Autor Thema: Wolkengleichnis  (Gelesen 985 mal)

Erich Kykal

Wolkengleichnis
« am: Juli 03, 2021, 10:59:07 »
Ich sehe oft in meinem Fenster Wolken ziehen,
so einzigartig jede wie ein Menschenwesen,
doch sind mir leichter ihre Formen auszulesen,
wo sie getrieben über meinen Himmel fliehen.

Sie wirbeln alle wallend in der Sonne Gleißen,
verwandeln sich und werden um und umgeschlagen,
und wachsen manchmal gar, bevor sie Regen tragen,
um donnernd ihn aus grauen Bäuchen auszukreißen.

Doch meist vergehen sie an ihrem stillen Wandeln,
sind merklich kleiner schon, wenn sie dem Blick entschwinden,
als suchten sie und könnten nur ihr Ende finden:
Wie Menschenwesen auch, wo sie ihr Sein verhandeln.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #1 am: Juli 03, 2021, 20:29:12 »
Lieber Erich,

das Wolkengleichnis gefällt mir wahrlich gut.

Wolken haben so viele Gesichter, und der stete Wandel beeindruckt. Es fasziniert, wie sie sich verdichten, einander begegnen und sich durchdringen, ihr Gesicht verlieren, es abregnen lassen und wie sie zerstieben und sich in nichts auflösen.

Diese Veränderungen durch Wärme, Wind und Beleuchtung werden im Gedicht gekonnt formuliert zum Spiegel derer der Menschen und führen zu anregenden Reflexionen über deren Beweggründe und zur Sinnfrage, die Menschen erregt und bewegt.

Sehr gern gelesen.

Grüße von gummibaum

 
« Letzte Änderung: Juli 03, 2021, 20:32:48 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #2 am: Juli 03, 2021, 21:19:59 »
Hi Gum!

Ich habe schon mindestens zwei andere Wolkengedichte geschrieben, vielleicht auch drei. Wie du richtig sagst: Ein faszinierendes Thema!

Vielen Dank für die profunde inhaltliche Analyse!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #3 am: Juli 05, 2021, 15:46:12 »
Hi eKy!

Gerade ziehen vor meinem Fenster wilde Wolken dahin - ein schöner Hintergrund für Dein ganz wunderbares Gedicht. Ein richtiger Lesegenuss! :) Dass Du den Woken mit dem Fenster einen Rahmen vorgibst (und dadurch ziemlich dezent, das lyrische Ich ins Spiel bringst) gefällt mir ganz besonders gut! Und sprachlich gibts natürlich auch gar nix zu meckern. Wundervoll abegrundete Verse! :)

Ich persönlich hätte es noch etwas lieber gemocht, wenn die etwas überdeutliche Übertragung des Wolkengleichnisses auf ein Menschenschicksal nicht expressis verbis da stünde, sondern das Gedicht bis zum Schluss ganz bei den Wolken bliebe.

So wie Du es schreibst, ist es aber eben stärker der Tradition des bürgerlichen Gedichts des 19. Jh. verpflichtet. Seither ist dieses "Ansingen" der Natur mit anschließende Wechsel zum lyrischen Ich oder zur interpretierenden Erzählstimme des Gedichts von den jeweils "jungen" Stimmen ihrer Zeit (die heute vielfach schon langverstorbene "Klassiker" sind) nicht mehr sonderlich praktiziert worden, aber diese Technik ist darum natürlich keineswegs in einem objektiven Korridor "falsch". Es ist eben Geschmackssache, ob man diesen Verweis auf die Lyriktradition weiterführen möchte oder "neuzeitiger" zu schreiben gedenkt.

Und mit "neuzeitig" meine ich dabei übrigens NICHT explizit "(post-)moderne" oder gar experimentelle Lyrik sondern auch so klassisch reimende Stimmen wie Lasker-Schüler, Uhlmann, Kästner, Kaleko, Brecht, Kramer, Lavant etc. :)

LG!

S.
« Letzte Änderung: Juli 05, 2021, 17:40:10 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #4 am: Juli 06, 2021, 00:19:52 »
Hi Suf!

O du nie versiegender Quell des Wissens!

Dass meine dergestalten Gedichte in einer Tradition des 19. Jhdts stehen, war mir unbewusst, ja unbekannt. Ich schreibe halt so, wie es mir gefällt, und was mir gefällt, habe ich irgendwann irgendwo gelesen. Natürlich nicht nur bei Rilke, sondern so gut wie bei allen "Klassikern", natürlich auch Eichendorff und andere Romantiker.

Aber ich wüsste nicht mehr zu sagen, welches Stilelement ich dann noch woher habe, wenn ich mich beim Dichten instinktiv/intuitiv seiner bediene. Bin nicht der Zeitschienentyp, auch und vor allem nicht in meinem eigenen Leben. Ich habe zwar noch vage Vorstellungen, in welchen temporären Lebensbreichen ich welche Erfahrungen und Erinnerungen gesammelt habe, aber exakt zeitlich festmachen kann ich kaum noch etwas aus meiner Vergangenheit.

Wie gut, dass es da jemanden wie dich gibt, der alles freundlich in den korrekten Kontext setzt!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 06, 2021, 17:19:23 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #5 am: Juli 06, 2021, 11:32:24 »
Hi eKy! :)

Wie kömmt das wohl nur, dass ich mich zu dünken nicht entheben kann, es möge sich unter Deinen lieben Dank, bester eKy, ein Prislein gar bissfester Ironie gemogelt haben?

Je nun. Die Dir von mir zugedachte Gesellschaft der erstrangingen (!) lyrischen Stimmen des vorvergangenen Jahrhunderts wird Dir hoffentlich nicht missliebig sein. Viel eher müssten Dir doch Attribute wie kontemporär, aktuell oder gar avantgardistisch übel aufstoßen. :)

Dass ich speziell zum "Ansingen" der Natur mit anschließender fein aufgedröselter Übertragung auf ein Menschenleben eine etwas kritisch-distanzierte Haltung einnehme, ist zunächst einmal eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich bin darauf auch schon einmal früherhin in meinem Entwurf "Probleme der traditionellen Lyrik" eingegangen, wobei diesem Versuch meinerseits beim Wiederlesen der Vorwurf zu machen ist, dass in jenem Text nicht ausreichend kenntlich gemacht ist, dass hier eine subjektive Meinung ausgedrückt wird. :)

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #6 am: Juli 06, 2021, 17:32:01 »
Hi Suf!

Mein Kommi war ein - sprachlich akzelerierter, so wie du es schätzt - Versuch eines Dankeschöns für all die Fakten und Sachverhalte, die du so oft beisteuerst wie ein lebendiges Lexikon (wofür ich dich, wie jeden "Hochgelahrten", zutiefst bewundere!), die ich tatsächlich nicht wusste oder bestenfalls irgendwo verschüttet mit mir herumschleppte, ohne noch bewussten Zugang zu haben.

Es war mit Sicherheit nicht ironisch gemeint, ich wollte einfach nur nett und verbindlich sein. Sorry, wenn ich das irgendwie missverständlich formuliert haben sollte.

Die Verbindung mit den Romantikern habe ich durchaus als Kompliment aufgefasst, keine Sorge. Und dass du in beiden Welten daheim bist - klassisch wie modern - weiß ich und nehme es nicht krumm. De gustibus etc. - du weißt ...

Meine Naturgedichte ... - da gibt es wirklich 2 Sorten! Die eine, die ganz im beschriebenen Bild bleibt und nichts anderes will als ebendas - und das philosophische Gleichnis, wo ich das Bild aus der Natur auf die menschliche Natur übertrage, meist in der Conclusio, um dem Ganzen noch mehr intellektuelles Gewicht zu verleihen. Mittlerweile ist das bei mir fast schon ein Automatismus ...  ::)
Sei gewiss, ich tue das, weil ich es selbst so will und es mir Freude macht, es so zu tun. Ob du dem kritisch gegenüberstehst, berührt mein Selbstwertgefühl nicht im Mindesten. Hab also keine Sorge, ich könnte wegen derlei Marginalien wie abweichende Meinungen, gleich von welcher Seite, "einschnappen" oder so ...

Alles gut!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #7 am: Juli 07, 2021, 11:12:24 »
Hi eKy!
Lieben Dank für die Blumen! Und gut, dass Du meinen Hinweis auf die "alten" Lyriker als Kompliment aufgefasst hast - so war es gedacht! :)
Freue mich auf alle Fälle auf weitere Naturgedichte von Dir - selbstredend auch solche mit Übertragung und Conclusio :)
LG!
S.

horstgrosse2

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #8 am: Juli 08, 2021, 19:57:35 »

@Erich


Grüße.


Habe paar Überlegungspunkte, keine Fehler.



Zitat: Ich sehe oft in meinem Fenster Wolken ziehen,

hier würde ich für das „In“ ein „durch“ eher verwenden

Ich sehe oft durch meine Fenster Wolken ziehen

Zitat:

wo sie getrieben über meinen Himmel fliehen.

Meinen? Oder Unsren?




Zitat: verwandeln sich und werden um und umgeschlagen,

In: verwandeln sich und werden ein und umgeschlagen,


Return:

Wolken habe ich oft als Bengel sehr oft betrachtet, mein Kinderkino.
Sie sind die faszinierenden Maler der Natur.

Ok, tschüss.


 

Sufnus

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #9 am: Juli 09, 2021, 09:39:11 »
Hi HG2! :)

Für mich persönlich lesen sich die Originalvarianten schöner und verständlicher.

"Durch ein Fenster" impliziert für mich eher eine Bewegung von innen nach außen oder umgekehrt, aber eben nicht (wie bei den Wolken) am Fenster vorbei: "Die Wolken ziehen durch das Fenster" läse sich für mich so, als ob das Wetter übergriffig wird und sich auf den Innenbereich zu erstrecken beginnt, eine unangenehme Vorstellung... Regengüsse im Wohnzimmer? Igitt!
 
Und "unseren" Himmel finde ich auch wenig anmoderiert, hier scheint mir gerade das Privatissimum des einzelnen LyrIch hinterm Fenster sinniger als eine diffuse Gruppe.

Ganz besonders würde ich aber für die Beibehaltung des "um und umgeschlagen" plädieren wollen, das ist für mich sehr viel sprachschöner und griffiger als ein "ein und umgeschlagen", weil ersteres einen längeren repetitiven Vorgang beschreibt, während die zweite Formulierung eher auf eine einmalige Bewegung verweist: einschlagen-umschlagen-fertig.

Ich würde also lieber beim Original bleiben. :)

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Wolkengleichnis
« Antwort #10 am: Juli 09, 2021, 09:41:29 »
Hi HG2!

Danke für deine Einlassungen!  :)

Das Spiel "Wolkenformenfinden" haben wir als Kinder wohl alle irgendwann gespielt! Süße Erinnerungen ...

Warum ich "in meinem Fenster" geschrieben habe, wo sonst doch das Durchsichtige betont wird? Nun, bei Fenstern wird die Durchsichtigkeit (trotz der Existenz von Milchglas) automatisch vorausgesetzt, MUSS also nicht extra beschrieben werden. Und das "in" führt den Leser ein wenig in Richtung Bilderrahmen - so als wäre das "im Fenster(kreuz) zu Sehende ein Bild oder ein ablaufender Film. Das wiederum bestärkt die "Unverrückbarkeit" des Schauenden, als wäre er ein Gefangener oder sonstwie Reservierter, dem nur dieser eine Blick aus seinem Fenster bleibt.
Zudem ist die Phrase an sich durchaus gängig - "in" meinem Fenster kann meinen, von außen nach innen gesehen, oder umgekehrt. Gemeint ist sozusagen der Ausschnitt: ""In" der Umrandung meines Fensters sehe ich ..."

"Meinen Himmel" meint ebenfalls "meine" Sicht darauf durch das Fenster. Natürlich gehört der Himmel an sich niemandem. Okay, das Militär und die Flugsicherung würden heutzutage widersprechen, aber philosophisch betrachtet bleibt es Fakt.

"Um- und umgeschlagen" - die Wiederholung unterstreicht die Endlosigkeit des Vorgangs einer dauerhaften Rotation. Das ist eine gängige Phrase.

LG, eKy


Hi Suf!

Unsere Beiträge haben sich überschnitten. Schön, dass du es ähnlich siehst wie ich. Dein "einschlagen - umschlagen - fertig" ist amüsant! Es klingt, als würde jemand seine Wäsche nach dem Bügeln nach System zusammenfalten.  ;D
« Letzte Änderung: Juli 09, 2021, 09:52:15 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.