Lieber Martin,
ich komme leider mit dem Kommentieren Deiner Werke nicht so ganz hinterher - das bitte ich mir nachzusehen! Nicht nur bist Du derzeit überaus schöpferisch, es fordert (und belohnt!) auch jedes Deiner Gedichte geduldiges vielmaliges Lesen, so dass ich Anmerkungen nicht so rasch aus dem Ärmel schütteln kann.
Was ich hier einmal einflechten möchte, ist meine Bewunderung dafür, dass Du in Deinen Versen in Metrum, Reim, Klang und Sprachfluss eine Ebenmäßigkeit und Präzision erreichst, wie sonst allenfalls unser eKy. In dieser Hinsicht seid Ihr die beiden unangefochtenen Klassiker der Lyrikwiese!
Und gleichzeitig könnten eKys und Deine Gedichte kaum verschiedener sein - in eKys Versen formt und feilt eine strenge Verstandeslogik am Sprachmaterial und zwingt dieses zur völligen Eindeutigkeit der Aussage (fast möchte ich mathematisch von Eineindeutigkeit reden: Ausdruck und Bedeutung lassen sich jeweils eindeutig auf einander abbilden), hingegen gestehst Du, lieber Martin, dem Sprechen gewissermaßen eine Autonomie zu, die Sprache ist offen gegenüber vielerlei Lesarten und ist somit weit mehr als das Abbild einer subjektiven Wirklichkeit. Es ist vor dem Hintergrund dieses Unterschieds ungeheuer anregend, Eure Gedichte im Wechsel zu lesen!
Und unnötig zu betonen, dass ich hier keinen dieser konzeptionell so verschiedenen Zugänge zur Wirklichkeit auf Kosten des anderen herausstellen möchte!
Ansonsten zwei Anmerkungen, um einmal die Präzision Deiner Sprache zu beleuchten. Ich bin an zwei kleinen Stellen kurz gestolpert und dachte erst, ich sei - völlig untypisch für Deine Sprachhandhabung - auf zwei Flüchtigkeitsfehler gestoßen: "... hatte kein Gelüsten... " und "Was schiert mich diese Narretei... ".
Beim ersten Ausdruck schien mir zunächst aufgrund des durch "kein" angezeigten Singulars die Form "Gelüste" stimmiger zu sein als "Gelüsten", bis ich merkte, dass hier nicht etwa der seltene Singular "das Gelüste" Verwendung findet (das Wort wird üblicherweise im Plural gebraucht: "ich habe viele Gelüste"), sondern dass hier "das Gelüsten" als eine Substantivierung des Verbs "gelüsten" benutzt wird. Ebenso kreativ wie korrekt.
Im zweiten Fall meinte ich zunächst, es müsse heißen "was schert mich" (im Sinne von: was kümmert mich). Dann ist mir aber aufgegangen, dass wir es hier mit dem selten Verb "schieren" zu tun haben, ein Fachausdruck, der das Durchleuchten von Eiern bezeichnet. Hier wird also das LI vom Gewitterlicht "geschiert", durchleuchtet. Wieder ein völlig korrekter, dabei absolut origineller Sprachgebrauch.
Bewundernde Grüße!
S.