Autor Thema: Mosaik  (Gelesen 3268 mal)

Ylva

Mosaik
« am: Juni 06, 2020, 18:19:03 »
Grau in Grau gelegt,
dazwischen etwas Rot.
Und Splitter eingefegt
in viel zu große Fugen.

Ton in Ton gegossen,
dazwischen etwas Blau.
Gesprungen und verschossen
im zähen Alltagstrott.

Die Nuancen unbestimmt,
verlorn und ohne Glanz.
Vernarbt und ungeschminkt,
nur eine unter vielen.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Mosaik
« Antwort #1 am: Juni 06, 2020, 22:44:52 »
Sehr schön, liebe YIva.
Ich weiß nicht, ob mich die letzten Zeilen der Strophen stören oder ob ich sie gut finde. :)
Die kürzeren Gedichte stehen Dir!

vlg

EV

Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #2 am: Juni 07, 2020, 18:35:14 »
Danke EV,... ;D
Ja, die letzten zwei Zeilen mögen, auf den ersten Blick, vielleicht irritierend sein, aber es handelt sich hier ja auch nicht um ein "typisches" Mosaik. ;)

LG
Ylva


AlteLyrikerin

Re: Mosaik
« Antwort #3 am: Juni 08, 2020, 13:41:35 »
Liebe Ylva,

die ersten zwei Strophen gefallen auch mir sehr gut. Ich musste an ein sehr altes Mosaik denken, das schon vom Zahn der Zeit stark angenagt ist und dennoch seine magische Wirkung ausübt. Bei der letzten Strophe dann merke ich, ich habe es wohl gar nicht verstanden. Auf eine Erklärung wäre ich sehr neugierig.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Eleonore

  • Gast
Re: Mosaik
« Antwort #4 am: Juni 08, 2020, 17:01:01 »
Hallo Ylva,

nachdem ich anfangs an ein Fußbodenmosaik denken musste,
wendet sich mein Blick in der letzten Strophe einer Frau zu -
eine von den vielen alten Frauen,
die im Alltagstrott verloren gegangen sind
und nie die Möglichkeit hatten,
Kontur zu entwickeln.

"verlorn" käme klarer rüber, wenn Du ein Auslassungszeichen setzt.

Herzliche Grüße

Eleonore


Emilie

Re: Mosaik
« Antwort #5 am: Juni 08, 2020, 22:54:44 »
Anstatt verschossen, könnte ich zerschossen empfehlen.
Gedichte dieser Art mag ich sehr!

Emilie

Sufnus

Re: Mosaik
« Antwort #6 am: Juni 09, 2020, 13:40:55 »
Liebe Ylva! :)
Ein Gedicht, das eine Art Zoom-Funktion beinhaltet: In Strophe 1 und 2 wird ein Mosaik beschrieben, in Strophe 3 wird dann ein einzelnes Steinchen herausfotographiert. Und da wird dann auch klar, dass hier das Bild einer Person entworfen ist, die - jetzt in gewisser Weise multiperspektivisch aufzufassen - sowohl ein Mosaik aus vielen schlecht verfugten Einzelentitäten darstellt, als auch ein Mosaiksteinchen in einem größeren (gesellschaftlichen) Ganzen. Unbedeutend genug aus Sicht der anderen Steinchen, aber doch ein Gedicht wert. Und es ist ein sehr schönes Gedicht! :)
Ob hier eine alte Frau besungen wird, wie Elo :) annimmt, weiß ich nicht, möglich wäre es durchaus; AL hat ja schon darauf hingewiesen, dass das Mosaik offensichtlich etwas vom Zahn der Zeit benagt wurde und bei Mosaiken denken wir sowieso in der Regel an römische oder hellenistische Fragmente, die in irgendeiner trockenen Gegend aus dem Staub gebuddelt wurden. Von daher sind wir eher in der Gedankenschublade "alt" unterwegs.
Es könnte aber bei den Zeilen aber auch eine versteckte Ich-Lyrik im Spiel sein, und dann gehe ich mal schwer von einem zumindest jüngeren Menschen aus, der aber zumindest schon lange genug auf der Welt ist, dass das Leben ihm seine Instrumente zeigen konnte. Mancher hat diese Erfahrung leider schon als Kind gesammelt...
Zum Vorschlag von Em: Ich denke, Ylva dachte hier nicht an eine Schießerei, sondern an das Attribut "verschossen" mit der Bedeutung "farblich ausgeblichen". Ich denke mal, der Ausdruck leitet sich vom gefärbten Schussfaden bei einfachen bunten Webteppichen her (?), jedenfalls kenne ich die Bezeichnung "verschossen" auch nur im Zusammenhang mit textilen Gegenständen.  Vielleicht wäre "verblichen" günstiger? Das würde natürlich reimtechnische Umbauarbeiten nach sich ziehen.
Und ich persönlich finde "zähen Alltagstrott" noch etwas zu konventionell. Vor allem das Adjektiv "zäh" ist für mich etwas profan, etwas zu nah am eingefahrenen Denken, um dem Hirn etwas mentale Lockerung zu verschaffen.
Und "verloren" (aus metrischen Gründen dann unter Streichung des "und") gefiele mir persönlich in S3Z2 etwas besser als "verlorn".
Sehr gerne gelesen! :)
S.

----

Und hier noch eine Beklugfummelung zu den Minianmerkungen und mit einem kleinen Umstellungs-Experiment, um zu sehen, ob sich dadurch der Schluss evtl. noch etwas aufladen lässt... nur ein Versuch... :)


Grau in Grau gelegt,
dazwischen etwas Rot.
Und Splitter eingefegt
in viel zu große Fugen.

Ton zu Ton sortiert,
dazwischen etwas Blau.
verblichen, fragmentiert,
ein Alltagsmittelwert.

Die Nuancen unbestimmt,
verloren, ohne Glanz,
vernarbt und ungeschminkt,
nur unter vielen: eine.

Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #7 am: Juni 11, 2020, 18:42:27 »
Liebe Ylva,

die ersten zwei Strophen gefallen auch mir sehr gut. Ich musste an ein sehr altes Mosaik denken, das schon vom Zahn der Zeit stark angenagt ist und dennoch seine magische Wirkung ausübt. Bei der letzten Strophe dann merke ich, ich habe es wohl gar nicht verstanden. Auf eine Erklärung wäre ich sehr neugierig.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.


Hallo AL,

Es geht hier um eine Frau (ürsprünglich war der Text anders geplant, die Darstellung als Mosaik ergab sich aber dann beim schreiben), die in ihrem Leben immer wieder, für andere,zurückgesteckt hat...immer für andere da war und selbst oft einfach vergessen wurde...die Fugen symbolisieren ihre Liebe, Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft, die Splitter Enttäuschungen, Verletzungen, denn sie wurde schon viel zu oft ausgenutzt und hintergangen. Der Alltagstrott hat sie ausgezehrt und ihre Farben (Wünsche, Träume) ausgebleicht (verschossen).
Ihre Nuancen (Veränderungen) sind für ihr Umfeld unbemerkt geblieben, weil sie es sich nicht anmerken lässt. Sie fühlt sich verloren und nicht mehr schön oder begehrenswert.
Die Narben stehen für viele Schicksalsschläge, die sie ertragen hat, und die sie nicht mehr verstecken kann und will.
Durch ihre Erfahrungen, in all den Jahren, mit vielen Selbstzweifeln behaftet, empfindet sie sich als "nichts besonderes" mehr, quasi "unsichtbar" unter allen anderen.
So, ich hoffe, ich konnte dir meinen Text ein wenig nahebringen.  :)

LG
Ylva


Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #8 am: Juni 11, 2020, 18:45:11 »
Hallo Ylva,

nachdem ich anfangs an ein Fußbodenmosaik denken musste,
wendet sich mein Blick in der letzten Strophe einer Frau zu -


So ist es, Eleonore... :)
Das ganze Gedicht handelt von einer Frau...

Vielen Dank fürs lesen... :)

LG
Ylva

Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #9 am: Juni 11, 2020, 18:47:48 »
Anstatt verschossen, könnte ich zerschossen empfehlen.
Gedichte dieser Art mag ich sehr!

Emilie

Hallo Emilie,
ich habe bewußt "verschossen" gewählt...ausgebleicht nach langen Jahren der "Abnutzung"

LG
Ylva

Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #10 am: Juni 11, 2020, 19:08:29 »

Es könnte aber bei den Zeilen aber auch eine versteckte Ich-Lyrik im Spiel sein, und dann gehe ich mal schwer von einem zumindest jüngeren Menschen aus, der aber zumindest schon lange genug auf der Welt ist, dass das Leben ihm seine Instrumente zeigen konnte. Mancher hat diese Erfahrung leider schon als Kind gesammelt...
Zum Vorschlag von Em: Ich denke, Ylva dachte hier nicht an eine Schießerei, sondern an das Attribut "verschossen" mit der Bedeutung "farblich ausgeblichen". Ich denke mal, der Ausdruck leitet sich vom gefärbten Schussfaden bei einfachen bunten Webteppichen her (?), jedenfalls kenne ich die Bezeichnung "verschossen" auch nur im Zusammenhang mit textilen Gegenständen.  Vielleicht wäre "verblichen" günstiger? Das würde natürlich reimtechnische Umbauarbeiten nach sich ziehen.
Und ich persönlich finde "zähen Alltagstrott" noch etwas zu konventionell. Vor allem das Adjektiv "zäh" ist für mich etwas profan, etwas zu nah am eingefahrenen Denken, um dem Hirn etwas mentale Lockerung zu verschaffen.
Und "verloren" (aus metrischen Gründen dann unter Streichung des "und") gefiele mir persönlich in S3Z2 etwas besser als "verlorn".
Sehr gerne gelesen! :)
S.

----



Hallo Sufnus,
erstmal vielen Dank fürs lesen und ja, in dieses Zeilen handelt es sich um eine jüngere Frau.
Urspünglich war der Text anders geplant, aber...wie das dann so ist.
Ich habe "verschossen" mit Absicht gewählt. Es geht hier nicht nur äusserlich um eine Person, sondern auch um ihre inneren "Farben" wie Träume und Wünsche...und da kommt "verschossen" ins Spiel. Ich fand und finde es sehr passend, da diese (Wünsche, Träume) immer mehr, vom Leben und der Zeit, ausgewaschen wurden.
"Zähen Alltagstrott" mag konventionell klingen, aber ich empfinde den Alltag oft als sehr zäh , schwer zu bewältigen, ein Tag gleicht dem Anderen (eben eingefahren). Und genauso wollte ich es ausdrücken.
Deine "Beklugfummelung".. ;D...gefällt mir auch....aber ich muss drüber nachdenken... :)

LG
Ylva

Eleonore

  • Gast
Re: Mosaik
« Antwort #11 am: Juni 11, 2020, 20:22:32 »
Hi Ylva nochmals,

ich finde "verschossen" eine gute Wahl.
Ich schätze mal, dass das Wort nicht mehr sehr geläufig ist -
"ausgebleicht" ist wohl das gängigere - .

Ich glaub, ich habe das Wort tatsächlich zuletzt vor 20, 30 Jahren gehört.

Und mutmaße, dass viele der LeserInnen nur auf das schießen mit der entsprechenden Waffe abstellen .

Schöne Grüße

Eleonore

AlteLyrikerin

Re: Mosaik
« Antwort #12 am: Juni 12, 2020, 13:07:51 »
Hallo Ylva,

herzlichen Dank für Deine Erläuterungen, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Hoffentlich kränke ich Dich nicht mit der Anmerkung, dass ich bei "verschlüsselten" Gedichten (so möchte ich diese Kategorie einmal für mich  bezeichnen) immer dankbar bin für Hinweise im Text, die es erleichtern die "Lösung" zu finden. Anders ausgedrückt, ich bin manchmal frustriert, wenn die Lösung sich auch nach längerem Nachdenken nicht finden lässt - jedenfalls nicht von mir. Das ging mir z.B. bei einigen Gedichten von Paul Celan so. Da musste ich richtige Studien betreiben um sie endlich zu verstehen. Natürlich kann man sagen, ein Gedicht sollte solche Anstrengungen wert sein, aber ein Text, der nicht so kryptisch ist, hat es auch leichter, Resonanzräume im Leser anzusprechen.
Diese Anmerkung ändert nichts daran: Dein Gedicht finde ich sehr anregend und schön geschrieben.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #13 am: Juni 12, 2020, 17:04:55 »


ich finde "verschossen" eine gute Wahl.
Ich schätze mal, dass das Wort nicht mehr sehr geläufig ist -
"ausgebleicht" ist wohl das gängigere - .

Ich glaub, ich habe das Wort tatsächlich zuletzt vor 20, 30 Jahren gehört.

Und mutmaße, dass viele der LeserInnen nur auf das schießen mit der entsprechenden Waffe abstellen .


Es stimmt, es ist nicht mehr so geläufig, wird aber häufig noch im Textilbereich verwendet.  :)

LG
Ylva

Ylva

Re: Mosaik
« Antwort #14 am: Juni 12, 2020, 17:14:31 »
Hallo Ylva,

herzlichen Dank für Deine Erläuterungen, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Hoffentlich kränke ich Dich nicht mit der Anmerkung, dass ich bei "verschlüsselten" Gedichten (so möchte ich diese Kategorie einmal für mich  bezeichnen) immer dankbar bin für Hinweise im Text, die es erleichtern die "Lösung" zu finden. Anders ausgedrückt, ich bin manchmal frustriert, wenn die Lösung sich auch nach längerem Nachdenken nicht finden lässt - jedenfalls nicht von mir. Das ging mir z.B. bei einigen Gedichten von Paul Celan so. Da musste ich richtige Studien betreiben um sie endlich zu verstehen. Natürlich kann man sagen, ein Gedicht sollte solche Anstrengungen wert sein, aber ein Text, der nicht so kryptisch ist, hat es auch leichter, Resonanzräume im Leser anzusprechen.
Diese Anmerkung ändert nichts daran: Dein Gedicht finde ich sehr anregend und schön geschrieben.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Liebe AL,
nein, ich bin nicht gekränkt. Ganz im Gegenteil, ich freue mich sehr, wenn ich um die Bedeutung meiner Zeilen gefragt werde.
Es ist nicht immer leicht, wenn Texte nicht eindeutig geschrieben sind, die Bedeutung, den Sinn dahinter, bzw. zwischen den Zeilen zu finden.
Und wenn man die Person nicht grade persönlich kennt, dann sowieso.
Ich schreibe eigentlich eher selten solche, ich sagt jetzt auch mal "verschlüsselte", Texte und versuche meine Gedichte immer so zuschreiben,
dass man sich in sie hineinversetzten kann( hoffe ich zumindest.. ;D).
Vielen Dank für dein Interesse.

LG
Ylva