Autor Thema: In memoriam  (Gelesen 764 mal)

Sufnus

In memoriam
« am: Februar 24, 2020, 11:44:58 »
In memoriam

Den Augen war der Schwarzvogt Asche und Gedächtnis
(in Dunkelhaft sang noch die Notenschrift vom Tag),
das Ander-Ich verschwand im Spiegel. Sein Vermächtnis
der Unio-Mystica-Gespielin hieß: entsag
dem Kinderspiel, der Läuterlust, der letzten Beute,
verschenk den Tand, auch Kleider machen keine Bräute.

Doch hing die Sommertäuschung schwebend in den Sphären,
als hätt der Herbst nicht stets den Nebel bei der Hand,
die Ätherkrumen bröselten ins Herz. Dein Währen
gewährte herzelang Asyl. Wie's um uns stand,
das siegelte leichthin ein kleinlicheres Heute.
Idee und Tand. Auch Kleider machen keine Bräute.



« Letzte Änderung: Februar 24, 2020, 17:16:43 von Sufnus »

Agneta

  • Gast
Re: In memoriam
« Antwort #1 am: Februar 27, 2020, 12:24:44 »
klangvoll und traurig, lieber Sufnus. Da traut man sich gar nicht zu interpretieren, lässt es einfach wirken.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: In memoriam
« Antwort #2 am: Februar 27, 2020, 15:25:57 »
Hi Suf!

Sehr schön geschrieben, aber mit dem Verständnis tu ich mich hier etwas schwer, denn mir scheint, der lyrische Stil (symbolhafte Verbilderung) geht hier ein wenig in Richtung Martin Römer. Ein Ex-Geliebter, der das Ende von Beziehungen (oder dieser einen Beziehung) beklagt? Oder dass all die Menschenspiele um die Liebe letztlich nur Seelenwunsch und Illusion sind, die sich der sehnende Geist macht?

Jedenfalls sehr gerne gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: In memoriam
« Antwort #3 am: M?RZ 02, 2020, 12:58:58 »
Liebe Agneta & eKy! :)

Da hab ich ich in der Tat mal an etwas stärker hermetischen Zeilen versucht, die sich dem Verständnis entgegenstemmen. :)

Dein Zugang, Agneta, den Text einfach wirken zu lassen, also die emotionale Schwingung aufzunehmen, ohne den Versuch der exakten und eindeutigen Entschlüsselung zu unternehmen, ist genau das, was diese speziellen Zeilen sich vom Leser "wünschen".

eKy, Du gehst in Deinem Lesezugang grundsätzlich eher vom Verstand und Verständnis aus; das ist ganz wunderbar und schlägt sich in Deinen Vorlieben und Deinen eigenen Texten nieder, die sich immer bemühen, dem Leser eine Brücke zu bauen und ihn zum Verstehen einladen. Es macht Deine Lyrik im besten Sinn zugewandt. :) Übrigens hast Du, Deinen Lesezugang auf "In Memoriam" anwendend, den "Sinn" genau erfasst, was zeigt, dass meine Zeilen kein vollkommen hermetischer Text sind, wie z. B. einige extreme Beispiele bei Celan (nicht seine Todesfuge, die ist vom Sinn her weitestgehend klar entschlüsselbar).

Die Frage bleibt jetzt natürlich, ob man (mehr oder weniger) hermetische Texte überhaupt "braucht", also Werke, die nicht in eine klare Aussage übersetzt werden können, sondern dem Verstand unzugänglich bleiben.

Eine meist anerkannte Variante hermetischer Literatur sind Unsinnstexte, die eine komische Wirkung entfalten wollen. Man kann hier die mittelalterlichen Fatrasien als bekanntes Beispiel aufführen und späterhin z. B. auch viele auf Komik abzielende Surrealistische und Dadaistische Texte. Gerade bei Komik ist das natürlich vornehmlich eine Geschmacksfrage, der eine mag es, der andere nicht. Da ist also durch eine Diskussion wenig zu gewinnen.

Ergiebiger finde ich den Aspekt der "ernsthaften" hermetischen Texte. "Bringen" Texte irgendetwas, wenn sie völlig unverständlich sind - und zwar nicht etwa, weil sie eine hohe Vorbildung einfordern oder Spezialwissen ausbreiten, sondern schlicht und einfach, weil sie sich der Logik und dem normalen Sprechen und Denken entziehen.

Hier mal ein Beispiel dazu, ein Textauszug von Rilke:

Ach und um diese
Mitte, die Rose des Zuschauns:
blüht und entblättert. Um diesen
Stampfer, den Stempel, den von dem eignen
blühenden Staub getroffnen, zur Scheinfrucht
wieder der Unlust befrucheten, ihrer
niemals bewussten, - glänzend mit dünnster
Oberfläche leicht scheinlächelnden Unlust.


Sind also nun solche Texte "zu etwas Nütze"?

Ich denke, das sind sie durchaus. Sie erweitern die Möglichkeit, mit Hilfe von Wörtern etwas auszudrücken, was mit "normaler" Sprache nicht auszudrücken ist. Die Befähigung zur Sprachproduktion hat den Menschen um unendlich viele Möglichkeiten des Ausdrucks erweitert, sie hat ihm aber auch in mancherlei Hinsicht den Zugang zu Vor-Sprachlichen Inhalten entzogen.

Ein berühmtes Beispiel (von Peter von Matt im Band "Die verdächtige Pracht" trefflich analysiert) ist der Schrei, der ja weit mehr als nur schieres Entsetzen oder Zorn oder Freude ausdrücken kann, sondern unendliche Schattierungen des Gefühlserlebens vermittelt. Und doch kann der Schrei nicht "aufgeschrieben" werden. Natürlich sind "Aaaah" und "Oh" und "Aiiiiii" mögliche Notationen für den Schrei und doch bleiben sie blass gegenüber dem tatsächlichen Ereignis. Und natürlich kann der Schrei mit Vergleichen umschrieben werden... "wie eine gequälte Kreatur", "wie ein brüllender Ochse", "geradezu klirrend wie zerspringendes Glas" - aber mit diesen Umschreibungen wird das Ereignis des Schreis zu einem verstandesmäßig analysierbaren Objekt und verliert viel von seiner Unmittelbarkeit.

Ein anderes Element des menschlichen Seelenlebens, das sich der Sprach-Eindeutigkeit entgegenstemmt, ist das gleichzeitige Empfinden widerstreitender Gefühle:
 
"Ich liebe und hasse. Aber warum bloß? Ja, das wüsstest Du gern!
Doch ich bin ratlos. Es kreuzigt mich." (Catull)


Natürlich lässt sich so etwas durch Oxymora und Paradoxien in die Sprachlichkeit zwingen - aber hierbei gehen Nuancen verloren und außerdem wird dabei für den Außenstehenden bereits der Keim der Unverständlichkeit gesät.

Gelichteter Schmerz

Aus Sonne und Schwarz hab ich mir
ein kinderblaues Kleid gemacht, die
lächelnde Trauer übergestreift, damit
mich niemand sehen kann, und bin so-
weit und suche dich
endlich heim.


Diese Zeilen - nur eine Etüde - sind zwar noch grob verständlich, aber doch dem normalen Reden bereits stark entzogen, weil hier der Versuch unternommen wird, zwei unvereinbare Gefühle, Trauer und erinnernde Dankbarkeit, unter einen Hut zu bekommen.

Sollen nun noch komplexere, vor-sprachliche Elemente des menschlichen Seelenhaushalts mit Hilfe von Wörtern angedeutet werden, löst sich die Eindeutigkeit und Allgemeinverständlichkeit der Sprache zusehends auf und am Ende bleibt nur noch eine Gefühlsübertragung. Diese Tatsache ist - so denke ich - der Schlüssel für die Begründbarkeit und Wertigkeit "unverständlicher" Literatur: Wenn es zu einer Übertragung von Gefühlen, zum Berührtsein des Lesers kommt, dann hat - zumindest das in Frage stehende literarische Werk für diesen einen, berührten Leser seine "Sinn"-Funktion erfüllt.

... soweit ein paar Gedanken zum Thema der Obskurität in Gedichten... ein Dankeschön an jeden, der bis hierher durchgehalten hat. ;)

S.




Eisenvorhang

  • Gast
Re: In memoriam
« Antwort #4 am: M?RZ 02, 2020, 15:45:25 »
Liebe Agneta & eKy! :)


Ach und um diese
Mitte, die Rose des Zuschauns:
blüht und entblättert. Um diesen
Stampfer, den Stempel, den von dem eignen
blühenden Staub getroffnen, zur Scheinfrucht
wieder der Unlust befrucheten, ihrer
niemals bewussten, - glänzend mit dünnster
Oberfläche leicht scheinlächelnden Unlust.


Sind also nun solche Texte "zu etwas Nütze"?



In den Briefen an einen jungen Dichter, erkennt man ja wie Rilke so tickte. Wobei der Auszug in meinen Augen noch leicht verständlich ist, denn er beschreibt nichts anderes als die schönste Schönheit eines erlebten Momentes. Fortgeführt wurde die Art der Betrachtung unter anderem von D. Lerner, der sich nur der strickten Form entledigt hat.

Ich finde es sehr wichtig, dass es solche Texte noch gibt. Denn sie wirken befreiend, sich von den Zwängen mit tiefster Ehrlichkeit lösend - geht man von der breiten Masse aus, ist es doch mitnichten verwunderlich, dass es ab einem gewissen Punkt Grenzen der Vorstellung gibt. Was wissen wir schon, wie beispielsweise ein Autist mit Synästhesie die Welt wahr nimmt. Hier könnte man nur spekulieren, aber nachvollziehen können es nur die Wenigsten.
Rilke schrieb in einem Brief, dass man sich nicht den breiten Themen zuwenden soll, weil sie übersättigt seien, stattdessen solle man vollen Mutes sich mit dem beschäftigen, was unbeobachtet bleibt und wenn es nur ein schöner Moment ist, den man in bester Sprache zu ummanteln versucht.

Das zieht einige Vorteile nach sich: Nämlich viel Freiheit und Mut zum Wort. Bei Rilke und auch anderen Autoren die gut geschrieben haben, erkennt man immer wieder wiederkehrende Unregelmäßígkeiten in Ausdruck, Form und Metrum. So nähert man sich auch die Vielschichtigkeit der Dinge im Leben und irgendwann erkennt man, dass manche Dinge nur eine bestimmte Art und Weise gesagt werden können.

Ein User aus einem anderen Forum hat das mal wunderschön gesagt, die Phrase hat sich seither bei mir eingebrannt: "Lyrik ist nicht nur Mathematik, wenn sie atmen und leben soll, muss sie den Freiraum besitzen ausbrechen zu dürfen."
Es gibt empfundene Bilder, die sich nur schwer in Worte packen lassen und vielleicht ist das, das höchste Gut der Dichtung: eine einfache Sprache zu entwickeln, die auf ihre Weise wunderschön ist.

Auch du hast es einmal erlebt, ich weiß:
Der Tag ermattete in armen Gassen,
und seine Liebe wurde zweifelnd leis -

Dann ist ein Abschiednehmen rings im Kreis:
es schenken sich die müden Mauermassen
die letzten Fensterblicke, hell und heiß,

bis sich die Dinge nicht mehr unterscheiden.
Und halb im Traume hauchen sie sich zu:
Wie wir uns alle heimlich verkleiden,
in graue Seiden
alle uns kleiden, -
wer von uns beiden
bist jetzt du?
- Rilke, Aus: Die frühen Gedichte (Gebet der Mädchen zur Maria)

Ich persönlich finde anhand vom Beispiel von Rilke, das er völlig frei geschrieben hat, ja fast dürstend, sich nicht in der Sprache verlierend, sondern sie erfüllend gelebt hat.
Und die moderne Lyrik wie der oben genannte D. Lerner oder auch Jan Wagner oder R. Winkler begreifen die Lyrik ähnlich wie Rilke, nur besitzt die sprachliche Schönheit unserer Zeit eben eine andere Grammatik respektive Sprache.

Das Problem ist, wie ich finde, das Lyrik in unserer heutigen Zeit so wenig Anklang findet, das destruktive Kritik an Orten geleistet wird, wo Lyrik noch leben will. Oder das falsche Erwartungen an Schreibinteressierten vermittelt werden. Ich persönlich finde, dass ein neugieriger Geist nur dann zur ehrlichen und schönen Sprache finden kann, wenn er ihr auch ehrlich begegnen darf.
Und das ist das Schwierige in einer Zeit wo alles Schwachsinn und Schund ist, ohne das großartige Bemühungen bestehen Empathie walten zu lassen.


« Letzte Änderung: M?RZ 02, 2020, 15:49:28 von Eisenvorhang »