Autor Thema: Meiner Feder  (Gelesen 921 mal)

gummibaum

Meiner Feder
« am: November 22, 2020, 15:51:52 »
Wenn ich schreibe, will mir scheinen,
dass die Feder mich regiert,
Worte aus den Seelenschreinen
an sich reißt und formuliert.

Lese ich, was sie geschrieben,
wird mir wunderlich zumut.
Meinem Bild nicht treu geblieben,
überschrieb sie es mit Blut.

Anders hat sie mich gegeben,
eigentlicher soll ich sein,
meinem Wagemut zu leben,
flößte sie Vertrauen ein…

Erich Kykal

Re: Meiner Feder
« Antwort #1 am: November 22, 2020, 16:49:18 »
Hi Gum!

Was ich immer sage - mir geht es ebenso beim Dichten! Manchmal weiß ich kaum, woher der Hirnbereich, der beim Dichten aktiv zu sein scheint, das hernimmt, was mich hinterher überrascht!

Ein hochgeschätzter Bekannter von mir hat mal gemeint: Beim Dichten können wir nicht lügen, zumindest nicht, wenn wir es ernsthaft betreiben. Was uns da in die Feder fließen will, kommt aus dem Innersten Kern unseres Wesens, das den meisten Menschen nicht mal selbst geläufig ist!
Gemeint ist nicht der pathetische Mist, den sich die manipulativ motivierten Tränendrüsendrückerpoeten aus politischem Kalkül, aufgesetztem Sendungsbewusstsein oder schlichtem Drang zur Selbstzelebrierung mehr oder weniger sprachsicher abzwingen, ohne sich je den inneren Regionen ihrer selbst dabei geöffnet zu haben!

Ich habe insofern widersprochen, als dass es logischerweise zwei Ausnahmen geben muss:
1) Wenn man gelernt hat, sozusagen nur halb einzutauchen, und sich so genug "oberflächliche" Selbstkontrolle erhält, um für sich allzu empfindliche Themenbereiche zu umschiffen (was die meisten Dichter mE. tun).
2) Wenn der Dichter tatsächlich in seinem innersten Kern ein Lügner ist.

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Meiner Feder
« Antwort #2 am: November 22, 2020, 18:15:53 »
Danke! Ein schöner Kommentar wieder, lieber Erich. Freudig und mit Gewinn gelesen. 

Grüße von gummibaum 

AlteLyrikerin

Re: Meiner Feder
« Antwort #3 am: November 23, 2020, 09:14:55 »
Ja, ein wichtiger Teil der Lyrik stammt aus dem Unbewussten. Das Unbewusste ist eben nicht nur die gefährliche Freudsche Kloake, sondern die Quelle des Kreativen, Künstlerischen in uns. Wenn die Ratio zu sehr das Steuer übernimmt, dann kommt eben manchmal nur kleinlich Flaches heraus.
Das hast Du, lieber Gummibaum sehr gut beschrieben (insbesondere die "Seelenschreine" haben es mir angetan).
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

gummibaum

Re: Meiner Feder
« Antwort #4 am: November 23, 2020, 22:54:37 »
Danke, liebe Altelyrikerin. Du sagst es.

Und Freud sah es so ähnlich: er hielt die ins Unbewusste verdrängten Wünsche für Quellen der Kreativität und sogar für die Wurzeln der Kultur überhaupt.

Liebe Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Meiner Feder
« Antwort #5 am: November 24, 2020, 11:57:41 »
Lieber gum!
Da beschreibst Du äußerst gekonnt, ja regelrecht schmissig und mitreißend, einen der beiden Pole des dichterischen Tuns: Die Anbohrung seelischer Tiefenschichten, aus denen dann vorbewusste, die Grenzen des alltagsgebundenen Schemadenkens sprengende Inhalte sprudeln. Die antipodale Position im Lyrikraum ist diejenige des handwerklich-durchdacht arbeitenden Bewusstseinstäters, E. A. Poe wäre ein wortgewaltiger Protagonist dieser Haltung, der in mühevoller Kleinarbeit und geduldig kalkulierend seine Entwürfe immer weiter verfeinert und in Form bringt. Auch Gottfried Benn kann man hier zitieren: "Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten - ein Gedicht wird gemacht."
Die Synthese beider Angänge ist naheliegend: Erst den Denk-Pausenknopf drücken und die Fantasie explodieren lassen, um anschließend die Konfettistückchen der gezündeten Partybombe aufzusammeln und feinsäuberlich zum Gedicht zu arrangieren. :)
Sehr gerne gelesen!
S.

Erich Kykal

Re: Meiner Feder
« Antwort #6 am: November 24, 2020, 19:50:07 »
Hi Suf!

Benn's Aussage mag sinngemäß dessen, was er damit aussagen wollte, nachvollziehbar sein, sprachinhaltlich allerdings ist sie Blödsinn. Das "Machen" eines Gedichtes IST ein Entstehungsprozess, daher sind beide Verben korrekt.

Bei mir wirken beim Dichten offenbar mehrere Hirnareale zugleich: Das inspirative Unterbewusste als Regisseur, das aktive Sprachzentrum zur Wortfindung, Ausformulierung, Für Metrik und Reimschema. das musikalische Zentrum für Sprachklang und Satzmelodie. Das Ganze findet in einer Art aufwallend rauschhaften Halbtrance statt, ähnlich einem leichten Trip.
Dieser kreative Zustand reicht für ein oder zwei Sonette, so von der Länge her, oder für etwa eine Stunde maximal, danach ermüdet und zerfällt die interne Verbindung, darum gibt es kaum längere Gedichte von mir. Natürlich kann ich auch rein handwrklich Gedichte "bauen", aber Spaß macht das im Vergleich kaum, und dem Arbeitsergebnis kennt man das konstruierte Moment meist auch an. Darum lasse ich es meist.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Meiner Feder
« Antwort #7 am: November 26, 2020, 18:51:20 »
irgendwie passt dies, lieber Gum, genau zu meiner Salzseelyrik, denn auch der Dichtende schreibt immer sich selbst.
ich hatte mal einen Bekannten, ein guter Schreiber, leider nun sehr krank und alt, der sagte: ich schreibe von mir weg. Ich habe das immer bezweifelt, dass einer von sich weg schreiben kann und in eine Rolle schlüpfen. Als ich ihn kennenlernte, persönlich, sah ich, dass ich recht hatte. Aber er blieb bei seiner Fata Morgana. So hat der Salzsee ihn verschluckt und niemand nahm ihn als Schreibenden noch ernst...
LG von Agneta

gummibaum

Re: Meiner Feder
« Antwort #8 am: November 28, 2020, 14:28:52 »
Danke, liebe Agneta.

Dein Gedicht über den Salzsee kann ich nach anfänglichen Schwierigkeiten gut nachvollziehen. Und was deinen Bekannten, den von sich Weg-Schreiber, betrifft, der vielleicht bei der Entstehung deines Gedichts unbemerkt Pate stand:   

Man kann natürlich über andere schreiben oder sich eine Figur suchen, die wenig mit einem gemein hat. Ganz außenstehend ist man aber auch dann nicht. Selbst ein wissenschaftlicher Text empfängt, solange man diesen nicht einfach abschreibt, etwas von der Persönlichkeit des Schreibers.
Für mich gilt, dass ich das Schreiben durchaus therapeutisch einsetze, mir etwas von der Seele schreibe und dabei auch unbewusste Inhalte auftauchen, die anzuerkennen und zu integrieren mich authentischer werden lässt.

Liebe Grüße von gummibaum