Ein dunkles Moor bin ich, verkleide
den wasserreichen Untergrund
mit schönem Wollgras, Schilf und Heide,
doch tödlich küsst mein schlaffer Mund.
Gehenkte mit verengten Kehlen
versenkte man in meinen Schlick,
doch deren ruhelose Seelen
lass ich ins Abendgrau zurück.
Und nun ist Abend, und ein Knabe
macht sich vom Kirchlein auf nach Haus.
Er quert mich eilig, doch ich grabe
so gern die Angst der Kinder aus.
Gleich heult der Wind auf düstrer Fläche,
der Knabe duckt im Nebel sich:
Ihn dünkt, der Gräberknecht verspreche
Gestohlenes ihm freventlich.
Er weicht zurück, doch nickt die Föhre,
die wie die Spinnlenor dort steht:
Er glaubt, die Schreckliche beschwöre
ihn haspelnd, dass er mit ihr geht.
Er rennt davon, doch vor den Sohlen
tut sich mein Grund melodisch auf:
Ihm graust, als wolle sie ihn holen,
die Hand des Hochzeitsgeigers Knauf.
Ein Seufzer ringt sich aus der Tiefe,
der Knabe flüchtet wie ein Reh.
Ihm ist, als ob die Margret riefe:
„Zu Hilf, verdammt bin ich, oh weh!“
Schon spüre ich das Kind versinken,
bewahren werde ich den Rest.
Da scheint ein Stern mir zuzuwinken,
und meine Ränder werden fest.
Der Knabe fühlt es, dankt den Mächten.
Ein Licht winkt ihm vom Elternhaus. -
Ich lass die Geister Wollgras flechten
und lösch mein Irrlicht heute aus…
(nach der Ballade von Annette von Droste-Hülshoff)
https://www.deutschelyrik.de/der-knabe-im-moor.395.htmlAnmerk.: v. Droste-H. lässt nur Knochen im Moor zurückbleiben. Tatsächlich löst das saure Milieu die Knochen auf und konserviert den Rest.