Autor Thema: Werte und Worte  (Gelesen 978 mal)

Agneta

  • Gast
Werte und Worte
« am: November 14, 2020, 12:36:26 »
Werte und Worte


Das Wort, das man ausspricht, das wird nicht vergehen,
wird interpretiert, von dem Sprechenden frei.
Der Wendehals nannte dies klug „Panta Rhei“.
Die Welt ist verlogen seit ihrem Bestehen.

Doch traute ich dennoch den Alt-Philosophen,
den Werten der Schriften, die Zeit nicht zerbricht,
dann zweifelte, grübelte, suchte ich nicht
und schrieb heut vermutlich nicht mehr als zwei Strophen.
« Letzte Änderung: November 14, 2020, 18:42:45 von Agneta »

AlteLyrikerin

Re: Werte und Worte
« Antwort #1 am: November 14, 2020, 13:43:55 »
Liebe Agneta,

das kenne ich gut, das Gefühl, dass Du hier sehr treffend beschreibst, und für das die Philosophen nicht wirklich eine Antwort gefunden haben. Denn sie beschreiben immer, was schon geschehen ist, seine Strukturen und Gesetzmäßigkeiten, oder was geschehen soll. Dazwischen lassen sie uns ziemlich allein.

In einem meiner Texte schrieb ich einmal über die Menschen und ihre leichtfertig dahin gesagten Worte:


"Den Widerspruch zum Wort
leben wir lange
und leiden kaum
an der klaffenden Wunde
zwischen Reden und Tun."

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Werte und Worte
« Antwort #2 am: November 14, 2020, 15:27:25 »
Hi Agneta!

In S1Z1 würde ich das doppelte "das" vermeiden, indem ich nach dem Komma "es" verwendete.

S1Z2 - Warum ist ein Apostroph hinten an "frei"?

S2Z1 - Was spricht dagegen, "Altphilosophen" zusammen zu schreiben?

S2Z2 - Bitte Leerstelle zwischen den beiden ersten Worten. Schöner und im 2. Teil weniger missverständlich formuliert: "dem Wert aller (oder: ihrer) Schriften, den Zeit nicht zerbricht".


Inhaltlich bin ich ganz bei dir, bis auf die Aussage, dass "Panta Rhei" ein Spruch von Wendehälsen sei. Die Philosophie dahinter ist ganz anders gemeint, und die Deutung in deinem Gedicht geht, wie ich meine, sehr daran vorbei und tut diesem philosophischen Konzept Unrecht.
"Alles fließt" (oder: - ist fließend) bedeutet mitnichten, dass alles im Grunde wischiwaschi oder egal sei, was jede Amoral rechtfertigte oder jedes Hintertreiben von stabilen Werten. Es sagt nur aus, dass alles sich stetig wandelt und verändert, nichts gleich bleibt - und das ist, im großen Rahmen des Universums wertfrei betrachtet, ein unleugbares Faktum und kein Argument für Wendehälse.
Dieser Ausdruck für "unter allen Umständen Anpassungswillige zum Zwecke der Überlebenssicherung" mag seine abfällige Bewertung unter bestimmten Umständen verdient haben - nämlich wenn Menschen Unrecht und Grausamkeit kalkuliert dulden oder sogar dabei mithelfen, nur um nicht selbst zum Ziel zu werden, oder, besonders verwerflich, wenn jemand einfach nur seine Feigheit oder seine Soziopathie damit tarnt.
Das hat alles aber - wie gesagt - nichts mit der Idee hinter dem Begriff "Panta Rhei" zu tun, wie deine Formulierung es nahelegt.

Solltest du beabsichtigt haben, dies als weiteres Beispiel dafür anzuführen, dass alles nach Bedarf uminterpretiert werden kann, und eben auch negativ, so funktioniert dies hier leider nicht, da diese 3. Zeile als Erklärung und/oder Zusatzinformation mit Wahrheitsanspruch innerhalb des Sinnzusammenhangs des Satzkonstruktes für die Aussage von Z2 angebracht wurde.


Gern gelesen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 14, 2020, 15:31:02 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Werte und Worte
« Antwort #3 am: November 14, 2020, 18:42:19 »
liebe AL, ich danke dir für deine Gedanken, auch für das Verschen, das es genau trifft. Das freute mich sehr.

Lieber Erich,
ich hatte zunächst "es", aber es kam mir komisch vor.

Ich weiß, was Panta Rhei bedeutet und gerade, da ich es weiß, wehre ich mich gegen seine heutige Sinnbeugung, in der es von vielen so als Floskel für mancherlei herhalten muss:
als Entschuldigung für Fehlverhalten, als schicksalshaftes Ergeben , das eigentlich oberflächliches Interesse am anderen ist, Egoismus oder Trägheit. Verlogen eben, wie ich ja schrieb.
Eine kleine Spielerei mit den 2! Strophen...
Danke dir und lG von Agneta

Sufnus

Re: Werte und Worte
« Antwort #4 am: Dezember 12, 2020, 10:50:32 »
Hi Agneta! :)

Diese schönen und nachdenklichen Verse von Dir habe bisher umkommentiert gelassen aus einem etwas peinlichen Grund: Ich habe die Aussage nicht so ganz verstanden.

Nun bin ich aber selbst ein großer Freund von Gedichten, die dem eindeutigen Verständnis Widerstände entgegenstemmen, da diese Gehirnprovokation eine überaus geistdurchblutende Wirkung zeitigt. :) Und dass nun gerade ein sprachkritischer Text eine zumindest teilweise Versiegelung von Bedeutungsebenen aufweist, ist ja durchaus stimmig. :)

Wenn man schnell über die Zeilen hinwegliest, bemerkt man die inhaltliche Unzugänglichkeit einiger Passagen womöglich gar nicht, aber je länger man über den Text nachdenkt, desto schwankender wird der Untergrund, auf dem man sich entlang hangelt.

So stößt man auf die (an Sprüche alter Zenmeister erinnernde) Paradoxie, dass die Unvergänglichkeit (Z1) des Wortes mit dem griechischen Sinnspruch über das Dahinfließen (was ja gerade eine Vergänglichkeit impliziert) gleichgesetzt wird. Dann diese Provokation der Z4: Die Verlogenheit der Welt wird als eigentlicher Urgrund ihrer Beständigkeit präsentiert. Das stößt die platonische Idee einer ewigen Wahrheit als Fundament des Seins empfindlich vom Sockel. Und in großartig souveräner A-Logik wird dann in Z1/2 der S2 das unerschütterte Vertrauen auf den unverbrüchlichen Bestand der altphilosophischen Schriften (inklusive jener vom Panta Rhei, die ja Beständigkeit gerade leugnet) deklariert. Und schließlich präsentiert uns die letzte Zeile noch ein besondere Pointe: "ich schrieb heut vermutlich nicht mehr als zwei Strophen" - das steht da in der Vergangenheitsform, also müsste ja - zumal für das lyrische Ich - nachprüfbar sein, ob an diesem Tag, dem 14.11. 2020 nun wirklich nur zwei Strophen verfasst wurden oder nicht. Dennoch stößt der Leser auf das hartnäckige "vermutlich".
So stehen wir betroffen - den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Ich mag das! :)

LG!

S.

P.S.
Zwei kurze formale Anmerkungen:
- Panta Rhei wird eigentlich nicht mit einem deutschen Diphthong-Ei wie im Früchstücksei oder eben in frei ausgesprochen, sondern eher Rhej oder Rheij, der Reim ist also eigentlich keiner bzw. es handelt sich um einen sogenannten Augenreim wie in: Frage - Karambolage
- "doch traute ich dennoch" (S2Z1) könnte man unter Einsparung eines Gegensatz-anzeigenden Adverbs etwas gefälliger formulieren. Vorschlag: Doch traute ich weiter den Alt-Philosophen. :)

P.P.S.
Besonders hervorhebens- und rühmenswert ist noch der Titel: Ein harmloser Vokal wird verändert und schon zerfließen (ewige?) Werte zu (bloßen?) Worten. Cool! :)

Agneta

  • Gast
Re: Werte und Worte
« Antwort #5 am: Dezember 12, 2020, 19:25:14 »
lieben Dank, lieber Sufnus, für deine Auseinandersetzung mit dem Gedicht, das du mit viel Empathie tatest. Wenn du das schrieb als Konjunktiv liest ( so war es gemeint), dann zeigt sich die Lösung.
Ich finde der Wert des Wortes wird heute missbraucht. Schnell dahingesprochen, oberflächlich. und wie man an den Neologismen sieht, auch wandelbar. So, wie sich die soziale Gesellschaft wandelt .
Herzlichen Dank und lG von Agneta

gummibaum

Re: Werte und Worte
« Antwort #6 am: Dezember 13, 2020, 01:04:03 »
Werte und Worte hast gut gegeneinander abgewogen.

Die Altphilosophen wie Heraklit (Panda Rhei) und Platon haben sich um Werte verdient gemacht. Es war ihr Anliegen, jenseits der Worte und des steten Wandels von Anschauungen einen festen Maßstab für das gute Handeln zu finden, einen Rückfall aus der Zivilisation in Barabarei zu verhindern.

Grüße von gummibaum
« Letzte Änderung: Dezember 13, 2020, 12:24:06 von gummibaum »

Grüngold

Re: Werte und Worte
« Antwort #7 am: Dezember 13, 2020, 01:35:06 »


- Panta Rhei wird eigentlich nicht mit einem deutschen Diphthong-Ei wie im Früchstücksei oder eben in frei ausgesprochen, sondern eher Rhej oder Rheij, der Reim ist also eigentlich keiner bzw. es handelt sich um einen sogenannten Augenreim wie in: Frage - Karambolage


Etwas off topic möchte ich dazu anmerken:
Dieses Problem habe ich auch, wenn ich meine alemannische Muttersprache schreiben möchte, in der ein ei eben auch echt als "ei" gesprochen wird, so wie im Mittelhochdeutschen.  Es ist der Laut wie im englischen "late".

Um nicht Lautschrift schreiben zu müsse, helfe ich mir z. B. auf diese Weise:
1 -  2 - 3   ist dann bei mir: ejns - zwej - drai - oder auch: äins  - zwäi - drai.
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Agneta

  • Gast
Re: Werte und Worte
« Antwort #8 am: Dezember 14, 2020, 20:08:57 »
 ;D eingedeutschtes Panta
sei mir heut mein Mantra. ;D
Danke und lG von Agneta