Hey Hans!
Ich find Deine Gedanken sehr gut! Das m. E. Schlimmste, was einer offenen Gesellschaft passieren kann, ist dass sie in zu einem bildungsfernen Pöbelsumpf verkommt (Ochlokratie), das zweischlimmste, dass sie zu einer restriktiven und autoritären Gemeinschaftsform herabsinkt. Um das Zweite zu verhindern, sind die freie Rede, der Zweifel und der Diskurs unverzichtbare Elemente und ich würde Deinen Angang zur Impfung als von Zweifel und dem Willen zum Diskurs durchdrungen ansehen.
Man könnte sich vorstellen, wie freie Rede, Zweifel und Diskurs in Geschrei, Verschwörungstheorien und Ressentiment abdriften und so aus der Demokratie die Ochlokratie wird oder aber wie die positiven Elemente des Meinungsaustauschs umschlagen in Verstummen, Resignation und Gedankenzensur und die Demokratie zur Diktatur wird. Ich beziehe mich hier also auf antike Ideen zum Verfassungskreislauf, wobei ich - anders als im klassisch-aristotelischen Modell - denke, dass es keine festgelegte Richtung gibt, in der die Gesellschaftsformen durchlaufen werden.
Was Deine Überlegungen zur Impfung betrifft: Ja, zu Langzeitschäden sind per definitionem noch keine abschließenden Aussagen möglich.
Wir müssen also Analogien zu anderen Impfungen heranziehen, bei denen Langzeitdaten vorliegen und Analogien zu anderen Infektionskrankheiten, bei denen wir über Langzeitdaten verfügen. Denn wir müssen natürlich die (nur abschätzbaren) Risiken von Langzeitschäden durch die Impfung den (ebenfalls nur abschätzbaren) Risiken von Langzeitschäden durch Covid gegenüberstellen, um uns dann für die mutmaßlich beste Lösung zu entscheiden.
Dabei sind wir aber keineswegs in einem Münzwurfdilemma, sondern können dank unseres wissenschaftlichen Vorwissens durchaus zu näherungsweisen Abschätzungen gelangen.
Mechanistisch sind bei einer Impfung ganz allgemein (also nicht auf die Biontech-Covid-Impfung bezogen) zwei Möglichkeiten denkbar, wie es zu Langzeitschäden kommen kann:
1. Bei der Impfung wird versehentlich etwas mitverimpft, was selbst wieder zu einer Infektion führt, die dann Langzeitschäden nach sich zieht. Ich habe eine Quelle gefunden, die so ein Szenario für eine nicht zugelassene Gelbfieberimpfung im zweiten Weltkrieg beschreibt, bei der es dazu kam, dass wegen einer Verunreinigung versehentlich durch die Impfung Hepatitis B-Viren übertragen wurden (JAMA 1999; 282(9): 822).
2. Durch die Impfung wird eine Autoimmunreaktion getriggert (also das Immunsystem des Impflings wird fehlerhafterweise gegen ein körpereigenes Eiweißmolekül gelenkt), die dann zu Langzeitproblemen führt.
Punkt 1 kann
a) dann passieren, wenn der Impfstoff aus lebendem biologischen Material gewonnen wird und unzureichend aufgereinigt wurde. Der Biontech-Impfstoff ist allerdings vollsynthetisch, damit könnte also allenfalls (theoretisch) eine einzelne Teil-Charge durch unsachgemäß arbeitende Mitarbeiter (wenn diese unsauber arbeiten und selbst eine Infektion in sich tragen) verunreinigt werden (praktisch ist das zu 99,9999% ausgeschlossen - leider keine 100%). Allerdings ist es prinzipiell nicht möglich, dass JEDE Charge verunreinigt wird, weil der Impfstoff per se "sauber" ist. Damit ist ein Minimalrisiko auf Herstellerseite zwar theoretisch vorhanden, aber so gering, dass auf dem Weg des Impflings zum Impfzentrum per Autounfall, Blitzschlag oder Entführung durch Aliens substantiellere Risiken drohen, als sie mit dem Impfstoff verbunden wären.
außerdem kann Punkt 1 realisiert werden, wenn
b) im Impfzentrum (seeeeeeehr) schlecht geschultes Personal die Spritzen (oder gar: Kanülen) nicht wechselt (was ein absolut krasser Kunstfehler wäre) und damit eine Keimverschleppung von Impfling 1 zu Impfling 2 erfolgt. Das wäre natürlich nicht dem Impfstoff als solchen anzulasten, sondern den Leuten vor Ort. Hier scheint es angebracht, dass jeder, der sich impfen lässt mitdenkt und ein Auge auf das Personal wirft. Das merkt man dann schon, wenn da auf derartigem unterirdischen Niveau geschlampt würde. Sprich: In dem Vial darf zwar eine Entnahmekanüle stecken, die mehrfach zum Aufziehen auf eine Einmalspritze benutzt wird, aber zur Verabreichung des Impfstoffs muss zwingend immer eine neue sterile Spritze verwendet werden mit einer neuen sterilen Kanüle. Da die Impfungen laut mir vorliegenden SOPs in den Impfzentren nur durch pharmazeutisches Fachpersonal durchgeführt werden, ist hier ein Fehler praktisch auszuschließen und wir sind wieder bei obigen, relevanteren Risiken auf dem "Anreise"-Weg zur Impfung
Summasummarum sind Langzeitrisiken die mit Punkt 1 verbunden sind, bei der Biontech-Impfung irrelevant.
Damit bleibt Punkt 2, eine Autoimmunreaktion.
Das ist das Szenario, das bei der Schweinegrippe-Impfung (Du hast Dich hier auf Schweden bezogen, Hans, aber es gibt auch Berichte aus anderen Ländern) relevant war. Tatsächlich scheinen bei einem sehr kleinen Teil von Personen, die gegen die Schweinegrippe geimpft wurden, immunologisch bedingte Schlafattacken aufgetreten zu sein. Prinzipiell kann so etwas (wie oben schon angedeutet) dadurch zustande kommen, dass die durch die Impfung hervorgerufene "Anweisung" an das Immunsystem, ein bestimmtes Eiweißmolekül des Virus zu bekämpfen, "missverstanden" wird und eine Immunreaktion gegen ein nicht-virales, köpereigenes Eiweißmolekül auftritt. Dies kann dann passieren, wenn das bei der Impfung auserkorene virale Ziel-Eiweiß in seiner Struktur einem körpereigenen Eiweißmolekül ähnelt, so dass es anschließend im Immunsystem zu einer Art "Verwechslung" kommt. Wenn man diesen dahinter stehenden Mechanismus durchdenkt, wird aber klar, dass eine Impfung schwerlich eine Autoimmunreaktion auslösen kann, die nicht auch durch das Virus selbst ausgelöst werden könnte. Denn das Virus wirkt ja quasi auch wie eine Impfung (dahinter steckt ja das Konzept der Herdenimmunität, wenn man Covid einfach laufen lassen würde). Tatsächlich sind Schlaf-Attacken nach einer Infektion durch Viren im Allgemeinen und Grippeviren im Besonderen in der Vergangenheit häufig beschrieben worden. Der berühmteste Fall für ein massenhaftes (und auch noch besonders schweres) Auftreten von Schlaf-Attacken war der Morbus Economo, der während und nach dem ersten Weltkrieg etwa 1 Million Menschen betraf. Leider erlitten viele Betroffene als weitere Spätfolge dieser Erkrankung auch noch einen Morbus Parkinson. Es ist mittlerweile sicher, dass diese sog. "europäische Schlafkrankheit" als Spätfolge einer viralen Infektion auftrat, wobei der Erreger der spanischen Grippe der am häufigsten genannte Verdächtige ist - 100% beweisen lässt sich aufgrund des großen zeitlichen Abstandes zwar nicht mehr, welches Virus genau damals dafür verantwortlich war.... es war aber jedenfalls keine Impfung, denn die Erkrankung trat bei ungeimpften Personen auf
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Sprich: Wenn auch eine Langzeitfolge einer Impfung nicht ganz auszuschließen ist, so ist das Risiko für Langzeitfolgen der Covid-Infektion selbst als größer anzusehen. Dabei muss man berücksichtigen, dass Covid nicht nur (genau wie die Impfung) eine Autoimmunreaktion triggern kann, sondern aufgrund der direkten organschädigenden Akutwirkung des Virus (Herz, Lunge, Gehirn, evtl. auch Darm) zusätzliche Langzeitfolgen nach sich ziehen kann (quasi eine Art Vernarbung der geschädigten Organe) und diese Langzeitfolgen gelten für die Impfung nicht, da diese keine direkten akuten, organschädigenden Wirkungen hat. Einzige Ausnahme wäre der Impfling, der durch die Impfung eine akute allergische Reaktion erleidet, dabei ohnmächtig wird und mit dem Kopf auf einer Tischkante aufknallt mit anschließender Langzeitschädigung. Ein zwar theoretisch denkbares Szenario, aber wieder sind wir in der Höhe des Risikos um viele Größenordnungen unterhalb des Risikos durch Covid.
Jetzt habe ich versucht, das Problem so differenziert und ausgewogen darzustellen, wie das möglich ist. Leider führt das zu einem Text mit sehr vielen Wörtern, unter denen auch ein paar schwierige Ausdrücke sind und es führt zu Darlegungen, deren Verständnis ein Mindestmaß an Motivation, Verstand und logischem Denken zur Voraussetzung hat. Bei Dir, Hans, ist das sicher vorhanden... aber Covid-Leugner und prinzipielle Impfgegner werde ich mit meinen Ausführungen nicht überzeugen können - im Gegenteil... das liest sich alles so kompliziert und langatmig... das muss ja falsch sein....
LG!
S.