Hi AL!
Bei diesen Zeilen möchte ich doch vorsichtig zu bedenken geben, dass sie sehr schnell dahingeschrieben wirken, beinahe bis zu einem Anflug von Achtlosigkeit (hoffentlich kommt es nicht zu harsch rüber... dass ich hier weitschweifig herumkritisiere, hat mit einer gewissen Lesefrustration zu tun, die aber wiederum vor allem vom großen Potential des Textes genährt wird
)...
Zu erst einmal fällt auf: Der Text ist "kunstlos" geschrieben. Und man kann ja natürlich durchaus in der Kunst die Kunstlosigkeit zum Prinzip erheben. Bei einem sprachlichen Werk bedeutet das: Verzicht auf "formale Schwierigkeiten" (wie Reim, rhythmische Sprache, Verwendung von besonderen Bildern oder Sprachfiguren), einen besonderen Fokus auf inhaltliche Leichtverständlichkeit legen, Bevorzugung einer knappen, prägnanten Redeweise usw.
Eines der berühmtesten Beispiele für solche Kunstlosigkeit in der Lyrik stammt aus dem Jahr 1923 und wurde von
William Carlos Williams verfasst. Es trägt den (auch programmatisch zu verstehenden) Titel
"This is just to say". eKy würde dieses Gedicht hassen
, denn der Autor (der auch anders konnte) hat in diesem Text peinlich darauf geachtet, auch nicht die kleinste Andeutung von "Kunstfertigkeit" zum Besten zu geben. Es handelt sich offenbar um einen Notizzettel mit einer Mitteilung, die für den Partner am Kühlschrank (zu der Zeit noch ohne Elektrizität als "ice box") zurückgelassen wurde und so ist dieser Text durchaus Kontext-gerecht in einer Sprache verfasst, die völlig auf die Übermittlung von Informationen reduziert wurde.
Warum wird dieser Text nun aber trotz seiner Simplizität von so vielen Lyrikkennern als "Kunst" wahrgenommen? Ja, warum zählt er geradezu zu den "Gründungsdokumenten" der modernen Poesie? Ich denke, es hat mit dem Momentum von Schönheit und Innigkeit, aber auch Mehrdeutigkeit zu tun, die dieser Text in einem durchaus nicht unraffinierten Crescendo aufbaut. Die erste Strophe ist von einer geradezu kühlen Lakonie (immerhin passend, wenn von einem "Kühlschrankzettel" die Rede ist), in der zweiten Strophe taucht ein lyrisches Du auf, es wird etwas "wärmer", in der dritten wird das lyrische Du um Verzeihung gebeten und die köstliche Süße des stibitzten Inhalts der Ice Box gefeiert und dann endet das Gedicht mit dem Wörtchen "cold". Der Leser darf nun grübeln, welcher Art die Beziehung von lyrischem Ich und Du wohl ist, und nicht wenige Interpreten kommen dabei, etwas gegen den ersten Texteindruck gelesen, zu einem äußerst optimistischen Ergebnis. Ein kunstloser Text, in den aber einiges an künstlerischer "Energie" geflossen ist und der selbst wieder Ausgangspunkt von wohl hunderten von Gedichten unterschiedlichster Art wurde, von der Parodie, über die Variation zum Thema bis zur künstlerischen Verbeugung.
Dieser lange Vorspann soll mir nun helfen, mein Unbehagen mit diesem Text zu erläutern, liebe AL. Ich finde hier nicht nur den Verzicht auf "Kunstmittel" à la Williams, sondern für mich persönlich (etwas spät kommt nun noch der übliche Hinweis, dass ja hier nur mein subjektiver Eindruck geschildert wird) sehe ich auch keinen Spannungsbogen, keine Offenheit für Interpretationsmöglichkeiten, keine mitreißende Gefühlsschwingung und kaum eine Anknüpfung an eine konkrete Situation. Das einzige "Kopfkino" wird bei mir in der 2. Strophe ausgelöst, aber selbst da wird der Türsteher direkt ins abstrakt Metaphorische gerückt, ohne dass ich als Leser bei einer "sinnlichen" Szenerie, vielleicht vor einer Dorfdisko oder meinethalben auch einem Münchner Schickeria-Club verbleiben darf. Was für mich persönlich dabei vor allem die Leselust beeinträchtigt ist, dass die Zeilen sich völlig einer offenen Ausdeutung versperren, alles was man inhaltlich zu dem Gedicht sagen könnte, wird bereits in diesen Zeilen gesagt und als Leser bleibt mir nur noch die Entscheidung zwischen "seh ich genauso" oder "kann ich gar nicht nachvollziehen", ein Text ohne Zwischentöne also für mich. Vor allem Strophe 3 ist in dieser Hinsicht für mich persönlich recht symptomatisch.
Und insgesamt könnte diese fehlende Offenheit des Textes (jetzt schließt sich mein Gedankenkreis) daher rühren, dass diese Zeilen vielleicht etwas schnell geschrieben und abgeschlossen wurden? Die Tastatur hat vielleicht einen finalen Punkt gesetzt, bevor andere Schwingungsebenen zum Tragen kommen konnten?
Ich versuch, mal an dem Text herumzuwurschteln, vielleicht macht das meinen Standpunkt noch etwas klarer (
)
Flüchtige FragenBin ich schön genug?
Bin ich klug genug?
Bin ich schnell genug?
Bin ich ich genug?
Besitze ich die richtigen
Accessoires, um die Türsteher
vom Eden-Club
gnädig zu stimmen?
Sind das die richtigen Fragen?
Bis wann benötige ich
eine gültige Antwort?
Für welche Möglichkeiten
wurde ich geboren? Welche
bleiben verborgen?