Autor Thema: Zärtliches Erwachen  (Gelesen 788 mal)

Erich Kykal

Zärtliches Erwachen
« am: Januar 20, 2021, 10:44:52 »
Morgen kommt und steigt ins Helle,
zeigt mir wieder dein Gesicht
an des Tages junger Schwelle,
die ein neues Glück verspricht.

Schäfchenwolken schimmern silbern
unter himmelblauem Samt,
während eine sanfte Brise
zärtlich in den Zweigen kramt.

Weiß noch schweigen die Gefilde
einem Frühlingsahnen zu,
doch der Morgen ist schon milde,
und er lächelt fast wie du.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Zärtliches Erwachen
« Antwort #1 am: Januar 20, 2021, 15:18:42 »
Hallo Erich,

das "ins Helle" lese ich als Doppelausdruck, sprich: als psychologischer Zustand; das es morgens hell wird, ist selbstverständlich.

Was mir unklar ist: Die Brise spielt nicht in den Zweigen, sie kramt. Man kramt in Sachen, aber gut, das ist dann künstlerische Freiheit. Aber was bitte soll eine Brise in den Bäumen suchen? Ich glaube, du hast ein passendes Wort auf "Samt" gesucht.

Insgesamt: Ein gute-Laune-Gedicht. So kann der Tag beginnen.

Einen schönen Tag

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Zärtliches Erwachen
« Antwort #2 am: Januar 21, 2021, 14:04:09 »
Hi Rocco!

Das ist so gemeint: Wenn man in etwas kramt, kommt Bewegung rein, da wird umgeschaufelt, zur Seite geschoben, umgerührt usw. - ich bin sicher, du erkennst die Parallele des Bildes.

Vielen Dank für die freundlich positive Rückmeldung!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Zärtliches Erwachen
« Antwort #3 am: Januar 21, 2021, 14:12:39 »
Hi eKy!

Es ist, tatsächlich auch ein Gute-Laune-Gedicht, wie Rocco ganz richtig schrieb; weil Deine Zeilen aber auch einige Aspekte im Angedeuteten belassen und so den Leser  zum gedanklichen Weiterentwickeln einladen, geht dieses schöne Gedicht für mich über eine bloße Verbreitung von guter Laune doch deutlich hinaus und bietet (mir jedenfalls) einige Anknüpfungspunkte für philosophische Betrachtungen.

Was mag es zum Beispiel bedeuten, dass der Morgen dem LI das Gesicht der geliebten Person vorzeigt, so wie man etwas in einer Tasche Verborgenes hervorkramt (auf das Kramen komme ich gleich) und dem Gegenüber vor Augen führt? Das Voraugenführen der besungenen Person ist also nicht eine autonome "Eigenleistung" des LI, sondern wird durch den Morgen erst ermöglicht. Und das im Zeitalter von elektrischem Licht? Es lohnt sich darüber nachzudenken. :)

Ein anderer Punkt: Am Schluss lächelt der morgen nur fast wie die "angesungene" Person. Hier kann man an Heine denken: Da ist die Geliebte "schön wie der Morgen" und auch in diesem Gedicht kommt dann das Lächeln des "Weibes", das die Nachtgespenster und deutschen Sorgen des LI vertreibt. Hier bei Dir, eKy, wird aber das Lächeln zwischen dem Morgen und der geliebten Person aufgeteilt und ob etwaig nächtlich-dunkle Gedanken erfolgreich gebannt werden, bleibt offen.

Und noch zum "kramen": Das finde ich gerade besonders schön, weil der Wind dadurch, als ein etwas zerstreuter Professor auf der morgendlichen Suche nach der Brille, ganz wunderbar personifiziert wird - man sieht ihn hier regelrecht vor sich. Meine beiden Einwände wären hier eher, dass erstens das "zärtlich" nicht so recht zum Kramen passen will, beinhaltet doch der Akt des Kramens eine gewisse Planlosigkeit, die sich für mich zu der Zugewandtheit von "zärtlich" nicht so harmonisch fügen will, und dass zweitens der Reim Samt (mit kurzem a - sonst wird's schweinigelig) und kramt (mit langem a) etwas unscharf rüberkommt. Vorschlag daher für S2Z2 z.B.: "himmelherrgottsblau gerahmt" oder "zart-azuren eingerahmt" o. ä.

Sehr schöne Zeilen!!! :)

S.

Erich Kykal

Re: Zärtliches Erwachen
« Antwort #4 am: Januar 21, 2021, 14:24:54 »
Hi Suf!

Danke für die profunde Analyse in diesem so wundervoll ausführlichen Kommi!  :)

So gemeint: die Liebste liegt neben dem LyrIch im Bett, und wenn der Morgen graut, wird ihr Gesicht langsam sichtbar.

Und NATÜRLICH ist nichts, ich wiederhole: Nie nicht NICHTS!, schöner als die Liebste oder irgendetwas an ihr! Und sie sieht in jedem Fummel gut aus, nichts macht sie je dick, die Frisur sitzt immer perfekt, und sie ist immer und in jedem Fall beredter, schneller, klüger, wohlriechender und weiser als du! Und um Gottes willen: Lass dich niemals, also wirklich nie jemals auf eine Diskussion über Klodeckel ein!!!
Das sollte draufhaben, wer sich je in einer Beziehung gefunden hat, die länger gedauert hat als ein One-night-Stand!  ;) 8) ;D >:D


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.