Autor Thema: Der Inselstand Himmel  (Gelesen 1577 mal)

Emilie

Der Inselstand Himmel
« am: Oktober 28, 2020, 12:26:10 »
Die Launen des Himmels erstaunen.
Weit oben entrückt sich das Angebot:
Zwischen Kunst- und Kosmetikmessen
bewertet man voller Entzücken die Daunen,
die zwischen dem Frühstück und Abendbrot
und die mit den nächtlicheren Adressen.

So gibt es verschiedene Arten des Stoffes:
Gekräuselt, die Strähnen der Haare geglättet,
der Vollbart, geplustert und eingefettet,
man sieht auch den Iro, der fast wie ein schroffes
Entgleiten aus Wäldern und Wiesen besteht.

Natürlich zugegen, sind die Depressiven:
mit schwarzen Gewändern und Augenringrändern,
dem Donnern, dem Lauten und dem Aggressiven,
in schaurigen Schauern entfließen in Ländern.
Ja, diese! Ja, diese! Vergisst man doch nie.
« Letzte Änderung: Oktober 28, 2020, 14:30:14 von Emilie »

Erich Kykal

Re: Der Inselstand Himmel
« Antwort #1 am: Oktober 28, 2020, 12:58:52 »
Die Launen des Himmels erstaunen.
Weit oben entrückt sich das Angebot:
Zwischen Kunst- und Kosmetikmessen
bewertet man voller Entzücken die Daunen,
die zwischen dem Frühstück und Abendbrot
und die mit den nächtlicheren Adressen.

So gibt es verschiedene Arten des Stoffes:
Gekräuselt, die Strähnen der Haare geglättet,
der Vollbart, geplustert und eingefettet,
man sieht auch den Iro, der fast wie ein schroffes
Entgleiten aus Wäldern und Wiesen besteht.

Natürlich zu gegen, sind die Depressiven:
mit schwarzen Gewändern und Augenringrändern,
dem Donnern, dem Lauten und dem Aggressiven,
in schaurigen Schauern entfließen in Ländern.
Ja, diese! Ja, diese! Vergisst man doch nie.


Hi, Emilie!

Zuallererst, bevor ich es vergesse: "zugegen" (S3Z1) unbedingt zusammen!

Ein interessantes Gedicht, das abstrakte Wolkenspiel in Bilder kleidend (hab schon selbst mindestens 2mal was über Wolkenspiel gedichtet), wie man es zuweilen gern tut, wenn man mit Musse irgendwo im Gras liegt und in den Himmel schaut. Gleichzeitig generieren deine Zeilen, quasi als Metaebene, ein durchaus sozialkritisches Gesellschaftsbild, wenn man es so sehen möchte.

Metrik:

xXxxXxxXx_ _ _
xXxxXxxXxx_ _
Xx_XxxXx_Xx
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxx_ _
xXxxXx_XxxXx

xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXx_Xx
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX

xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX


Es fällt auf, dass S1 eine Zeile mehr hat als die anderen beiden, und auch im metrischen Bereich finden sich fort die größten Ungleichgewichte. Ich habe fehlende Silben mit unterstrichenen Leerstellen markiert, und der betonte Auftakt von S1Z3 stört ebenfalls den klaren Takt.

Dahingegen erscheinen S2 und 3 fast makellos, sieht man von dem einen Ausrutscher in S2Z3 ab. Es erscheint mir wie ein typischer "Kalibrierungsprozess", der klare Rhythmus kommt erst mit der Zeit, als müsste das Dichtergehirn sich erst noch drauf "einschießen".

Darum sollte man Gedichte immer hinterher metrisch nochmals prüfen, ehe man sie publiziert.  ;)

Das Reimschema: ABCABC - ABBAC - ABABD

Zuletzt habe ich das "D" verwendet, um darauf hinzuweisen, dass es hier auch keinen strophenübergreifenden Reim mit S2 gibt. Die jeweils letzten Zeilen von S2 und 3 bleiben damit ungereimt. Wir haben also drei Strophen mit drei unterschiedlichen Schemata. Das unterstützt leider auch nicht gerade die harmonische Einheitlichkeit des Werks.

Kadenzen: wmwwmw - wwwwm - wwwwm

Das passt ganz gut. S1 ist mittig gespiegelt, also in sich im Gleichgewicht, und die beiden kürzeren Strophen etablieren ein eigenes Schema, dem sie treu bleiben.


Insgesamt ein gutes Gedicht, sprachtechnisch hervorragend, sprachmelodisch sehr angenehm, mit leichten Schwächen im metrischen Strukturbereich sozusagen.
Ich wage zu sagen: Wenn du das hier Monierte noch in den Griff bekommst (oder bekommen willst), gehörst du nach meiner Definition mit zu den besten Forendichtern!

Sehr gern gelesen und beklugfummelt!  :)

LG, eKy


PS: Sollte Bedarf bestehen, kann ich diesen Faden empfehlen (bitte alles lesen):

http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=8025.0;topicseen
« Letzte Änderung: Oktober 28, 2020, 13:24:39 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Emilie

Re: Der Inselstand Himmel
« Antwort #2 am: Oktober 28, 2020, 14:31:34 »
Hallo lieber Erich,

da ist mir ein Leerzeichen in die Zeile gehuscht, vielen Dank für den Hinweis (und auch das Lob!). Mir wäre es nicht aufgefallen.
Alles andere, was du in deinem Beitrag aufgreifst, habe ich in "herbst" eben beantwortet.

Emilie

Erich Kykal

Re: Der Inselstand Himmel
« Antwort #3 am: Oktober 28, 2020, 16:27:34 »
Alles andere, was du in deinem Beitrag aufgreifst, habe ich in "herbst" eben beantwortet.

Ja, und wie dort von mir erläutert: Du gehst den leichten Weg, einfach zu sagen: Darüber bin ich hinaus, das geht mich nichts mehr an, darüber bin ich erhaben, ich habe mich weiterentwickelt ...

Metrische Fehler sind und bleiben dem musisch begabten Leser störend, egal mit welchem Rechtfertigungslametta sie geschmückt werden, oder mit welchen Kunstanspruch verbrämt. Ich gebe zu: Ganz selten kann eine metrische Unreinheit unterstützend wirken und/oder besser klingen als der exakte Takt, aber das ist hier in S1 sowie deinen Auslassungen von Silben nicht der Fall. Gerade der Daktylus oder wie hier der Amphibrachys verlangen einen exakten Rhythmus, sonst holpert und stolpert es nur und wirkt peinlich inkompetent. Zumindest auf Leute wie mich. Schade drum.

Wenn es dir wirklich so besser gefällt, mit all den Holperern und Stolperchen, sei's drum, aber für mich ist das keine Weiterentwicklung zu etwas Größerem, Besserem - und wird es auch niemals sein. Ich hoffe für dich, dass alle anderen das anders sehen und deine Sichtweise dir alle Ehren bringt, aber die meine kann es niemals sein.

Ich werde dich jedenfalls nicht mehr mit Korrekturen belästigen oder belustigen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Emilie

Re: Der Inselstand Himmel
« Antwort #4 am: Oktober 28, 2020, 18:55:34 »


Ja, und wie dort von mir erläutert: Du gehst den leichten Weg, einfach zu sagen: Darüber bin ich hinaus, das geht mich nichts mehr an, darüber bin ich erhaben, ich habe mich weiterentwickelt ...



Ich gehe einen Weg, der mich in Kontakt zur Lyrik bringt und Zufriedenheit generiert. Lyrik ist subjektiv, es gibt keinen goldenen Weg, auch keine Lehrfibel.
Was du gut findest, findet ein anderer schlecht. 

Im Gegensatz zu Dir, lieber Erich, finde ich, dass man schnell stagniert, wenn man strengen Zwängen unterliegt. Sich davon zu befreien kann von Mut zeugen. Weswegen für mich das Weitergehen auch der schwere Weg ist. Dort zu sitzen, wo man immer sitzt, bedarf keinerlei Überwindungen repressiver Widerstände.
 
Dichter wie Goethe, Heine, Rilke (vor allem letzterer schrieb oft formfrei) waren allesamt nicht Formversessen und Lyrik im Allgemeinen besitzt weitaus mehr als nur das handwerklich Objektivierbare.
Auch leben wir im Jahr 2020 und wie alles andere im Leben auch, darf sich auch gern die Lyrik wandeln.

Wenn ein Gedicht entsteht und es auf das Blatt fließt, dann ist das Ehrlichkeit. Aber nur in dem Moment. Ein Gedicht beständig zu bearbeiten ist wie das Zeichnen mit einem Radierer.
Man strebt die Perfektion an, will realistische Portraits zeichnen, um einen Anspruch gerecht zu werden, erreicht aber nicht den Anspruch der bildenden Kunst, die gern ohne Radierer auskommen möchte.
In der Lyrik scheint mir das ähnlich zu sein. Die Königskrone trägt jedenfalls, für mich, nicht die Form oder gerade die Form. Je nachdem welche Gestalt sie reißt.

Und damit lebe ich sehr glücklich. Ich habe keinen Optimierungswahn und das was ich tue und wie ich es tue macht mich zufrieden.

Metrikkorrekturen kannst du dir in der Tat ersparen, dem bin ich "Frau". Auf Verschreiber oder grammatikalische Versalzungen werde ich hingegen gern hingewiesen.

Emilie.

Erich Kykal

Re: Der Inselstand Himmel
« Antwort #5 am: Oktober 28, 2020, 19:53:15 »
Hi Emilie!

Deine Antwort war vorhersehbar und wurde auch so erwartet. 2 divergierende Ansichten, zwei unterschiedliche Universen ...

Beide dürfen und sollen Existenzberechtigung haben, und mehr ist dazu auch nicht zu bemerken.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.