mag. Du nennst ja keinen exakten Anlass - und genau das ist die Crux daran.

Aber das habe ich dir schon zur Genüge erklärt. Schön langsam denke ich: Entweder du nimmst das nicht ernst, oder du möchtest die Demokratie tatsächlich loswerden. Lyrisches Bashing zum dran Aufputschen - wie Trump mit seiner Brandrede vor dem Sturm aufs Kapitol. Ich glaube, der hat die Wirkung seiner Worte auch entweder sträflich unterschätzt - oder er wollte wirklich eine landesweite Rebellion, arrogant und dämlich wie er ist.

Klarer wären deine Worte, wenn ersichtlich wäre, gegen wen sie sich richten: Als Kritik an Orbans oder Erdogans Unterdrückungsregierungen oder andere quasitotalitäre Systeme würde ich ihnen höchst erfreut beipflichten und dir gratulieren.
Da du das aber leider nicht näher definierst, bleibt dem Leser nur zu vermuten, dass es sich - als deutsches Gedicht - auch gegen die deutschen Staatsdiener, und somit die Staatsform richtet, die sie bezahlt und ausrüstet. Und da halte ich solche rein allgemein gehaltenen Negativgedichte, die mit keiner Silbe den Anlass für all den Zorn erwähnen, für reine Untergrabung der bestehenden Ordnung - und die heißt bei uns eben Demokratie - egal wie man dazu steht, und aus welchem Grund man sich ungerecht behandelt fühlt.

Das ist einfach nur destruktiv und leistet umstürzlerischen Kräften Vorschub. Aber auch das habe ich dir schon oft genug erklärt.

Zum Formalen:

Wir tauschen Gott gegen Schrott,
wenn verstrahlte Jakobiner,
die rechte Hand am Schafott,
uns schlachten wie die Hühner.

xXxXxxX
XxXxXxX
xXxXxxX
xXxXxXx

Z2 beginnt betont, oder falls nicht: Senkungsprall gleich zu Beginn.
Zumindest bei zwei Zeilen schaffst du den gleichen Takt, bloß dass die dank Senkungsprall auch aus dem Rahmen fallen ...


So gebt ihnen die Knüppel,
haltet Handschellen parat,
bergreift die staatlichen Mittel
als ultimatives Format.

xXxxxXx
XxXxxxX
xXxXxxXx
xXxxXxxX

Z2: exakt wie in S1.
Ja, so kenn ich dich: So wütend, dass du keine zwei metrisch gleichen Zeilen schaffst! Da wo in Z1 und 2 große Xe sein sollten, mögen die verwendeten Wörter das nicht auf den betreffenden Silben.
Der Rest ist gestopft voll mit Senkungsprallen, aber leider ohne klaren Rhythmus.

Den Widerporst am Poden,
als armselige Tat,
genießt eure Methoden!
Hurra, es lebe der Staat.

xXxXxXx
xXxxxX
xXxxxXx
xXxXxxX

Fast: Z2 und drei, da hättest du es diesmal beinahe geschafft, dass sie gleich sind! Blöde Kadenzen aber auch! Allerdings beide wieder mit dem bereits erwähnten Problem aus S2: Die verwendeten Begriffe mögen die anvisierte Betonung so gar nicht! Daher: Dreifachsenkung.

Eine einzige Zeile im ganzen Gedicht hält den Takt, der wahrscheinlich angedacht war: S3Z1


Zum Inhalt kann man sich stellen, wie man will - aber formal, stilistisch, lyrisch betrachtet ist das Werk einfach nur: Grottig. Sorry.
Ich will dich ja nicht um jeden Preis aushebeln oder fertigmachen - aber ich werde mein ehrliches Urteil nicht biegen, nur um sozial verträglicher rüberzukommen.
Wenn du aus meiner Sicht formal bessere Lyrik schreibst, werde ich gern bessere Worte dazu finden, egal wie sehr mir die Aussage des Werkes vielleicht persönlich gegen den Strich geht.


LG, eKy
« Letzte Änderung: August 05, 2021, 17:25:25 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #2 am: August 05, 2021, 18:04:38 »
Moin! :)

Nein, eKy, das ist nicht grottig, da ist hienieden weitaus "Schlechteres" verzapft worden - manches davon in ungebundenem Rhythmus und manches auch in regelhaftem Metrum.

Dein Urteil kann hier nach meinem Verständnis keinen Objektivitätsanspruch erheben und zwar m. E. nicht etwa, weil es einen objektiven Korridor gar nicht gibt - ich glaube der existiert durchaus -, sondern weil Deine Begründung im Hinblick auf das Formale zu eng gefasst ist, um gültig zu sein. Die ersten beiden Strophen von Hans' Gedicht sind ein metrisches Durcheinander, das stimmt schon, aber man kann sie wunderbar melodisch vortragen, ja sie sind geradezu sanglich, aber eben nicht Alle-meine-Entchen-mäßig wie ein klassisches Volkslied sondern synkopiert und ruppig wie ein Protestsong und darum handelt es sich ja auch.

Ganz glücklich bin ich mit dem Gedicht trotzdem nicht. Allerdings nicht aus formalen Gründen, sondern wegen der blöden LoB-Anspielung. Also mal abgesehen davon, dass die Schwanzuslongus-Episode so ziemlich die humorschwächste Szene des Films ist (damit immer noch nicht völlig unlustig - aber eben mehr so Didi-Hallervorden-Humor der schwächeren Art), passt es hier auch überhaupt nicht hin, weil diese platte Blödelebene dem Rest des Textes quasi ins Wort fällt, ja in regelrecht denunziert. Ich denke die Idee von Hans war, hierdurch eine bitter-sarkastische Distanzierung des LyrIchs auszudrücken und sich über das mentale Niewo (sic) der deutschdurchschnittlichen Dummbratzen lustig zu machen, aber das funktioniert so nicht, weil ja die zugehörige Metaebene des Monty Python-Films sich hier über die herrschende Klasse lustig macht und (in dieser Szene) eben nicht über das blöde Volk. Da wäre eher die "wir sind alle Individualisten"-Szene brauchbar gewesen.

Und ein zweiter Webfehler ist die Sache mit Gott und den Jakobinern am Anfang - die deistische Verliebtheit der Jakobiner in den "Kult des höheren Wesens" mit heutigem technokratisch-staatlichem Kontrollwahn zu überkreuzen ist ein schwerer Fall von Gedankenkuddelmuddel. Die Jakobiner waren mindestens so spirituell unterwegs wie das Christenvolk, nur halt mit anderem Schwerpunkt, da lässt sich kaum ein sinnvoller Quervergleich zu heutigen antifreiheitlichen Tendenzen ziehen (höchsten vielleicht ein bisschen mit dem ins esoterische spielenden Linksfaschismus bei einer ganz bestimmten Sorte von Klimaschützern mit Aluhut-Tendenz, aber die sind ja gerade wieder nicht staatstragend unterwegs. Also das klemmt hinten und vorne.

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #3 am: August 05, 2021, 22:43:13 »
Hi Suf!

Dass etwas "weitaus Schlechteres" verzapft wurde, beweist nicht, dass der vorliegende Text NICHT schlecht ist (und "grottig" ist für mich nur ein anderer Ausdruck dafür). Wozu also diese Präambel?

Ich kenne natürlich den Film und wollte Hans nur genau das wissen lassen - über das Ausmaß von Humorqualität unterschiedlicher Szenen wollte ich weder ein Urteil fällen noch eins gefällt wissen.

Nur um das klarzustellen: Mein "Urteil" erhebt grundsätzlich nie irgendeinen Anspruch auf generelle Objektivität. Es ist Ausdruck einer persönlichen Meinung, wie zB es die deine ist, dass der Text trotz aller metrischen Mängel "sanglich" sei, ja nachgerade melodisch vortragbar. Ich denke dies nicht (und ich habe es durchaus ehrlich versucht - keine Chance, es holpert für mich!)- aber so sind eben subjektive Meinungen: Sie weichen voneinander ab. Und das dürfen sie auch - ich nehme es niemandem krumm, wenn er anderer Ansicht ist.
Aber ich werde nun mal nie müde, die meine zu vertreten ...  ;)

zB deinen Terminus "ungebundener Rhythmus" betreffend. Meine Ansicht: Ein Widerspruch in sich. Rhythmus entsteht nun mal aus der taktlichen Gebundenheit in Musik oder Sprache, und das Adjektiv "ungebunden" besagt das Gegenteil. Ist etwas ungebunden, ist es per definitionem KEIN Rhythmus!

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 05, 2021, 22:48:53 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #4 am: August 06, 2021, 10:23:29 »
Lieber Erich, lieber Sufnus,

Vielen Dank für eure ausführlichen Kommentare.
Bei Erich war es keine Überraschung und wie erwartet Staatsdiener-Konformismus. Bei Sufnus sehe ich eine gute Durchdringung der Problematik, nur beim Thema Jakobiner bin ich nicht sicher, ob wir die gleichen Jakobiner meinen???

Da das Thema aktuell so brutal ist, wirft es die Frage auf, ob man es überhaupt belletristisch bearbeiten kann. Da im Augenblick viele Posts in den öffentlichen Portalen Instergram / FB gelöscht und User gesperrt werden, habe ich die plakative Kästnerformel gewählt mit satirischen Monty Anmerkungen. Das verstehen die Admins nicht....hehe. Dass der Senkungsprall dem Opitzschen Lesegenuss stört... sei's drum. Danke für's durchXen.

Was ist passiert und warum schreibe ich das?

Ausgehend von der Demo am 01.08. in Berlin, mit bis dato nicht gekannten Gewaltszenen auf Seiten der Polizei und der frechen Lüge der Öffentlichen, dass die Polizisten angegriffen wurden, ist dieses kleine Werk entstanden. Dass diese Ausschreitungen unzählige Male gefilmt und ins Netz gestellt wurden, hat sogar Nils Melzer von der UN Menschenrechtskommission auf den Plan gerufen mit der Forderung diese Polizeigewalt zu untersuchen. Diese Kenntnis hat mich sehr erbost und aufgebracht und ich habe spontan diese 12 Zeilen getextet.

Wie hat sich diese Welle hochgeschaukelt?

Es gibt in Deutschland gute und böse Demonstrationen. Wenn am 27.07 die Christopher Street Day 6000 in Berlin demonstrieren, ist das eine gute Demo. Wenn Künstler (Nena) 2 Tage später Konzerte wegen Boxenparzellen abbrechen, ist das eine böse Aktion, die mit Shit Storm bestraft wird.
Wenn wiederum zwei Tage später eine Querdenker Demo verboten wird aber trotzdem stattfindet, ist das eine staatsfeindliche Aktion, die wie in Belarus niedergeknüppelt wird.
Die Forderung nach gleichen Rechten für Geimpfte und Ungeimpfte wendet sich gegen den Status der Impf-Apartheit. Der Druck auf Ungeimpfte sich mit einem unbekannten Notzulassungsvakzim impfen zu lassen, verstößt gegen den Nürnberger Kodex. Und nein, es waren keine Nazis auf den Straßen, sondern mehrheitlich ganz normale Bürger, die dem Staat eine Brandsperre aufzeigen wollten, was die vielen Berichte von ehrenamtlichen Ratsmitglieder von Städten und Gemeinden aufzeigen, wie auch Handyfilme. Das Netz vergießt nichts.

Warum ist eine Demo, die sich gegen die Verletzung des Grundgesetzes wendet für den Staat so fatal?

Augenblicklich ist der Gesinnungsterror der politisch Korrekten eine Feinderklärung. Er stellt jeden liberal Denkenden in seiner Existenz in Frage. Für einen guten Europäer gibt es nichts Wertvolleres als die Meinungsfreiheit. Das Recht auf Meinungsfreiheit und Redefreiheit stellt aber gerade die abweichende Meinung, den Dissens, ins Zentrum der Freiheitsidee. Von dieser Einsicht ist die Elite der Berliner Republik unendlich weit entfernt. Abweichende Meinungen werden heute schärfer sanktioniert als abweichendes Verhalten.
Wer den Zorn der anderen fürchtet, schließt sich leicht der Meinung der scheinbaren Mehrheit an, auch wenn er es eigentlich besser weiß. Er bringt sich selbst zum Schweigen, um seinen guten Ruf nicht aufs Spiel zu setzen. Das ist der Ansatzpunkt für eine Dynamik, die Elisabeth Noelle-Neumann „Schweigespirale“ genannt hat.

Gibt es gute und schlechte Polizisten?
Werden nur die Knüppelbullen nach Berlin geschickt?

Das wäre ein eigenes Thema, das ich gesondert diskutieren wollte.

Wer sind die Gesellschaftsfeinde? Welche Phalanxen stehen sich gegenüber?

Seit 2015 stehen sich in Deutschland wegen verschiedenen gesellschaftlichen Branherden  stets zwei Lager gegenüber. Die anfängliche Streitkultur ist einem unversöhnlichen Meinungskrieg gewichen, der keine Zwischentöne mehr duldet.
Auf der einen Seite die Systemtrompeter, Bahnhofsklatscher, Seawatch Schlepper, Teddywerfer, Gendersprecher, Bratwurstimpfer, Kirchenläuter, Denkverweigerer, Muttigutfinder ....
Auf der anderen Seite die Covidioten, Coronaleugner, Aluhutträger, Omamörder,Querdenker, Hater, Schwurbeler, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale.....
Beide Seiten könnte man beliebig lang ausdehen.  Ich sage, dass es keinen Konsens mehr geben wird, dazu sind die Gräben zu tief. Ich schreibe ab und zu ein paar Texte aber im Grunde möchte ich die mir verbleibende Zeit nutzen für die schönen Dinge .... Motorrad fahren, Garten, Kochen, Familie.
Auch wenn wir teilweise unterschiedlicher Meinung waren (wie so oft) danke ich für das Interesse.
Gruß vom Hans

Hier hab ich noch ein paar Quellen angefügt.

UN kündigt Untersuchung an
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/polizeigewalt-in-berlin-un-sonderbeauftragter-kuendigt-intervention-an-li.175271

Die neuen Jakobiner - Focus
https://amp.focus.de/wissen/mensch/philosophie/die-neuen-jakobiner-essay_id_1905105.html

Der Nürnberger Kodex
https://www.google.com/search?q=n%C3%BCrnberger+kodex&oq=n%C3%BCrberge&aqs=chrome.2.69i57j46i10i199i291i433j0i10i433l2.6011j0j7&client=ms-android-samsung&sourceid=chrome-mobile&ie=UTF-8

Die Impf-Apartheit ist nur eine Frage der Zeit
https://www.nzz.ch/international/italien-der-impfpass-wird-fuer-veranstaltungen-obligatorisch-ld.1637104

Nena, Helge Schneider und die Spaltung der Kultur
https://www.achgut.com/artikel/ausgestossene_der_woche_helge_nena_annalena
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #5 am: August 06, 2021, 10:48:07 »
Hi Hans!

"Staatsdiener-Konformismus"?

Nun, mag sein, man wird mit dem Alter angepasster, konservativer, harmoniesüchtiger - aber da missdeutest du meine Intention. Ich bin sehr wohl dafür, Missstände in einem System zu kritisieren und aufzuzeigen - nur über Form und Methode sind wir uns uneins.
Hast du meinen Kommi ausführlich gelesen oder bloß überflogen, weil du eh schon zu wissen glaubst, was ich schreibe?

Viele deiner Texte nehmen leider nicht klar aufs Korn, was zu bekritteln wäre, sondern sind allgemein gehaltene- oder in dieser Weise misszuverstehenede - Rundumschläge auf die Staatsform der Demokratie, und das ist es, was ich bemängele - nicht die Kritik an sich.
So wie du formulierst, lassen sich deine Texte sehr oft als systemuntergrabend deuten und diesbezüglich instrumentalisieren - eben weil sie nicht deutlich die exakten Anlässe für ihre Entstehung umreißen, sondern eben diese vage gehaltenen Pamphlete grundsätzlicher Unzufriedenheit sind, die verallgemeinern und alles in einen Topf werfen: Alles mies, alles korrupt, muss ALLES weg!

Das ist es, wogegen ich mich verwehre, diese rundum destruktive Deutungsmöglichkeit deiner staatskritischen Texte. Würdest du dich auf bestimmte Namen einschießen, ein bestimmtes Amt, bestimmte Gesetze oder Schräglagen - man könnte kaum darin einen Aufruf zur Abschaffung der Demokratie sehen, und gewisse totalitär denkende Elemente könnten das auch nicht - oder zumindest viel schwerer - so auslegen.
Dein Problem ist - und war schon immer, so habe ich zumindest den Eindruck - diese Verallgemeinerung, Pauschalisierung, die deine Texte atmen.

Aber du hörst ja nicht auf meinen diesbezüglichen Rat. Musst du auch nicht. Aber erwarte bitte nicht, dass ich das dann gut finde und dazu schweige.

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 06, 2021, 11:39:02 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #6 am: August 06, 2021, 11:02:19 »
Hallo Hans,

das Impf-Thema ist komplex, es berührt Fragen der Politik, Gesellschaft, Gesinnung, Gesetze, Moral... Ich wüsste nicht, wie ich das alles in einem Gedicht unterbringen könnte. Wenn für das Impf-Thema auf den Nägeln brennt, schreib doch einen Essay dazu. Ich fand deinen Kommentar interessant, das würde sich lohnen, weil sowieso viele Leute darüber diskutieren.

Dass Kommentare, von Zeitungen, gesperrt oder gelöscht werden, ist bekannt. Und fast schon normal. Ob daran Gedichte etwas ändern? Meiner Ansicht nach, hat Literatur keine Macht, die Welt zu verändern. Und ja: man kann immer an das Gute im Menschen appellieren, aber dazu braucht es keine Literatur, dafür gibt es Sonntagspredigten.

Soweit meine Ansicht dazu.

Einen schönen Tag

Rocco

"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #7 am: August 06, 2021, 11:46:14 »
Hi Hans!

Ach, um die Impfpflicht geht es? Oder ist das nur Roccos Deutung?

Genau das meinte ich: Woher soll der Leser wissen, worum es im obigen Text geht? Er könnte vor 40 Jahren in der DDR entstanden sein, im ollen Kaiserreich von Bismarcks Gnaden, im industriellen England des 19. Jhdts, unter Hitler - oder er könnte sich als gegenwärtige weitere Unterminierung der demokratischen Staatsform auslegen lassen, die als durch und durch herrisch, elitär, korrupt und herzlos hingestellt wird.
Der Text erklärt nichts, nimmt keinen exakten Bezug, bietet keinerlei Hinweis, differenziert nicht - er haut nur blindwütig drauf und achtet nicht darauf, was genau er trifft. DAS ist es, was mir gegen den Strich geht!

Wenn du schon schießen willst, mach das erwünschte Ziel deutlich für alle sichtbar und feuere nicht einfach so vor dich hin, ohne zu bemerken, WAS du da eigentlich beschädigst!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 25, 2022, 17:55:20 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #8 am: August 06, 2021, 12:20:53 »
Hallo Leute,

mit dem Gedicht kann ich wenig anfangen, da mir unklar ist, was genau das Ziel der Kritik ist. Ich lese eine Unzufriedenheit mit der Gesellschaft heraus. Da diese Unzufriedenheit nicht mit einzelnen Punkten hadert, sondern den generellen Umgang von Staat und Bürgern meint, glaube ich, das könnte man eher in einem Essay darstellen. Vielleicht auch in einem Gedicht, kann sein.

Erich hat nicht Unrecht, wenn er meint, man könnte die Adressaten der Kritik genauer benennen. Warum sollte das nicht gehen, bzw, warum sollte das dem Gedicht an Schlagkraft nehmen? Gerade wenn man kritisiert, tut Klarheit not.

Zum Thema Klarheit: Ich habe mich auf den Kommentar von Hans gestützt, wo es auch um das Impfen geht. Leider habe ich zu sehr vereinfacht. Hans meint das generelle Verhalten des Bürgers mit dem Staat, bzw. wie wir miteinander diskutieren wollen, also Staat und Demokratie.

Ich hoffe, es gibt jetzt keine Missverständnise mehr.

Einen schönen Tag

Rocco
« Letzte Änderung: August 06, 2021, 13:02:01 von Rocco »
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

hans beislschmidt

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #9 am: August 06, 2021, 15:14:44 »
Lieber Erich, lieber Rocco,
Es ist richtig, dass das Werk weder eine personelle noch eine zeitliche Zuweisung hat und demzufolge die Deutung und Aussage unbestimmt ausfallen muss. Dazu kommt, dass die Metrik holpert.
Aber darum ging es mir auch nicht, ich habe in meinem Kommentar ausführlich geschrieben, dass ich am 01.08 schockiert war wegen der Ausschreitungen in Berlin. Auch die öffentliche Meinung vor und nach dem Tag war einer Art aggresionsgeladen, die beängstigend war. Ein Gedicht muss nicht immer Ross und Reiter nennen und in 5 hebigen Sonetten dem Readers Digest nacheifern. Es genügt mir, wenn es den Leser berührt, egal wie.
Gruß vom Hans
« Letzte Änderung: August 06, 2021, 15:18:47 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Sufnus

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #10 am: August 09, 2021, 20:07:59 »
Hi Hans!
Das rege Echo beweist, dass Du doch zumindest ein gesellschaftlich relevantes Im-Argen-liegen ansprichst... wen Du aber mit den "Jakobinern" gemeint hast (und warum es da zu einem Gegensatz zum Thema "Gott" kommt ("tauschen Gott gegen Schrott") ist mir tatsächlich nicht klar geworden - ich freue mich über Aufklärung! :)

Hi eKy!
Zu Deinen zwei Fragen/Anmerkungen:

Dass etwas "weitaus Schlechteres" verzapft wurde, beweist nicht, dass der vorliegende Text NICHT schlecht ist (und "grottig" ist für mich nur ein anderer Ausdruck dafür). Wozu also diese Präambel?

Es ist aber nunmal so, dass ich geschrieben habe, dass ich den Text NICHT grottig finde und der Gedanke, dass andere Texte auf der Wiese durchaus grottig sind OBWOHL sie metrisch einwandfrei zusammengeleimt wurden, war nur ein Nebenaspekt, der mir aber insofern wichtig ist, als metrisch "sauberes" Schreiben für mich keineswegs ein eigenständiges Qualitätskriterium darstellt. Eher wirkt für mich ein metrisch 1A durchgezogenes Schreiben wie eine Lupe: Qualitäten eines Textes werden durchaus genauso vergrößert wie seine Makel und mancher Makel im Gedankengang oder der Sprachökonomie ist dabei sogar der metrisch "sauberen" Schreibweise geschuldet, wenn zur Angleichung der Heberzahl auf nichtssagende und unnötige Adjektive oder geschraubte Wendungen zurückgegriffen wurde.

zB deinen Terminus "ungebundener Rhythmus" betreffend. Meine Ansicht: Ein Widerspruch in sich. Rhythmus entsteht nun mal aus der taktlichen Gebundenheit in Musik oder Sprache, und das Adjektiv "ungebunden" besagt das Gegenteil. Ist etwas ungebunden, ist es per definitionem KEIN Rhythmus!

Das ist ein gewichtiger Einwand, eKy! Tatsächlich war der Terminus "ungebundener Rhythmus" von mir nicht glücklich gewählt. Was ich damit meine, ist ein Schreiben, dass zwar lockere Strukturelemente besitzt, aber diese auch an einzelnen Stellen durchbricht. In der Musik würde man z. B. von Off-beats reden oder von Rubato oder von einem synkopierten Rhythmus je nachdem wie die "Irregularitäten" gehandhabt werden. Dennoch ist auch ein Musikstück, in welchem mit solcherlei Abweichungen operiert wird, durchaus häufig sehr "rhythmisch" und tanzbar. So sind z. B. gerade die Offbeats beim Swing ein "Trick", der das Gehirn in Tanzstimmung versetzt. Aber natürlich ist auch solche Musik mit lockerer gefügtem Rhythmus noch durch eine minimale Regularität gekennzeichnet (sonst würde man die Abweichung ja gar nicht mehr als solche wahrnehmen). In der letzten Strophe von Hans' Text springt der Text für mich von einem musikalischen Swing eher in einen unrhythmischen Duktus, aber die ersten zwei Strophen "gehen ins Bein". ;)

LG!

S.
« Letzte Änderung: August 10, 2021, 09:49:55 von Sufnus »

hans beislschmidt

Re: Werft ihn zu Poden
« Antwort #11 am: August 16, 2021, 14:56:59 »
Lieber Suf,
Die Jakobiner, als Gefolgsleute von Robespierre, stehen für mich sinnbildlich für Gesinnungsterror bis hin zur Lust am Töten. Auch der Kopf von Robesespierre musste aus eben  diesem Grund rollen und ist umgangssprachlich als << Die Revolution frisst ihre Kinder >> in unseren Sprachgebrauch eingegangen. Dieser Spruch, der auf den Girondisten Pierre Vergniaud zurückgeht und durch Georg Büchner in der Weltliteratur verewigt ist, findet so in ähnlicher Form auch heute statt, wenn auch nicht mit blutig mit Guillotine.

Schauen wir doch auf V 1

Wir tauschen Gott gegen Schrott,
wenn verstrahlte Jakobiner,
die rechte Hand am Schafott,
uns schlachten wie die Hühner.

Drei Reime << ott >> ?? Dem Reim geschuldet oder doch geplant. Für mich steht << Gott >> in diesem Fall für Wertigkeit, Glaube an das Gute, Urvertrauen in die Welt und eine höhere Macht, nicht im monotheistischen Sinn. Die Gegenüberstellung << Schrott >> steht für mich für Werteverfall, Beliebigkeitsformel, alles ist verhandelbar. Das muss nach meiner Folgerung mit Verderben, Niedergang und Dekadenz enden, sinnbildlich
<< Schafott >> also Hinrichtung und Tod, drastisch formuliert. Dass es die <<rechte>> Hand ist, die diese Hinrichtung ausführt, symbolisiert die Bigotterie, die uns glauben machen will, dass dies <<rechtens>> ist. Wir werden also aus diesen Gründen <<geschlachtet>>.

Zugegeben, sehr kompromisslos dargestellt aber die letzten sechs Jahre, festigen in mir die Annahme, dass wir von einer elitären Minderheit im Sinne einer gewinnorienten Oligarchie gesteuert und gelenkt werden. Ohne jetzt die bekannten Verschwörungstheorien zu bemühen, könnte ich das an den Hauptproblemfeldern runterspulen mit Quellenangaben und Literaturhinweisen. Das wäre ein weiter Diskussionsfaden, viel umfangreicher als die Jakobiner. Danke für dein Interesse an diesem Thema.
Gruß vom Hans
« Letzte Änderung: August 16, 2021, 15:00:33 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)