Das Nachtsonett
Das Tagwerk wandert langsam in die Ferne.
Die Sonne fällt dem Horizont entgegen.
Flugs wachsen Schatten und am Himmel kleben
der Mond, erhaben, und sein Volk die Sterne.
Düsterkeit lässt Ohren wachsen und? Der Reim "und/verstummt" ist unrein.
Jetzt erwacht die Zeit, der schwarzen Katzen. Kein Komma vor "der".
Keine Maus ist sicher vor den Tatzen Komma ans Zeilenende.
selbst der laue Nachtwind er verstummt. Komma vor "er".
So manche der Träume sie taumeln so blindlings umher, Komma vor "sie".
sie suchen den Hafen des Ursprungs und finden nichts mehr.
Doch Ruhe, da schleicht so ein Schnarchen so durstig nach Bier. Komma vor "so".
Es freut sich auf schmerzenden Morgen aufs Leben aufs Hier. Komma vor "aufs".
Ach Sonne so lasse dir Zeit, um das Leben zu wecken, Komma vor "so".
denn manche sie wollen den Nachtfilm genüsslich erst schmecken. Komma vor "sie".
Hi, HG2!
Das ist gut geschrieben, aber formal sehr grenzwertig - man könnte es bestenfalls ein "seeehr modernes" Sonett nennen. Warum? Nun, die klassische Form definiert sich so:
2 Quartette mit umarmenden Reimen (ABBA ABBA oder ABBA BAAB), 2 Terzette (mit 2 oder 3 Reimen, aber die beiden letzten Zeilen sollen sich nicht direkt reimen), durchgehend fünfhebige Zeilen, unbetonter Auftakt, weibliche Kadenzen.Es gäbe da noch mehr Firlefanz wie zB wie Unterteilung in These (1. Quartett), Antithese (2. Quartett) und Synthese (Terzette), aber das beachtet heute kaum noch jemand wirklich. Auch die Regeln zu den letzten beiden Zeilen oder den weiblichen Kadenzen haben sich mittlerweile aufgeweicht, und im modernen Sonett ist viel mehr möglich.
Ich selbst habe schon vierhebige und sechshebige Sonette geschrieben, sogar welche mit betontem Auftakt.
Was ich allerdings
nicht tun würde, und was du hier getan hast, ist die Zeilenlänge und das metrische Schema mittendrin mehrmals zu ändern, sowie den Auftakt willkürlich zu wechseln.
Schauen wir uns dein Original mal an:
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
XXxXxXxXxXx ("Flugs"
möchte betont gelesen sein. Man
kann es zwar anders lesen, aber glücklich wird es nicht damit. Ein "
Schon" wäre passender.)
xXxXxXxXxXx
XxXxXxXxX
XxXxXxXxXx
XxXxXxXxXx
XxXxXxXxX
xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxXx
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Die erste Strophe folgt noch brav dem klassischen Schema - doch das 2. Quartett wechselt abrupt zum betonten Auftakt - und mit den Terzetten kommt ein völlig anderer Rhythmus ins Spiel.
Die Kadenzen wechseln ohne erkennbares regelmäßiges Schema.
Das sind zusammengefasst die Abweichungen, die ich so niemals einem Sonett antun würde, das von harmonischem Gleichmaß quasi lebt. Ich denke eher, du wolltest hier vielleicht eine Art lyrisches Experiment unterbreiten - um zu sehen, ob es funktioniert.
Mein Fazit: Ja, es funktioniert - als lyrische Einheit, strukturell mehr dem Sprachfluss, dem Inhalt und der Stimmung folgend als dem festen Sonettschema. Daher würde ich es zwar als gelungenes Gedicht bezeichnen - aber ich würde es nicht Sonett nennen wollen. Es hat grobe Sonett
form mit den Quartetten und Terzetten - aber das ist es dann auch.
Insgesamt sehr gern gelesen!
LG, eKy