Autor Thema: Der Raum in dir  (Gelesen 2337 mal)

hans beislschmidt

Re: Der Raum in dir
« Antwort #15 am: Februar 14, 2021, 10:55:43 »
Lieber Erich,
Lassen wir das Leben endlich in Ruhe, es ist endlich.
Mal sind es Pyramiden, mal Bücher, oft genug auch Enkelkinder aber egal wie tief die Haken in der Kletterwand stecken, irgendwann erodiert die größte Bemühung Unsterblichkeit zu erlangen und auch der beste Freeclimber verschwindet einmal im Nichts und wird zu Staub.
Ein ganz ähnliches Phänomen beobachte ich bei Menschen, die täglich ihre persönliche Schatzkammer besuchen und nachzählen, ob ihre Immobilien, Fonds, Plunder und Reisebuchungen noch vollzählig sind. Dabei versuchen sie doch nur ein paar Versatzstücke von damals über die Zeit zu retten, als gäbe es für solche Utensilien noch Belobigungen wie Verdienstkreuze oder Jahresbüffet für Mitarbeiter im Ruhestand. Leider vergessen diese "Nahtoten", dass sie wichtige Zeit vergeudet haben um Ordnung und Struktur in ihr Dasein zu bringen und Bescheidenheit und Ehrfurcht vor der letzten Kurve zu erlernen, bevor es über die Ziellinie geht.
Nichts lässt sich konservieren und selbst Mumien sind nur für chemische Laboruntersuchungen interessant. Es ist sinnlos sich mit der Zeit anzulegen, als wüsste irgend jemand um die Vorzüge irgendwelcher Ahnen.
Die Vergänglichkeit als metrische Zeiteinheit zu begreifen, der sich alles unterzuordnen hat, ob Religionsstifter oder Frisör ist nicht von Bedeutung.
Gruß vom Hans 
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Der Raum in dir
« Antwort #16 am: Februar 14, 2021, 11:27:57 »
Hi Hans!

Danke für deinen Beitrag, der bestätigt, was ich aussagen will. Was mich so traurig an alledem macht, ist eigentlich bloß, dass all das innerlich Gesammelte mit dem Tod verloren gehen muss, da es als Metaebene zur Realität nur für das lebendige, denkende, fühlende Subjekt von Bedeutung war. All die Erfahrungen und Erinnerungen eines Lebens, und was es aus uns gemacht hat und wie es uns definiert - alles vergeht.
Unsere Möglichkeiten, uns über diese unsere geistig-ideelle Metaebene auszutauschen, sind sehr begrenzt: Literatur, Tondokumente, Filme, Journalismus, moderne Medien. Und es sind immer nur kleine Einblicke ins innere Universum von anderen, Detailausschnitte, Brosamen. Und trotz dieser Begrenztheit und eingedenk der Unmöglichkeit, sich in seiner Gesamtheit weiterzugeben, versuchen wir es - beinahe verzweifelt - dennoch, die Welt um uns und nach uns zu beeinflussen, zu leiten, sie an uns zu beteiligen, selbst wenn es nur ein schwacher Schatten dessen ist, woran wir glaubten und wofür wir brannten, und was wir durchlitten, um die sein oder werden zu können oder zu müssen, die wir sind.

Gäbe es ein Leben nach dem Tode, solch ein Streben wäre unnötig, der Trieb nicht existent. Warum hätte ein Gott - so es ihn gibt - uns diesen Drang dann "einprogrammieren" sollen? Wenn wir es also dennoch versuchen, beweist es zumindest unsere seit je evidenten Zweifel an den religiösen Bedürfniskonstrukten über Paradiese oder Nirwanas, denn wären wir absolut davon überzeugt, wir versuchten kaum, uns dauerhaft über den Tod hinaus in Erinnerung und Kulturgedächtnis unseres Lebensumfeldes zu verankern!
Dieses Sehnen danach, dass "etwas von uns bleiben möge", sozusagen die kleinstmögliche Form der Unsterblichkeit, hat uns schon immer motiviert, seit wir Bilder in Steine kratzten oder Höhlenwände bemalten.
Und darum geht es denn auch letztendlich bei alledem: Das Verlangen danach, weiter zu existieren, ewig zu dauern, nicht altern und verfallen zu müssen. Im Gegensatz zu den meisten uns von Kindesbeinen an aufgedrängten Religionen und Philosophien kann ich an diesem Drang nichts Verwerfliches oder Unbescheidenes erkennen. Indes, die Biologie und Physik unserer Welt verbietet dies, und unsere Wissenschaft wird bestenfalls erst in Jahrhunderten nennenswert lebensverlängernde Lösungen dafür finden.

Und warum dieser Drang? Weil wir wissen, wieviel verloren geht, wenn wir gehen. Nicht Egoismus oder Verlangen nach etwas, das uns laut schicksalsergebener Einflüsterung gängiger Moral nicht zustünde, sondern weil wir uns nicht mit dem Gedanken abfinden wollen, dass all die Mühe der angesammelten Lebenserfahrung letztlich vergeblich gewesen sein soll, bestenfalls verkrüppelt weitergebbar und mit dem Ende obsolet, verschwunden aus der Welt.
Dieses kalte Damoklesschwert absoluter Bedeutungslosigkeit für das Universum, das von Geburt an über jedem denkenden sterblichen Wesen hängt, macht uns zu Träumenden. Wenn wir schon keine Elben, Elfen, Engel, Superhelden, Götter oder Geistwesen sein können, dann erfinden wir sie eben, um sie an unser statt ein Leben in Weisheit und Unsterblichkeit haben zu lassen ...

LG, eKy

---------------------------------

PS:

U.a. noch unkommentiert:

http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=6854.msg39328#msg39328
« Letzte Änderung: Februar 14, 2021, 11:29:50 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Der Raum in dir
« Antwort #17 am: Februar 14, 2021, 12:11:57 »
Lieber Erich, da bist du noch ein Stück weiter in die Thematik eingestiegen und den göttlichen Code ins Spiel gebracht. Dieses Paradoxon haben schon viele beackert und als Filmfan fällt mir sofort Ridley Scotts The Blade Runner ein. Auch hier wollen sich die Replikanten nicht mit der ihnen zugeteilten Lebenszeit begnügen. Gruß vom Hans
Grandiose Schlussszene
RIP Rudger Hauer
https://youtu.be/HU7Ga7qTLDU
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Der Raum in dir
« Antwort #18 am: Februar 14, 2021, 19:05:25 »
Der schreibt sich "Rutger".

Natürlich, wer kennt die Szene nicht, der sich für Science Fiction interessiert? Das Urdilemma selbstbewusster Lebewesen.

Ich habe viel darüber nachgedacht, seit ich jünger war und selbst noch bemüht, Spuren zu hinterlassen oder irdischen Ruhm zu erlangen. Bis ich herausfand, dass ich mit alldem eigentlich nur die Erniedrigung durch die Verachtung kompensieren wollte, die mir als Jugendlicher von manchen Gleichaltrigen entgegengeschlagen war. Die Einsicht in die Jämmerlichkeit dieser Bedürftigkeit nach Bestätigung von außen brachte mich zur Vernunft.

Seither kann ich damit leben, dass meine Erinnerungen und Erfahrungen, kurz, die Definition meines Selbst, letztlich nur für mich als individuellen Träger von Bedeutung sind und sein sollten. Dass all das mit meinem Ende erlischt, wird mich hinterher ohnehin nicht mehr berühren, und im Davor habe ich nicht vor, mir dadurch die eh so knappe Lebenszeit vergällen zu lassen. Zu leben an sich sollte jedem von uns genug sein, und wer das Geschenk nicht annehmen will oder kann, hat genug Möglichkeiten, sich zu beenden.  ;)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 14, 2021, 19:17:23 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Raum in dir
« Antwort #19 am: M?RZ 02, 2021, 15:22:12 »
Hi eKy!
Der "Room of one's own" ist ein Kernthema der modernen Literatur und gerade unter den Lyrikern finden sich viele, die ihr Werk einer erzwungenen oder selbst gewählten Isolation abgerungen haben,  ja mir scheint, dass gerade unter den Poeten der Zurückgezogenheit solche zu finden sind, deren Bilder- und Gedankenreichtum besonders zu begeistern weiß. Hölderlins Gedichte aus der Zeit im Tübinger Turm sind uns, die wir mit Normalität gestraft sind, kaum verständlich, und doch weht uns zumindest eine Ahnung von der Anderwelt aus diesen Versen entgegen. Auch Emily Dickinson, vielleicht die erste wahrhaft moderne Stimme der angelsächsischen Dichtung, verlebte die letzten Jahrzehnte ihres Lebens hauptsächlich in ihr privates Zimmer zurückgezogen und pflegte mit kaum einer Handvoll Menschen Kontakt (und den größtenteils brieflich). War es bei Hölderlin die geistige Disposition (und mehr oder weniger "sanfter" Zwang) und bei Dickinson wohl schlichte Menschenscheu, so zwang Heinrich Heine die Krankheit ein Zurückgeworfensein auf die "Matratzengruft" auf. Aber auch abseits dieser extremen Beispiele lassen sich von Uhland bis Johannes Kühn zahllose Dichter benennen, die wir zumindest nicht zu den allergeselligsten Menschen rechnen dürfen. Vielleicht ermöglicht gerade der (teilweise) Rückzug in innerliche Welten, einen Zugang zu einem Schreiben, welches das eigentlich Unsagbare in Worte kleidet. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Der Raum in dir
« Antwort #20 am: M?RZ 02, 2021, 15:38:01 »
Hi Suf!

Danke für die guten Beispiele.  :)

Ich gehöre dazu, denn wie du (hoffentlich) weißt, lebe ich sehr zurückgezogen, fast eremitär. Das hat mehrere Gründe, vom gekränkten, weil gemobbten Knaben in mir bis hin zu erlebten Enttäuschungen (wobei ich wechselweise Enttäuschter wie Enttäuscher war) im Laufe des Lebens. Auch eine gewisse Soziopathie (Asperger-Randbereich) und eine Ungelenkheit wie rasche Überforderung im sozialen Spiel tragen dazu bei.

Ich schreibe von einst Erlebtem aus meiner sicheren "Festung der Einsamkeit" heraus, deren Tür ich selbst hinter mir geschlossen habe.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Raum in dir
« Antwort #21 am: M?RZ 02, 2021, 15:46:48 »
Ja, Du bist ein interessanter Fall, lieber eKy! Dein Hochschätzen des Für-sich-seins (ich denke, es ist sogar ein tiefes Bedürfnis von Dir) kontrastiert ja durchaus mit Deinen, gerade eben wieder bewiesenen, sozialen Fähigkeiten hier im Forum. Hans und ich sind doch dagegen noch auf einer etwas schlichteren Stufe des sozialen Komments verblieben - ich gestehe es frei heraus... einer schönen Keilerei, sofern sie mir denn ungefragt angedient wird, vermag ich kaum aus dem Wege zu gehen, wenn ich mich bei selbiger auch lieber des Degens als der Keule bediene. Nunja... anderes Blatt...  >:D
Jedenfalls darf man hinter Deiner Selbstdiagnose, einer Aspergeresken sozialen Unangepasstheit doch ein kleines Fragezeichen setzten. Wenn dies zuträfe, kämst Du wohl auch mit den halbreifen Rackern nicht klar, denen Du Dich berufsbedingt widmen musst. ;)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Der Raum in dir
« Antwort #22 am: M?RZ 02, 2021, 19:09:29 »
Hi Suf!

Deshalb verortet mich die Diagnose ja auch nur im Randbereich - ich habe gewisse Symptome, aber gerade nicht genug für eine eindeutige Zuordnung.

Schule ist für mich manchmal schon etwas fordernd und nervig, aber es ist ein kontrollierbares Environment, wo strikte Regeln gelten und Konsequenzen ins Fenster gehängt werden können. Das hilft, soziale Inkompetenz einzudämmen.

Dass ich in diesem Fall die "Stimme der Vernunft" war, ist Zufall der Rollenverteilung. Hab mich selbst auch schon oft genug gefetzt, auch mit Hans, nebenbei. Wenn man emotional involviert ist, fällt es oft nicht leicht, Übersicht und Sinn für Verhältnismäßigkeit zu wahren.

Wenn es passiert, dass mir jemand in den Foren komplett quersteht - selten aber doch - dann mag es durchaus sein, dass ich selbst auch wieder Krieg führe, wohl wissend, dass es nix bringt - aber es erleichtert auch irgendwie, wenn man zuweilen die Sau rauslassen darf, vor allem, wenn man von einem "Zwiderling" per Kränkung und Herabwürdigung (ob real oder "passend" interpretiert) quasi dazu "eingeladen" wird ...

Ach, der Mensch ist schwach ...  ::) ;D >:D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.