Autor Thema: Ladenbesitzer  (Gelesen 1084 mal)

Erich Kykal

Ladenbesitzer
« am: April 19, 2021, 17:38:01 »
Die Frau mit dem Buchladen

Tag um Tag gebannt in ihr Gewölbe,
Stund um Stunde in der Bücher Kreis,
ordnet und verzeichnet sie dasselbe,
und zu Feierabend schließt sie leis

ihre Pforte fast wie eine Bibel,
die ihr antiquarisch kostbar deucht,
blickt hinauf zum aufgesteilten Giebel,
der in sternbestreute Himmel reicht,

weiß um alles, was sie treulich bindet
in ihr Reich aus Träumen auf Papier,
hoffend immer, dass ein andrer findet,
was sie fand in all den Jahren hier.


Der Mann mit dem Kiosk

Tabak, Zeitung, Magazine,
Krimskrams, Feuerzeug und Lose,
und dazwischen seine Miene,
wund wie eine Gürtelrose.

Stifte, Bändel, Fußballkarten,
Groschenhefte, „Liebe Grüße“:
Auf die Pensionierung warten
und verbittern an der Süße.

Kippen, Pornos, Tuschestifte,
Comics, Filter und Radierer -
Jeden Tag nur Schund und Gifte,
und dahinter: Der Verlierer.


Der Mann mit dem Café

An der wohlbekannten Ecke
grüßen mild die weichen Lichter,
leuchten golden in die Gasse,
flüstern zärtlich einem Dichter
zu: „Tritt ein hier und entdecke,
was ich dich entdecken lasse.

An den glanzpolierten Tischen
sitzen alle, die mich kennen,
klimpern leise mit den Tassen,
und gedrehte Kerzen brennen,
und geraunte Worte mischen
sich mit Blicken, mich zu fassen.

Und im hellen Hintergrunde,
dort im Zentrum edler Düfte,
werkelt glücklich der Gerechte,
der die Geister alle gründet,
da den Trank in aller Munde
wie kein Zweiter er bereitet.
Summend wiegt er seine Hüfte,
immer webend am Geflechte,
darin aller Wohlsein mündet.


Die Frau mit der Schneiderei

In der kleinen Hinterkammer
sitzt sie täglich an den Stoffen,
misst und schneidet allerlei,
rastlos fleißig wie die Biene.
Sommers steht das Fenster offen,
und man hört die Nähmaschine,
und sie summt und singt dabei;
manchmal klopft sogar ein Hammer!

Gern betrete ich den Laden,
brauch ich auch nicht wirklich was.
Sehe ihre Finger sausen,
wenn sie meine Maße nimmt.
Eine Jacke kann nicht schaden,
denn der Winter kommt bestimmt!
Und wir reden dies und das,
und ich schüttle meine Flausen.


Der Mann mit dem Spielzeugladen

Ab und an besuch ich gerne
jenen vollgepackten Laden:
Kinderaugen voller Sterne,
Wüsche auf der Zielgeraden.

Krame in Erinnerungen
an die Dinge meiner Spiele,
die verschwanden, als dem Jungen
Jahre wurden, große Ziele.

Der Besitzer baut Modelle,
spielt mit Lego stundenlang.
Lächelnd zeig ich ihm die Stelle,
wo das Bauwerk nicht gelang.

Auf dem Spielbrett klacken Steine,
und es ziehen wilde Horden.
Kindgebliebener der eine,
und ich: Wieder Kind geworden.


Der Mann mit dem Schuhladen

Ach, er weiß, wie Füße riechen,
junger Schweiß und alter Siechen
schwielig harte Überbeine -
jedem findet er das Seine.

Abends geht auf dünnen Waden
er nach hinten in den Laden.
Ausgetretnes überholend,
alte Schuhe neu besohlend

sitzt er Stunden noch im Stillen
und gießt seinen stummen Willen
unermüdlich in das Leder,
denn marschieren muss ein jeder.


Die Frau mit dem Bioladen

Alle Früchte ihres Lebens
will sie lieber ungespritzt,
wes Behufes sie seit Jahren
einen Biomarkt besitzt.

Auch Reformkost, Vollkornwecken,
vegetarisch und vegan,
Sojamilch und Dinkelschnecken
bietet sie der Kundschaft an.

FairTrade sind die Marken alle,
denn sie beutet keinen aus,
doch ist abends leer die Halle,
kauft sie Burger für zu Haus,

fette Pizza oder Braten,
und woher das Rindfleisch kommt,
schert sie nicht mehr. Wohl geraten
ist hier alles, was ihr frommt.


Die Frau mit dem Bordell

Alle Wünsche werden wahr, wenn diese
Tür sich öffnet willigen Beschälern,
Burgen öffnen schlüpfrigen Erzählern,
die sie locken, modrige Verliese

voll Verdrängtem, ewig Ungelebtem:
Träume in gesellschaftlichen Ketten,
und die Frau am Tresen darf sie retten
aus der Regeln Starrem und Verklebtem.

Wissend weist sie jedem seine Himmel,
aus Erfahrung ahnend, wo sie liegen,
und ein Wunschtraum steigt aus dem Gewimmel

schöner Leiber lächelnd in die Arme
des Enthemmten: Trunkne Lüste fliegen
sein zu lang Gefrorenes ins Warme.


Die Frau mit dem Hurenhaus

Nach Lust und Pisse riechen alle Gänge,
die eng und rot wie Därme sich verdunkeln,
und in den Räumen weiter ist gut Munkeln,
wo des Korsetts gesellschaftlicher Zwänge

man sich für Geld im Stundentakt entledigt,
die feuchte Gier sich spiegelt in den Augen,
die hier im Dustern an den Leibern saugen,
die im Gebrauch man fordert und entschädigt.

Was schert's die Dame dieser dunklen Stelle,
wo jene Seelen bleiben, die sie knechtet,
in ihrem Dienst entwertet und entrechtet?

Sie weiß sich einzig am Ertrag zu laben,
und deshalb gibt es hinter dieser Schwelle
auch bald ein Angebot an schönen Knaben.


Der Mann mit dem Wettbüro

Worauf wollt ihr heute setzen?
Wisst ihr, wie die Quoten stehen?
Lasst euch artig wieder hetzen
von Fortunas wunden Wehen,

lasst sie euer Kind gebären,
das nach rascher Münze bettelt,
unverdaut im Ungefähren
und in wirren Trieb verzettelt.

Kommt nur her, ihr ewig Dummen,
betet am Altar der Lüge,
dass sich auch im deutlich Krummen
alles ganz gerade füge.

Davon leb ich, davon zehr ich,
wettet nur auf eure Pferde!
Eure schmalen Säckel leer ich,
auf dass meines praller werde.


Die Frau mit dem Gasthaus

Täglich zaubert sie in ihrer Küche
Gaumenfreuden für den guten Gast,
tritt aus ihrem Reich der Wohlgerüche
in der Stube mittaglichen Glast,

um zu sehen, wie die Becher kreisen,
die Bestecke auf die Teller sinken,
weil es schmeckt, was ihr Talent an Speisen
auftat den Beschenkten, die ihr winken.

Dieser Augenblick ist ihre Nahrung,
mehr noch, als was sie damit verdient.
Alle Kunst, das Wissen, die Erfahrung
münden in die Lust, die sie bedient.


« Letzte Änderung: Januar 05, 2024, 11:46:57 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #1 am: April 25, 2021, 23:05:17 »
Ein origineller Einfall, lieber Erich, so lyrisch durch die Läden deiner Umgebung zu ziehen. Hab bisher nur 3/11 genossen. Atmosphärisch wie sprachlich super! Danke für den Tipp.

Buchladen: die Frau ruhig und sanft in der Wahrnehmung der ihr kostbaren Dinge und einsam, weil niemand sonst daran teilhat.

Kiosk: inmitten der wertlosen Artikel unterscheidet sich der Mann immer weniger von ihnen und krankt daran.

Café: da sind mehrere Parteien, die sich wahrnehmen und gewogen scheinen. Fein, wie du dem Künstler an der Theke ein Lob spendierst.

Morgen lese ich weiter, und darauf freue ich mich schon.
LG g
« Letzte Änderung: April 25, 2021, 23:20:39 von gummibaum »

gummibaum

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #2 am: April 25, 2021, 23:56:06 »
Nun habe ich doch noch drei lesen müssen, dann so etwas Gutes lässt nicht leicht los (die Reimschemata immer wieder anders, die Personen sehr plastisch und jede eigen in ihrer Berufswelt).
Wichtig: nicht Profit, sondern menschliche Werte wie Fleiß, Beglücken der Kinder, der Versuch, dem Stofflichen etwas Gutes einzuprägen, spielen die wesentliche Rolle. Das wird oft übersehen, und gut ist, es wieder hervorzuheben.

Danke, lieber Erich.

LG gummibaum   

 

« Letzte Änderung: April 26, 2021, 00:16:32 von gummibaum »

hans beislschmidt

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #3 am: April 26, 2021, 09:07:55 »
Lieber Erich,
Mein Favorit ist der "Kiosk", vielleicht weil ich an Qualtingers "Der Herr Karl" denken musste. Der Denkanstoß kommt punktgenau in der letzten Zeile.
Sehr gern gelesen. Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

gummibaum

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #4 am: April 26, 2021, 20:07:26 »
Mit Bordell und Wettbüro kenne ich mich nicht aus, aber deine lyrische Beschreibung, das Ausleuchten seelischer Abgründe, gefallen mir sehr. Um Lust, diesmal des Gaumens, geht es auch im letzten Gedicht, und der Voyeurismus der, die sie befriedigt, wirkt sympathisch.

Nochmals Danke, lieber Erich.

Gruß gummibaum


 

Erich Kykal

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #5 am: April 26, 2021, 20:28:16 »
Hi Gum, Hans!

Die einzigen beiden Sonette in der Sammlung beschreiben beide einen Puff, aber jeweils aus anderer Perspektive, oder vielleicht auch unterschiedlich geführte Häuser dieser Art.

Die "Bordell"-Variante betrachtet aus der Sicht eines harmoniebetonten, toleranten, stets das Gute im Menschen suchenden Philantropen, die "Hurenhaus"-Version beschreibt die andere Seite der Medaille: Der Dreck, das Perverse, die Ausbeutung, der Missbrauch aus Profitgier, das Schmuddelige in den Ecken und der Gestank hinter dem Parfum.

Irgendwie begann es mit dem ersten Gedicht und wurde dann einfach irgendwie immer mehr. Es sind übrigens allesamt (bis vielleicht auf das erste in Teilen) Fantasieläden, also nicht aus meiner tatsächlichen Umgebung. In einem Wettbüro war ich tatsächlich noch nie ...  8)

Zum "Kiosk" - bei uns in Österreich heißen solche Zwiderlinge "Ungustl" - verbitterte, raunzende, alles runtermachende Ätzmolche, meist in Selbstmitleid badend, weil sie immer glauben, zu Unrecht zu kurz gekommen zu sein. Und immer andere oder anderes sind/ist schuld - was genau, wechselt oft ständig, je nach Grad der Übellaunigkeit oder aktuellem Anlass.  ::)

Vielen Dank für euer freudliches Echo!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 12, 2024, 23:25:04 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #6 am: April 27, 2021, 15:19:11 »
Hi eKy!
Du hast hier dem Kleinunternehmertum ein Denkmal gesetzt, mithin einer Sphäre des Geschäftslebens, in der sich manche bedrohte Spezies finden lässt. Kleine selbständige Buchhandlungen, Schneidereien und wohl auch kleine Wettbüros dürften es im digitalen Zeitalter zumeist schwer haben - man wird sehen, wie viele dieser sowieso schon gefährdeten Kleinunternehmungen wohl die postpandemische Zeit erreichen. Das Bordell ist insofern allerdings ein Sonderfall; offenbar handelt es sich hier um ein überaus robustes Geschäftsfeld, das noch jede Krise überlebt hat.
Ich hoffe, Du setzt die Serie vielleicht noch etwas fort?! :) Es gäbe ja noch so manches bescheidenes Gewerbe, das eine Miniatur verdient hätte. :)
Von den bisherigen Gedichten gefällt mir auch der Kioskmann mit am besten, außerdem die Studie über den Spielzeugladen! Die beiden Bordellgedichte finde ich persönlich zu rhetorisch - unter der sprachlichen "Pracht" wird das Objekt der Betrachtung für mich ein bisschen verschüttet, ein bisschen als ließe man ein Riesensinfonieorchester plus gemischten Chor antreten, um ein Gänseblümchen, ein Würmchen oder meinethalben eine halbgerauchte Zigarette zu besingen. Dieses rein subjektive Manko nimmt aber den Sonetten natürlich überhaupt nichts von ihrer höchst vollendeten sprachlichen Gediegenheit (allein das Wort "Beschäler" ist unglaublich beeindruckend!), aber der mit weniger Aufwand präsentierte Kioskmann vermag mich persönlich emotional eher zu packen. :)
Sehr gerne gelesen und auf Weiteres hoffend! :)
S.
« Letzte Änderung: April 27, 2021, 17:38:31 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #7 am: April 27, 2021, 17:38:00 »
Hi Suf!

Es kommt raus, wie es raus will. Meist "spürt" mein lyrisches Organ, welcher Stil, welche Form der Thematik am besten steht, aber ich bin ja auch nicht jeden Tag gleich drauf. Beim "Kiosk" war ich wohl gut aufgeräumt und geradeheraus, bei den Sonetten vielleicht in verspielterer Stimmung. Und ich spiele nun mal gern mit der Sprache ...  ;) 8)

Kann sein, dass im Laufe der Zeit noch was dazukommt. Ich mach mir da aber keinen Druck. Vielen Dank für das positive Echo insgesamt!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #8 am: April 27, 2021, 17:41:07 »
Hi eKy!
Ja - völlig klar... vielleicht sollte ich noch nachtragen, was gum schon angedeutet hat, bei meinen Anmerkungen aber unzureichend rüberkam: Gerade die Vielfalt der Tonlagen dieser Gedichte machen einen ganz wesentlichen Reiz aus! Daher: Wenn mich die Bordelle jetzt nicht so gepackt haben, wie das Kiosk, dann ist das mitnichten Gemecker, sondern Beleg für die Bandbreite der Sprachhabung (das Wort habe ich von Dir :) ) in dieser Serie. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Ladenbesitzer
« Antwort #9 am: April 27, 2021, 17:46:00 »
Hi Suf!

Keine Sorge - ich habe es keinesfalls als Gemecker gedeutet. Und selbst wenn ich hätte - mir bräche darob nicht gleich eine Verzierung ab!  ;) ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.