Autor Thema: Beteigeuze  (Gelesen 720 mal)

gummibaum

Beteigeuze
« am: Dezember 02, 2020, 14:40:24 »
Sie finden sich noch jung, die alten Sterne.
Doch ich, der junge, fühle mich sehr alt.
Hab Bluthochdruck und massige Gestalt.
Mein Kopf ist rot und strahlt so in die Ferne.     

Schon schwindelt mich, ich fühl mich transpirieren,   
um endlich, als mein Herz zusammensackt
und seine letzte Glut mich panisch packt,   
als Supernova jäh zu explodieren.

Und ein paar Wochen gleißt euch nun mein Ende,
als wäre ich der Stern von Bethlehem.
Als ob ein zweiter Mond am Himmel stände, 

mach ich die Nacht zum magischen Extrem.
Dann lege ich mein Licht in Gottes Hände. -
Er hat mit Schwarzen Löchern kein Problem…
« Letzte Änderung: Dezember 02, 2020, 15:48:35 von gummibaum »

Sufnus

Re: Beteigeuze
« Antwort #1 am: Dezember 02, 2020, 15:08:03 »
Hi gum!
Das astrale Thema beschäftigt Dich! :) Kürzlich hast Du schon in einem schönen Entliebungsgedicht auf den Tod alter Sterne Bezug genommen (hab ich das schon kommentiert? Wenn nicht kommt das noch!!! :) ) - nun darf Beteigeuze lyrisch erstrahlen! :) Man nimmt zwar mittlerweile in Expertenkreisen an, dass dieser rote Überriese gar nicht so gewaltig groß ist, wie lange gedacht (da er uns näher steht, als bis dato angenommen) und mithin auch die Supernova noch etwas länger auf sich warten lassen wird - aber das macht mich eher misstrauisch... Experten haben diese fatale Neigung ständig daneben zu liegen ;)
Also wer weiß, vielleicht knallts ja doch zu unseren Lebzeiten, bzw. hat bereits mit ausreichend Vorlauf bumm gemacht, so dass schon zu unseren Lebzeiten Licht vom kosmischen Kawumm bei uns vorbeischeint? :) Wie stimmig wäre es, wenn dies zur Weihnachtszeit geschieht! :)
Irgendwo in den Forenuntiefen hab ich ja auch schonmal auf das noch am Himmel scheinende Licht längst erloschener Sterne ein Verslein verfasst... :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Beteigeuze
« Antwort #2 am: Dezember 02, 2020, 15:37:37 »
Hi Gum!

Ein sehr gelungenes Sonett!  :)

S3Z3 - hat ein "am" zuviel.

Inhalt: Eine interessante Personifizierung eines kurzlebigen Riesensterns, der in einer Ein-Stern-Hypernova enden muss. Bei mehr als ca. 90 Sonnenmassen passiert diese, sobald der Kern beginnt, bei der Kernfusion Eisen zu produzieren. Alle noch schwereren Elemente (zB Silber, Gold, Platin, Uran) entstehen danach nur wenige Sekunden lang im Augenblick der Detonation, wenn Druck und Hitze dadurch noch potenziert werden. Darum sind sie auch vergleichsweise so selten.
Zum Vergleich: Unsere Sonne beginnt zu sterben, sobald sie Kohlenstoff produziert, also dank mangelnden Gravitationsdrucks viel früher. Sie bläht sich zum immer heißeren roten Riesen auf (bis zur Umlaufbahn des Mars wahrscheinlich), stößt ihre Außenhülle irgendwann ab und glüht noch Milliarden Jahre als planetengroßer weißer Zwerg weiter, aber ohne weitere Fusionsprozesse, während der Riesenstern - je nach Größe und Masse - zu einem Neutronenstern (Quasar, Pulsar, Magnetar) oder einem schwarzen Loch kollabiert.

Interessanter Widerspruch: Einerseits konterkariert der Stern jegliche Religion mit dem Vergleich seines Explosionsblitzes mit dem Stern von Bethlehem, wodruch er ja eine wissenschaftliche Alternative zum "magischen" Stern der drei Weisen anbietet, legt aber im Sterben sein Geschick dennoch "in Gottes Hände", so als müsste es wie selbstverständlich doch einen solchen geben.

Sehr gern gelesen! (Trotz der Gottergebenheit, die die Conclusio atmet ...) :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Beteigeuze
« Antwort #3 am: Dezember 02, 2020, 16:12:29 »
Danke, lieber Sufnus.

Ja, die Messungen und Prognosen schwanken fast wie die Helligkeit des roten Überriesen. Mein Interesse kommt immer mal wieder bei den Sternen, Planeten, Kometen und Schwarzen Löchern vorbei. Schön, wenn du auch ein Gedicht dazu verfasst hast.


Lieber Erich, vielen Dank.

Du kennst dich bestens aus mit den Stern-Biographien. Ich habe zu Gott ein gutes Verhältnis, obwohl er wahrscheinlich nicht existiert. Auch fand ich so große Hände bei sonst niemandem und auch keinen sonst, der sich Schwarzen Löchern so unbeschadet nähern kann. Das "am" ist getilgt.


Liebe Grüße von gummibaum

 


Erich Kykal

Re: Beteigeuze
« Antwort #4 am: Dezember 02, 2020, 18:34:05 »
Hi Gum!

Das ganze Konzept "Gott" und dessen Anbetung ist für mich Ausdruck eines bedürftigen, weil angsterfüllten, unfreien Geistes, der Trost darin sucht, ein Leben lang väterlich behütet zu bleiben, wie man es als Kind war (die Bezeichnung als "Gottes Kinder" entlarvt es!). Und natürlich: Um nach dem Tod doch nicht tot zu sein, oder um sich allen "Ungläubigen" rechtschaffen überlegen fühlen zu können ...
Manchmal ist Gottesfurcht auch Symptom eines unbeweglichen, rigiden Geistes, der ohne "höhere Ordnung" nicht sein will oder kann. Rückständiglkeit, Bildungsferne und Dummheit leisten Vorschub. Dabei gilt: Der Glaube von heute ist der Aberglaube von morgen. Aber jede "gegenwärtige" Generation ist überzeugt: Wir haben jetzt die ultimative Wahrheit gefunden! Die kleine Welt der kleinen Geister ...

Aber selbst wenn es Gott gäbe: Ich sähe nicht ein, warum ich ihn anbeten sollte, oder gar ins Knie sinken oder sein Lob singen! Ich empfände das als Lobhudelei, als Einschleimen, um die Macht milde zu stimmen, die mich vernichten kann, oder als devotes, jämmerliches Betteln um Erhörung und Gnade. Welcher väterlich stolze Gott könnte so ein Verhalten wünschen, um seine Schöpfung in lebenslanger geistiger und emotionaler Abhängigkeit von seiner Willkür zu halten!?
Und vor allem wäre ein Gott, der solches von seinen "Kindern" erwartet, für mich alles andere als anbetungswürdig - oder überhaupt respektabel!

Darum spielt Gott für mich keine Rolle, unabhängig davon, ob es "ihn", oder irgendeinen, nun tatsächlich gibt. Alle Wahrscheinlichkeiten des bekannten Universums sprechen dagegen, und zwar desto mehr, je mehr Fakten darüber bekannt und bewiesen werden.
So bleibt als Fazit: Wer nicht lernen will, muss beten. Heißt: Er bleibt unfreier Sklave seiner fiktiven Vorstellungswelt, anerzogen oder selbst gewählt, und liefert sich damit willen- und bedingungslos jenen aus, die im Namen des nämlichen Gottes zu sprechen behaupten.

Aber was lamentiere ich da - die alle unsägliche Armseligkeit des Menschen entlarvende unterwürfige Dummheit namens Religion werde ich niemals erfolgreich niederringen! Noch in 10.000 Jahren werden verführte Menschen im Namen ihrer Götter töten und sterben gehen. Ein Fluch, scheinbar so unsterblich wie die behaupteten Überwesen ... - Seufz!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 02, 2020, 18:36:49 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Beteigeuze
« Antwort #5 am: Dezember 03, 2020, 02:00:14 »
Lieber Erich,
 
ich mag den Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn, der Freude, Toleranz und Vergebung lebt. Seine großen Hände gefallen mir. Wenn jeder sie hätte, gäbe es weniger Probleme. Selbst Schwarze Löcher, die viele  fürchten und ausgrenzen, haben Platz darin.
 
Ich habe deshalb „Hände“ ins Gedicht aufgenommen, nachdem ich vorher das reimende Wort „Wende“ erwogen hatte, um Gott zu umgehen. Aber ich habe ein Vertrauensverhältnis zu Gott, womit ich nichts anderes als meine innere Stimme meine.

Liebe Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Beteigeuze
« Antwort #6 am: Dezember 03, 2020, 09:54:16 »
Hi gum!
Ich finde diese humane (!), unausgrenzende Hinwendung, die selbst schwarzen Löchern Inklusion anbietet, ist ein wunderbarer Gedanke! :)
Beim Wiederlesen ist mir noch der Einfall gekommen, dass evtl. "Emblem" noch ein schöneres Reimwort wäre als "Extrem" (?).
Und einen ganz kleinen grammatischen Stolperer habe ich womöglich noch erspäht: Zeigt "als" im Sinne einer zeitlichen Konunktion (S2Z2) nicht Vorzeitigkeit an, so dass es strenggenommen "als mein Herz zusammensackte" heißen müsste? Vielleicht wäre "wenn" oder "da" (letzteres zwar etwas altertümlich) die grammatisch klarere Lösung?
Auf alle Falle ist das ein Gedicht, das dem Sternentod sehr tröstliche Aspekte abringt - "verbrannte Erde" als Kategorie für diese Zeilen ist angesichts des ausbrennenden (und seine Planeten verschlingenden) Sternes eine hintergründig-passende Einsortierung, aber ich fühle mich zum Ende der Zeilen ganz gut aufgehoben. :)
Ein Sternen-besessener Dichter war übrigens Friedrich Dürrenmatt. Auf www.planetlyrik.de gibt es (per google findbar) die schöne (wenn auch astrophysikalisch an einer Stelle etwas ungenaue) Abhandlung von Peter v. Matt über Dürrenmatts Gedicht "Siriusbegleiter" zu lesen samt den Originalversen des Dichters. Sehr schön Dürrenmatts Zeilen: "Erdenkleiner Sternengreis / Heiß wie Feuer, weiß wie Eis". :)
LG!
S.