Autor Thema: Bericht...  (Gelesen 1123 mal)

Sufnus

Bericht...
« am: M?RZ 12, 2020, 13:15:21 »
Bericht vom Wirken des heiligen Samariters
in der Strafkolonie


Da war in der Endzeitbaracke ein Typ, der ging
in jeder Nacht noch einmal von Bett zu Bett
für den Sterbetrost. Keiner steigt wirklich gern aus dem Ring
(als ob man da großartig was zu verlieren hätt).

Und am Morgen war er der erste am Platz und schaute,
wer heil eine weitere Scheißnacht im Drecksloch geschafft
und brachte vors Haus, bis der Tag richtig graute,
die Glücklichen, die es im Schlafen dahin gerafft.

Ich kenn den Namen des Vogels und war dabei:
Ein Wärter griff zur Kanone und knipste ihn aus,
das Kreuz ist das siebte von links in der Reihe drei.
Das war der Bericht. Es wird Zeit. Ich muss wieder raus.





Eisenvorhang

  • Gast
Re: Bericht...
« Antwort #1 am: M?RZ 12, 2020, 16:22:37 »
Hi Sufnus,

sensationell geschrieben, ob der Unebenheiten des Metrums, liest es sich butterweich.
Was mir persönlich in den eher unsensiblem Text gefällt ist das erwähnte Kreuz, was dem Ganzen noch etwas Hoffnung und Erlösung, aber auch Würdigung und Gedenken abgewinnt.
Die letzte Strophe überrascht mit der letzten Zeile und überträgt wunderbar das Gefühl von Zeitdruck.

Auch scheint eine Art Kassibergefühl bei mir aufzukeimen.

Sehr gern gelesen Sufnus!

vlg

EV

Sufnus

Re: Bericht...
« Antwort #2 am: M?RZ 12, 2020, 17:10:11 »
Hi EV!
Dein Lob geht definitiv butterweich runter ;) Vielen lieben Dank! :)
Ich hab - korrespondierend zur grimmigen Thematik - bewusst ein ziemlich kaputtes Metrum gewählt, aber versucht, doch so zu schreiben, dass man eine Chance hat, es zumindest so ähnlich wie einen lyrischen Text vorzutragen - es soll so ein bisschen ein Hybrid-Eindruck zwischen Prosa-Text und gebundener Sprache entstehen. Das war jedenfalls der Plan... unseren eKy (wo steckt der eigentlich?! ;) ) kann ich damit wahrscheinlich eher nicht (positiv) vom Hocker reißen... ich verspreche als Wiedergutmachung als nächstes wieder etwas Reguläreres zu verzapfen. :)
Deine Anmerkungen zur letzten Strophe und zum Gefühl eines Kassibers freuen mich ganz besonders arg! :)
Lieben Dank und schöne Grüße!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Bericht...
« Antwort #3 am: M?RZ 12, 2020, 17:47:23 »
Das konnte ich mir fast denken, dass das Metrum bewusst so gewählt war.
Ich kann Dir sicherlich keine Lyrikempfehlungen mehr aussprechen, aber schau Dir mal die Werke von Zwetajewa Marina an.
Sie schrieb oft frei vom Metrum, aber auch butterweich, sehr sanft und lieblich.
Vielleicht auch für die liebe Agneta interessant.

Ich weiß leider nicht wo Erich ist... Die Frage stellte ich mir gestern auch. Ich hoffe, es geht Erich gut.

Aber hey Sufnus, das Wichtigste ist doch, dass Deine Werke Dir etwas bedeuten. :)

vlg

EV
« Letzte Änderung: M?RZ 12, 2020, 19:32:33 von Eisenvorhang »

wolfmozart

Re: Bericht...
« Antwort #4 am: M?RZ 14, 2020, 13:47:24 »
Sehr berührend, Sufnus.

Mit Hochachtung

wolfmozart

Erich Kykal

Re: Bericht...
« Antwort #5 am: M?RZ 14, 2020, 14:43:59 »
Hi Suf!

Sehr gut verdichtet! Man meint sich mit in der stinkenden Baracke, rechtlos und ausgeliefert. Sehr deutlich machst du die Willkür und Beliebigkeit des Grauens - selbst Selbstlosigkeit schützt nicht vor den seelenlosen Totengräbern der Zivilisation! Wer sich wie auch immer engagiert oder einen Rest Menschlichkeit beweist, wird bevorzugt zum Opfer!
Der desillusionierte, lapidare Berichter des Geschehens rechnet längst nicht mehr mit irgendeiner Art vin Fairness - das alles erschüttert den rechtsstaatgewohnten Wohlstandsbürger und macht ihm begreiflich, wieviel er zu verlieren hat, wenn er extremistischen Kräften erneut gestattete, sich auszubreiten!

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Bericht...
« Antwort #6 am: M?RZ 14, 2020, 16:06:08 »
Hallo in die Runde,


Sehr gut verdichtet! Man meint sich mit in der stinkenden Baracke, rechtlos und ausgeliefert. Sehr deutlich machst du die Willkür und Beliebigkeit des Grauens - selbst Selbstlosigkeit schützt nicht vor den seelenlosen Totengräbern der Zivilisation! Wer sich wie auch immer engagiert oder einen Rest Menschlichkeit beweist, wird bevorzugt zum Opfer!

Das hast du sehr erquicklich heruntergebrochen und schön auf den Punkt gebracht.
Normalerweise erscheinen mir deine Kommentare irgendwie distanzierter und trockener.
Rechtfertigt ein Zitieren, sag ich ganz unschuldig keck....
In aller Nüchternheit gesprochen weiß ich auch nicht, wie ich so viel Unheil habe anziehen können.
Nun gut, die Brust ist ohnehin abgestorben.


Wie mit Fäkalsprache im Lyrischen umzugehen ist, da bin ich mir noch unschlüssig.
Ich gestatte "sie" mir vielleicht, wo ich weiß, dass sie einen unbedingt für sich eigenen Charakter offenbart,
der mit andern Begriffen unnütz abgedeckt wäre.
Lady Anneliese hat niemals an die Wirkung dieser Stolpersteinchen gedacht.
Ich will beileibe kein Faß aufmachen!!!!, es fällt mir nur hier wieder nonchalant auf.


Als ob man da was zu verlieren hätt - ja, schöner Punkt...
Das Numerische, Mechanische, das selbstverständlich gewordene Sterben, alles dabei.
Hier ist ja schon einiges gesagt worden, da bleibe ich blass.
Hübsch mit der Zurücknahme von Sprache gespielt und die Akademiker des Feldes verwiesen.


Amüsante Menschlichkeit, dass man sieht: ein Lager - und jeder aus seiner Ecke die Gefahrenquellen aufzählt...
Ich muss es doch konstatieren: eine Hülle zu sein, ein anarchistisch fühlendes Kind und dergleichen,
das lehnte ich ab: so quoll mir eine große Rage, aber nicht nur ob meines "Verhaltens".
Sollte es tatsächlich zu Faustrecht kommen in der Endzeitabschaumgesellschaft, kann ich das nicht betrauern -
genügend Steinchen flogen auf meinen Kopf.....


Ein seltsames Ding - bliebe noch anzumerken -, die ganze Menschheitsgeschichte besteht aus Kriegen und Lagern.
Bis heute habe ich da keine Erkenntnis drüber, schwülstig gesprochen, was Jammer und Ungerechtigkeit anbelangt.
Aber auf die Schnelle will ich mich noch einmal Erichs Kommentar annehmen:
der Wohlstandsbürger ist doch meist ohnehin kein Ausbund von wahrer Anständigkeit.
Und es ist eine konkrete Eigenheit des Menschen, dass dieser nicht aus der Vergangenheit lernt.
Wahrscheinlich beißt sich da irgendetwas: die Lust der Natur mit dem Verstand.
Wie man auch nicht Freund und Lehrer zugleich sein kann - beispielsweise.
Er wird in der unseligen Verzweigung von elementaren Dingen immer kindlich von der Katastrophe überrascht werden.


Viele Grüße
M.

Sufnus

Re: Bericht...
« Antwort #7 am: M?RZ 17, 2020, 11:19:27 »
Lieber Wolf, eKy und Martin!
Ganz lieben Dank für Eure Anmerkungen und Euer Lob! :)
Martins Punkt möchte ich kurz aufgreifen: Wie mit Fäkalsprache im Lyrischen umgehen?
Ich denke, Kraftausdrücke in einem Gedicht sind die Habanero-Chilis unter den rhetorischen Mitteln: Sparsam verwendet kann das durchaus ab und zu nützlich sein, um einem Text Pep zu verleihen. Der ständige Gebrauch stumpft jedoch die Geschmacksnerven ab und wirkt einseitig und ermüdend. :)
LG!
S.