Autor Thema: Späte Blüte  (Gelesen 1277 mal)

AlteLyrikerin

Späte Blüte
« am: November 04, 2020, 13:52:01 »
Die erste Blüte
ist ein Wunder,
ein erwartetes.

Die späte Blüte,
nach den Einschnitten
ins Leben,
ist der Mut, angesichts des Todes
noch etwas Neues zu beginnen.
« Letzte Änderung: November 04, 2020, 14:03:44 von AlteLyrikerin »

Erich Kykal

Re: Späte Blüte
« Antwort #1 am: November 04, 2020, 14:00:09 »
Hi AL!

Bitte Komma nach "Mut".

Bezüglich des Textes: Du kennst meine Einstellung zu dieser Art Strukturprosa ja schon. Aber der Satz an sich ist schön.

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 04, 2020, 14:10:17 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Späte Blüte
« Antwort #2 am: November 04, 2020, 14:11:11 »
Hi Erich,


Danke für die Meldung des Kommafehlers. Ja, Deine Meinung zu sogenannter "Strukturprosa" kenne ich. Für mich ist es nicht kränkend, wenn Du diese Kategorie auf meine Texte anwendest.
Aber macht es Dich nicht etwas stutzig, wenn Du damit großartige Werke der modernen Lyrik (u.a. Hilde Domin, Rose Ausländer) einfach als nicht lyrisch abkanzelst? Ein wenig erhebst Du Dich damit zu einem "Papst", der festlegt, was Lyrik ist. Unter Deinen Prämissen darf sich die Lyrik nicht mehr weiterentwickeln sondern muss bei den Stilmitteln kleben bleiben, die zur Blütezeit der streng metrisch komponierten und gereimten Lyrik angesagt waren.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Späte Blüte
« Antwort #3 am: November 04, 2020, 14:46:35 »
Hi AL!

Vielen Dank für dein verbindliches wie vorbildliches Verständnis.  :)

Es ist sicher nicht selbsterhebend gemeint, wenn ich schlicht nur sage, was mir selbst als Lyrik behagt und was ich lieber anders bezeichnet sehen möchte.

Welche Stellung in der Lyrikgemeinde andere mir verleihen, warum auch immer, liegt nicht in meiner Möglichkeit zu beeinflussen, ebenso wenig wie das Gewicht, das sie meinen Worten beimessen.

Gemeint ist es jedenfalls sicher nicht herablassend oder exkludierend - ich kann mit dem "modernen Zeux" eben nur persönlich einfach nichts anfangen. Dies aber als Argument anzudeuten, ich würde damit Meinungsmache bei anderen betreiben wollen, geht an meiner Intention völlig vorbei.

Klar - mir persönlich wäre es lieber, es hätte die reimlose Dichtkunst nie gegeben, aber natürlich ist das eine rein subjektive Sichtweise, die selbstredend meinerseits keinerlei Anspruch auf Massenmanipulation erhebt (soweit man von der schmalen Dichtergemeinde als "Masse" sprechen kann ...).

Ich habe - soweit ich weiß - keine "Follower", im Gegenteil, ich ermutige jeden, soweit es in meinen lyrischen wie argumentativen Möglichkeiten liegt, selbst zu denken und sich selbst zu genügen - und dazu zu stehen. Einen wie auch immer gearteten Anspruch auf "Päpstlichkeit" lehne ich rundheraus ab.

Lyrik ist und bleibt Geschmackssache, und nach meinem Geschmack gibt es kaum "Großartiges" in der modernen Lyrik, und das wenige wirklich Sprachgewaltige wie Inhaltsmächtige krankt für mich an der nach meiner Lesart frugalen, prosaischen Form. Damit allerdings verbiete ich niemand anderem, in diesen Werken Großartiges zu erkennen und es dementsprechend zu vetreten und dafür einzustehen, so wie ich es für meine Ansichten tue.

Mir ist durchaus bewusst, dass ich meine Sicht dadurch einenge und beschneide, und vielleicht ändert sich auch irgendwann mein Geschmack (was mir allerdings eher recht unwahrscheinlich erscheint, sorry ...), aber bis dahin bleibe ich eben ein in diesem Aspekt kleingeistiger, aber überzeugter Vertreter und Verfechter der altbackenen, klassischen Lyrik mit Reimchen und Förmchen! ;) 8)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Späte Blüte
« Antwort #4 am: November 04, 2020, 14:59:14 »
Hi Erich,


selbstverständlich hast Du das Recht für Dich persönlich zu entscheiden, was Dir als Lyrik gefällt und Dich auf den metrisch geformten, gereimten Teil der Lyrik festzulegen. Aber gerade wir Menschen, die mit Worten arbeiten, wissen doch sehr genau, dass es oft auf Nuancen in der Formulierung ankommt. Es ist ein Unterschied, ob ich sage, das gefällt mir nicht, oder, das ist Strukturprosa, also keine Lyrik.


Aber selbst darüber müssen wir uns künftig nicht mehr auseinandersetzen. Ich wollte nur erklären, warum ich Dich, sicherlich auch ein wenig polemisch, zum Lyrikpapst ernannt habe. Es ändert nichts daran, dass ich Dich als Poeten schätze, und mich über das Kompliment ("Aber der Satz an sich ist schön") gefreut habe.


Liebe Grüße, AlteLyrikerin.

Sufnus

Re: Späte Blüte
« Antwort #5 am: November 04, 2020, 16:17:48 »
Hi AL!

Im Gegensatz zu eKy erfreue ich mich sehr an ungereimten und metrisch freien Kurzformen und zähle diese auch durchaus zur Lyrik - das ist ein weites Feld, auf dem es sich trefflich streiten lässt, und ich würde einen Streit - oder sagen wir mal besser: einen freundlichen, zugewandten und interessierten Diskurs auch nicht zum verzichtbaren, fruchtlosen Unterfangen erklären. :)

Natürlich müssen sich all jene (also auch ich), die nicht Reim und/oder metrisch gebundene Sprache zum definierenden Element von Lyrik erklären, die wichtige und schwierige Frage gefallen lassen, was denn dann die Definition von Lyrik ist. Die Kürze eines Textes alleine eignet sich meines Erachtens nicht so sehr zur Begriffsbestimmung, weil erstens manches Gedicht, das sich für mich unzweifelhaft wie Lyrik "anfühlt", doch recht lang ist und mich zweitens viele Textgattungen, die sich durch ihre Kürze auszeichnen, ganz ohne lyrische Anmutung zurücklassen.

Ich denke, hierzu werde ich mich andernorts an Auszulassungen versuchen und will jetzt doch lieber auf Deinen Text zu sprechen kommen. :)

Hier ist muss ich zunächst an einen Goethevers denken:

Nun weiß man erst, was Rosenknospe sei,
Jetzt, da die Rosenzeit vorbei;
Ein Spätling noch am Stocke glänzt
Und ganz allein die Blumenwelt ergänzt.

 
Dabei macht es der Alte natürlich uns allen schwer - wenn man nur noch bedichten wollte, was bei Goethe nicht schon das Herz zu erfreuen wusste, bliebe ja nur noch, über Smartphones, Gentechnologie und die bemannte Marsmission zu schreiben. Also ist es wohl gut und richtig, sich auch in den Fußstapfen des Geheimrats zu tummeln. Ich will mit dem Vergleich aber auf etwas ganz bestimmtes hinaus: Bei G. wird nur angedeutet, aber nicht ausgedeutet. Der Vergleich von Rose- und Menschengeschick ist nicht notiert, nur impliziert. Wenn ich das lese, fühle ich mich frei, kann die Zeilen, ob hortologisch, ob ontologisch, in vielerlei Windrichtungen geistig fortschreiben. Ich kann Trauer empfinden, aber auch Trost, ja sogar Rührung.

Dein Gedicht spricht mich durchaus auch an - sehr sogar. :) Und die Wendung vom erwarteten Wunder ist gar grenzgenial. Mindestens. :) Aber für mich ist die zweite Strophe dann so furchtbar eng. Sie reizt mich irgendwie zum Widerspruch - aber ich käme mir dumm vor, wollte ich etwas dagegen sagen: "Nein! Angesichts des nahenden Winters noch Energie in blöde Blütenträume zu verschwenden, ist frivol und verantwortungslos!" - wer so etwas von sich gibt - wie steht der denn da? Ein engherziger, bitterer Scrooge, mit dem wohl zu recht niemand, der noch ein Herz in der Brust schlagen fühlt, ständigen Umgang pflegen wollen könnte! Und daher fühlt sich die zweite Strophe für mich persönlich nach einer gedanklichen Zwangsjacke an. Doch wenn ich dem Rat nun folgte und knospte in den Winter hinein und stünde dann belämmert vor dem erfrorenen Blütenmatsch, wie ginge es dann weiter?

Also tatsächlich - jetzt bin ich wirklich im Scrooge-Modus gelandet und ein kleines bisschen habe ich den Verdacht, aufgrund aktueller globaler Wetterverhältnisse heute nicht so recht empfänglich für den (für mein Liking) etwas allzu eindeutigen Zuspruchsgestus Deiner Zeilen zu sein, liebe AL. Ich bin hier also wohl etwas ungerecht und sollte womöglich einfach auf die Delete-Taste drücken. Aber viel besser ist es doch vielleicht, hier hinzuschreiben, dass meine Ausführungen als zugespitzte Diskussionsgrundlage zu verstehen sind, nicht aber als finales Verdikt - schon gar nicht für die Allgemeinheit gesprochen, aber noch nicht einmal zur Gänze für den Sufnus.

LG!

S.
« Letzte Änderung: November 04, 2020, 16:21:44 von Sufnus »

AlteLyrikerin

Re: Späte Blüte
« Antwort #6 am: November 05, 2020, 13:51:57 »
Lieber Sufnus,

herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar! Ja, der Hinweis auf die "Enge" der zweiten Strophe ist mir sehr wertvoll. Ich schrieb, die Verse so, weil sie mir persönlich existientielle Wahrheit sind. Aber sie drängen dem Leser etwas auf, dass er für sich selbst entdecken sollte. An diesem besonderen Punkt möchte ich gerne intensiv weiter arbeiten. Künftige Arbeiten werde ich daraufhin nochmals eigens abklopfen, bevor ich sie veröffentliche. Nicht alles, was wahr ist, ist auch lyrisch, und nicht alles Lyrische ist wahr. ;D

Aktuell denke ich über folgende Variante nach:

Die späte Blüte,
nach den Einschnitten ins Leben,
ist die Lust sich zu verschwenden
ohne die Absolution des Erfolgs.

Da wird dem Leser zwar auch eine Conclusio angeboten, aber sie ist vielleicht nachdenkenswerter.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.
« Letzte Änderung: November 05, 2020, 14:52:33 von AlteLyrikerin »

Agneta

  • Gast
Re: Späte Blüte
« Antwort #7 am: November 08, 2020, 10:33:59 »
nochmal zu blühen entgegen allen Erwartungen , wenn die Hoch-zeit eigentlich vorbei ist, ja, das kommt unerwartet und ist es Besonderes. LG von Agneta

Sufnus

Re: Späte Blüte
« Antwort #8 am: November 08, 2020, 18:38:52 »
Liebe AL!
Deine neue Variante für S2 spricht mich tatsächlich mehr an, weil sie offener ist - aber eine in sich geschlossenere Gedankenführung hat selbstverständlich auch ihre volle Berechtigung - mich persönlich spricht zwar eine weniger festgelegte, "unschärfere" Vorgabe stärker an und sie ist das, was ich ganz subjektiv für einen Wesenskern von Poesie halten würde, aber es darf, soll, muss auch Nahrung für Leser geben, die auf der Suche nach Klarheit und Bestätigung sind. Der große Erfolg der "typischen" Gedichte von Hesse oder Fried hängt damit zusammen.
Ein Sonderfall für mich ist übrigens Kästner - auch seine Gedichte sind meist völlig geheimnislos und von sehr eindeutiger Lesart und doch liegt in ihnen etwas, das mich zutiefst anrührt. Vielleicht ist es der kindliche Ton eines Menschen, der an den Welt- und Zeitverwerfungen zwar älter wurde, aber doch - zu unser aller Glück - nie Erwachsen. :)
Viele liebe Grüße!
S.

gummibaum

Re: Späte Blüte
« Antwort #9 am: November 11, 2020, 10:55:36 »
Schön, wenn der Mut ausreicht, dieses späte Wunder zu vollbringen.

Mit hundert werde ich doch noch das Fallschirmspringen erlernen. Ich wollte mich schon immer gern fallen lassen können.

Gern gelesen, liebe AlteLyrikerin.

Grüße von gummibaum


AlteLyrikerin

Re: Späte Blüte
« Antwort #10 am: November 12, 2020, 12:34:46 »
Liebe Agneta,

herzlichen dank fürs Lesen und Deine Zustimmung.


Lieber Sufnus,

freut mich sehr, dass Dir die Variante zur zweiten Strophe gefällt. Ich denke auch, sie bringt das besondere der "Altersblüte" besser zum Ausdruck.


Lieber gummibaum,

warum so lange warten?  ;D Manches darf ja auch schon früher blühen.


Herzliche Grüße Euch allen, AlteLyrikerin.