Autor Thema: Der Golem II  (Gelesen 647 mal)

Erich Kykal

Der Golem II
« am: Mai 25, 2021, 18:55:41 »
Wer hat meinen Lehm geknetet,
gab ihm die gewählte Form?
Wer hat mich herbeigebetet
aus der Leere kaltem Born?

Welches Feuer buk mich endlich,
wirkte meine Gegenwart?
Endlich ward ich gegenständlich,
ohne Pulsschlag, aber hart.

Was mag mir der Herr befehlen,
und zu welcherlei Behuf?
Welcher Geist im Lied der Seelen,
der mich dachte und erschuf?

Meister, gib mir deine Worte
für das Blatt in meiner Brust,
dass mir, was für eine Sorte
ich dir sein soll, wird bewusst.

Schick mich, einen Feind zu richten,
unumkehrbar will ich sein.
Alles werde ich vernichten,
was nicht lauter ist – und dein.

Fremden Willen muss ich tragen,
bis das Wort in mir zerfällt,
bis, das eigne Werk zu wagen,
keine Bande mich mehr hält.
« Letzte Änderung: Mai 26, 2021, 00:23:02 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Golem II
« Antwort #1 am: Mai 27, 2021, 12:07:04 »
Hi eKy!
Höchst interessant, dass sich hier eine lyrische Golem-Serie abzeichnet! Erneut hast Du ein Golemgedicht aus der Ich-Perspektive des von einem menschlichen Schöpfer "erzeugten" Wesens - ein Vorfahre von Frankensteins Monster und dem Terminator - geschrieben. Der Quervergleich der beiden Golemversionen ist sehr instruktiv: Beim ersten Gedicht ist in der ersten Strophe die Perspektive noch völlig unklar, erst in der zweiten Strophe taucht das Wörtchen "ich" auf und verrät, dass hier der Golem selbst redet. Im Golem II (die Nummerierung brachte mich wohl zur Assoziation mit dem Terminator - ich warte also gespannt auf den dritten Teil!) taucht das Wörtchen "ich" zwar auch erst in der zweiten Strophe auf (sogar noch ein bisschen weiter hinten als im Golem Teil I), aber das besitzanzeigende Fürwort "meinen", gleich das dritte Wort im Golem II, verrät sehr schnell die Perspektive. :) Das ist ein erster Hinweis auf ein im Vergleich zur ersten Fassung stärker erwachendes Bewusstsein. Weiterhin fällt auf, dass der Golem im zweiten Gedicht beginnt, Fragen nach seinem Schöpfer zu stellen - auch dies ein Zeichen eines denkenden Individuums, es wird hier eine neue Reflexionsebene erreicht. Aus diesem erwachenden Bewusstsein folgt aber weder Eigenständigkeit noch Moralität. Weiterhin sieht sich der Golem als zur absoluten Gehorsamkeit verpflichtetes, ausführendes Organ seines Herren und weiterhin gibt es kein Anzeichen, dass eine innere moralische Instanz destruktive Handlungsanweisungen hinterfragen würde.
Ein cooles lyrisches Projekt, lieber eKy (sollte es sich denn, was ich sehr hoffe, fortsetzen)!
S.

Erich Kykal

Re: Der Golem II
« Antwort #2 am: Mai 27, 2021, 17:43:00 »
Hi Suf!

Alles richtig, bis auf den Terminatorbezug, der zwar allgemein durchaus gegeben ist, mir aber beim Betiteln nicht vorschwebte. Das Gedicht ist einfach nur das 2. Golemgedicht, daher die römische II. Ob es einen dritten Teil geben wird, dann vielleicht mit Willensfindung und Revolution dank Selbstermächtigung? Vielleicht, mal sehen ...

Vor Augen stand mir bei diesen Gedichten der berühmte Stummfilm mit den fast surreal übersteigerten mittelalterlichen Gebäuden. Die Handlung ist mir nicht mehr geläufig, aber ich glaube, die Sache beginnt schiefzugehen, als das Mädel ins Spiel kommt und der verliebte Lehrling das Rabbi Löw eifersüchtig den Golem tracktiert, weil dieser das Mädchen auch zu mögen scheint. Immer diese Weiberleut ....  ::)
Nicht sehr logisch, wenn man es recht bedenkt. Ich meine, der Golem ist massiver verzauberter Lehm - da ist keinerlei Schniedel unter dem modellierten Rock! Der Adlatus hätte keinerlei Grund zur Eifersucht haben müssen! Dämliches Mannsvolk ....  ::)

Vielen Dank für deine wie immer fruchtbaren und ergiebigen Einlassungen!  :)

LG, eKy
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gummibaum

Re: Der Golem II
« Antwort #3 am: Juni 06, 2021, 19:17:09 »
Die Figur des Golems hat dich zu mehreren schönen Gedichten angeregt. Hier stellt sie die Frage nach ihrer Herkunft, Aufgabe und Zukunft, zeigt der blinde Automat berührend menschliche Züge.

Sehr gern gelesen.
Liebe Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Der Golem II
« Antwort #4 am: Juni 06, 2021, 19:23:25 »
Ah! Schön, lieber gum, dass auch Du eKy hier ein Kränzlein der Aufmerksamkeit windest! :) Ich finde, eKys Golem-Serie ist einer der diesjährigen poetischen Höhepunkte auf der Wiese (Du hast ja auch schon ein paar "Das-ist-Spitze-Momente" in dieser Saison zu verantworten - läuft! :) ).
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Der Golem II
« Antwort #5 am: Juni 06, 2021, 20:14:09 »
"Sie sind der Meinung: Das war spitze!" - ach ja, der gute Hans Rosenthal ... Wer erinnert sich noch an "Dalli Dalli"?

Hi Gum, Suf!

Vielen Dank an dieser Stelle nochmal für alle Kommis zur Golem-Reihe. Ich habe überlegt, die Gedichte zusammenzufassen und in einen einzigen Faden zu stellen - ich hab's halt gern übersichtlich. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn die alten Fäden lang versickert sind.  ;)

LG, eKy
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Agneta

  • Gast
Re: Der Golem II
« Antwort #6 am: Juni 08, 2021, 10:02:06 »
für mich ist dieses zweite Gedicht in der tat eine echte Fortsetzung. Hier wird die Perspektive des Schöpfers, also seines Herren deutlich. Die Macht, die er über ihn hat, die weit mehr als Dienen fordert. Eine Macht, die einen Golemmenschen, denn ich sehe hier ein Symbol für den Gesellschaftsmenschen, zu einem  Roboter macht. Sufnus Kommentar ist wieder krönungsreif.
Eine Entwicklung, als begänne der Golem zu zweifeln . "Eigenes Werk" war für ihn nie vorgesehen. Nicht mal der Gedanke daran. Ich denke tatsächlich an diese menschenähnlichen Roboter, die man neuzeitlich entwickelt, mit menschenähnlichem Antlitz. Was, wenn sie plötzlich Eigenleben entwickeln wie scheinbar hier ganz sachte der Golem?
Bin gespannt auf das dritte. Tolle Serie.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Der Golem II
« Antwort #7 am: Juni 08, 2021, 14:46:27 »
Hi Agneta!

Vielen Dank!  :)

Die Fortsetzung der Serie bis Teil V ist zum Teil tatsächlich dem guten Sufnus zu verdanken, der mich durch seine Kommis quasi animiert hat, das Thema zu vertiefen und zu entwickeln.

LG, eKy
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