Zur Mitternacht, in Schlaf gewoben,
ruht Babylon, und unerkannt
bin ich im Saal des Schlosses droben
ein Teil der glatten, weißen Wand.
Vor mir ein Festmahl, warm entschleiert
des Herrschers Frauen, Fackelschein.
Belsazar liebt den Glanz, er feiert,
und tausend Knechten schmeckt sein Wein.
Der König zecht, und seine Wangen
sind glühend rot, ihm kocht das Blut.
Die Dreistigkeit weckt das Verlangen,
sich großzutun mit keckem Mut.
Er strebt danach, die Welt zu leiten.
Heut reicht sein Wink mit einem Blick,
man eilt und kehrt mit gottgeweihten
Geräten auf dem Haupt zurück.
Ein Becher, aus dem Tempelschatze
des Herrn geraubt, er trinkt ihn leer
und höhnt: „Jehova, bleiche Fratze…
Ich herrsche jetzt und du nicht mehr!“
Der Beifall brandet kurz, dann zagen
die Hände, denn aus weißer Wand
sieht man fünf große Finger ragen
und schließlich mich, Jehovas Hand.
Mein heißer Zorn entbrennt in Flammen
und schwärzt sein Urteil in das Weiß.
Dann falte ich mich still zusammen.
Die glatte Wand gibt nichts mehr preis.
Der König stiert, von Angst durchdrungen,
mit weichen Knien, vor sich hin.
Das Fest verfällt und lähmt die Zungen,
es sträubt das Haar, verwirrt den Sinn.
Die Weisen rätseln beim Entflechten
des Sinnes, den die Schrift bewacht. -
Belsazar wird von seinen Knechten,
bevor es Tag wird, umgebracht…
(nach Heines Ballade)
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