Autor Thema: Schon lange her  (Gelesen 864 mal)

Agneta

  • Gast
Schon lange her
« am: M?RZ 27, 2020, 12:58:56 »
Schon lange her

Die erwachsene Tochter Desiree hat für die Eltern beim Arzt Rezepte abgeholt, jetzt in der Corona-Krise. Die Frühlingssonne erleuchtet den Morgen, die Vögel zwitschern in den Bäumen, die sich zaghaft belauben. Als wäre nichts. Als wäre alles wie immer.
Desiree betritt die Apotheke, um rasch die Rezepte einzulösen. Sie ist eilig, hat eigentlich Home-Office. Mühsam hat sich ihre Mutter nach ihrem Umzug in diese Stadt vor etwas über einem Jahr das gute Verhältnis zu dieser Apotheke aufgebaut.
Die Apothekerin hält das Rezept in den Strahl einer der grellen, kalten Deckenleuchten. „Das gibt es doch nicht! Der Arzt hat ja nur zwanzig Tabletten aufgeschrieben!“. „Tja,“ sagt Desiree lakonisch, „Monats- und- Quartalsende.“  Eine Kollegin kommt hinzu, schüttelt den Kopf.
Die Apothekerin fragt nach dem Dackel, weshalb man die Eltern nicht mehr mit ihm spazieren gehen sehe. „Schlechtes Thema, ganz schlechtes Thema,“ antwortet Desiree traurig. “Janosch ist letzten Sommer gestorben. Meine Mutter kommt nicht drüber weg.“ „Ist doch schon so lange her,“ murmelt die Kollegin.
Die Apothekerin wendet wortlos das Rezept in ihrer Hand. Dann entscheidet sie, gegen Zuzahlung von drei Euro eine Hunderterpackung auszuhändigen. Die anderen Kunden halten geduldig zwei Meter Abstand. Der Mann hinter Desiree lächelt und schaut beständig auf den kleinen Terrier, den er draußen angeleint hat.
Die Kollegin rollt die Augen, als die Apothekerin, bevor sie kassiert, in den Frühstücksraum huscht. Es fiept etwas dort und es hört sich an wie ein junges Hündchen.
« Letzte Änderung: M?RZ 27, 2020, 18:00:07 von Agneta »

Erich Kykal

Re: Schon lange her
« Antwort #1 am: M?RZ 29, 2020, 22:24:03 »
Hi Agneta!

Schönes Eindrucksgemälde. Wir wissen ja, wieviel dir Janosch bedeutet hat. Da gibt es kein Drüberwegkommen - ich denke heute noch an all meine Katzen im Lauf der Jahre, und wie ich weinte, als ich sie begrub - und vor allem, wie mir innerlich dabei zumute war. Einen Bruder zu beerdigen hätte nicht schlimmer sein können!
Jetzt mögen die Sozialwichtel, Menschenwichtignehmer und Sichwertvollerweilklügerfühler besserwisserisch und verständnislos den Kopf schütteln und die Augen verdrehen - sollen sie doch! Sie haben die Liebe zu einem Tier nie kennengelernt, haben die Liebe des Tieres nie kennengelernt - sonst hätten sie ohnehin ganz andere Ansichten!

Meine Tiere haben mich dies gelehrt: Nicht ich bin wertvoller als das Tier, sondern erst das Tier hat mich wertvoller gemacht!

Das einander Kennenlernen, das miteinander leben Lernen, die Liebe, die man wertfrei gibt und die ebenso wertfrei und unvoreigenommen zurückkommt, die Sorge, wenn es lang nicht heimkommt oder krank ist, all die schönen Jahre, beschenkt mit so viel Tiefe und selbstverständlicher Treue - und zuletzt das Abschiednehmenlernenmüssen, aber auch dies gehört zum Kreis des Lebens, und was uns letztlich innen größer und weiser macht, oft lange unbemerkt und auf leisen Pfoten ...


LG, eKy

« Letzte Änderung: April 03, 2020, 22:52:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Schon lange her
« Antwort #2 am: April 05, 2020, 19:15:36 »
Ja, das Tier hat mich wertvoller gemacht, das verstehen aber nur echte Tier-Freaks. Hätte fast tear-freaks geschrieben, hätte ja auch gepasst. Und was ich noch mit der Geschichte sagen wollte: Solidarität gibt es nur unter Gleichgesinnten. (Weil Solidariätt doch jetzt so in Mode ist...). Lieben Dank, lieber Erich und lG von Agneta




Eisenvorhang

  • Gast
Re: Schon lange her
« Antwort #3 am: April 05, 2020, 21:22:27 »
Ich verstehe das auch; wenn die Tiere insbesondere Hunde alles wertvoller machen!
Es scheint alles in Mode zu sein, außer Menschlichkeit... Was auch immer das heißen mag...

Agneta

  • Gast
Re: Schon lange her
« Antwort #4 am: April 06, 2020, 12:34:21 »
Menschlichkeit wird höher bewertet, aber mancher Mensch ist nicht mal menschlich zu seinen Tieren!! Insofern ist das, so wie jetzt auch die hochgelobte "Solidarität" bei Corona eine reine Phrase. Wie so vieles, was Menschen von sich geben. Wenn es nur noch ein Klopapier gibt, wer würde es denn mit seinem Nachbarn teilen? Phrasen...
Hunde ( und nur das kann ich mit Kaninchen beurteilen), sind ehrlich in ihren Äußerungen, also viel menschlicher als ein Mensch. Sie knurren, wenn sie dich nicht mögen oder gehen weg. Wenn sie aber  schmusen, dann tun sie es voller Liebe. Ohne Eigennutz.
Tiere kennen keine Phrasen und das ist es, was uns, wenn sie uns ihre Liebe schenken, wertvoller macht.
LG  und danke für deine Gedanken, lieber EV von Agneta