Autor Thema: Lustgetragen  (Gelesen 1852 mal)

Erich Kykal

Lustgetragen
« am: Mai 26, 2019, 23:28:52 »
Spürtest du, wie meine Blicke streiften
über Gesten, die den Sinnen reiften
wie Geständnisse, die keiner spricht?
Ach, dein Körper stieg aus meiner Seele
ins Verlangende, so als befehle
er mein Tun - und all mein Wissen nicht.

Deine Schönheit hat mein Blut beflügelt,
und der Kutscher, der die Rosse zügelt,
liegt schon abgeworfen weit von hier!
All mein Geist hat mit der Augen Reise
auf Konturen deiner Lenden leise
sich verwandelt in ein wildes Tier.

Sieh, du hast dir meine Glut gewonnen,
und sie ist in meiner Scham geronnen
zu dem Zeiger, der die Stunde weist,
der, die Zeit in deiner Wärme dehnend
und sich sachte an dein Sehnen lehnend,
deine Tiefen wie ein Gott bereist.
« Letzte Änderung: Mai 27, 2019, 19:59:50 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Lustgetragen
« Antwort #1 am: Mai 27, 2019, 10:59:09 »
Klasse, lieber Erich, wie hier die Schönheit wild und ihre Besitznahme ein Körperteil zum Gott wird. Die Metaphorik verbindet viele Ebenen.

Chapeau gummibaum
« Letzte Änderung: Mai 27, 2019, 11:02:53 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Lustgetragen
« Antwort #2 am: Mai 27, 2019, 20:02:01 »
Hi Gum!

Rilke hat ein paar wunderbare symbolisierte Sex- und Orgasmusgedichte geschrieben! Ich eifere gerne nach!  ;) ;D

Vielen Dank für den ebenso symbolisch gezogenen Hut!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Lustgetragen
« Antwort #3 am: Mai 27, 2019, 23:06:26 »
Kannst du mir zu Rilkes Gedichten mal einen Titel nennen?

Erich Kykal

Re: Lustgetragen
« Antwort #4 am: Mai 27, 2019, 23:52:24 »
Puh, so auf die Schnelle nicht. Ich weiß, dass eins davon auf einer CD des "Rilke Project" von Schönherz und Fleer war.

Google doch mal "Rilke - sinnliche Gedichte". Vielleicht bringt das was ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Lustgetragen
« Antwort #5 am: Mai 28, 2019, 00:40:30 »
"Sieben Gedichte" um Kriegszeit herum.......

Erich Kykal

Re: Lustgetragen
« Antwort #6 am: Mai 28, 2019, 18:40:41 »
Hi Martin!

Vielen Dank! Hab's heute interessanterweise im Buchladen gefunden und wollte es hier vermelden, indes, du bist mir zuvorgekommen.

Und hier sind sie:

Sieben Gedichte

                        I

Auf einmal fasst die Rosenpflückerin
die volle Knospe seines Lebensgliedes,
und an dem Schreck des Unterschiedes
schwinden die [linden] Gärten in ihr hin

                        II

Du hast mir, Sommer, der du plötzlich bist,
zum jähen Baum den Samen aufgezogen.
(Innen Geräumige, fühl in dir den Bogen
der Nacht, in der er mündig ist.)
Nun hob er sich und wächst zum Firmament,
ein Spiegelbild, das neben Bäumen steht.
O stürz ihn, dass er, umgedreht
in deinen Schoß, den Gegen-Himmel kennt,
in den er wirklich bäumt und wirklich ragt.
Gewagte Landschaft, wie sie Seherinnen
in Kugeln schauen. Jenes Innen,
in das das Draußensein der Sterne jagt.
[Dort tagt der Tod, der draußen nächtig scheint.
Und dort sind alle, welche waren,
mit allen Künftigen vereint
und Scharen scharen sich um Scharen,
wie es der Engel meint.]

                        III

Mit unsern Blicken schließen wir den Kreis,
dass weiß in ihm die wirre Spannung schmölze.
Schon richtet dein unwissendes Geheiß
die Säule auf in meinem Schamgehölze.

Von dir gestiftet steht des Gottes Bild
am leisen Kreuzweg unter meinem Kleide;
mein ganzer Körper heißt nach ihm. Wir beide
sind wie ein Gau darin sein Zauber gilt.

Doch Hain zu sein und Himmel um die Herme
das ist an dir. Gieb nach. Damit
der freie Gott inmitten seiner Schwärme
aus der entzückt zerstörten Säule tritt.

                        IV

Schwindende, du kennst die Türme nicht.
Doch nun sollst du einen Turm gewahren
mit dem wunderbaren
Raum in dir. Verschließ dein Angesicht.
Aufgerichtet hast du ihn
ahnungslos mit Blick und Wink und Wendung.
Plötzlich starrt er von Vollendung,
und ich, Seliger, darf ihn beziehn.
Ach wie bin ich eng darin.
Schmeichle mir, zur Kuppel auszutreten:
um in deine weichen Nächte hin
mit dem Schwung schoßblendender Raketen
mehr Gefühl zu schleudern, als ich bin.

                        V

Wie hat uns der zu weite Raum verdünnt.
Plötzlich besinnen sich die Überflüsse.
Nun sickert durch das stille Sieb der Küsse
des bittren Wesens Alsem und Absynth.

Was sind wir viel, aus meinem Körper hebt
ein neuer Baum die überfüllte Krone
und ragt nach dir: denn sieh, was ist er ohne
den Sommer, der in deinem Schoße schwebt.
Bist du's bin ich's, den wir so sehr beglücken?
Wer sagt es, da wir schwinden. Vielleicht steht
im Zimmer eine Säule aus Entzücken,
die Wölbung trägt und langsamer vergeht.

                        VI

Wem sind wir nah? Dem Tode oder dem,
was noch nicht ist? Was wäre Lehm an Lehm,
formte der Gott nicht fühlend die Figur,
die zwischen uns erwächst. Begreife nur:
das ist mein Körper, welcher aufersteht.
Nun hilf ihm leise aus dem heißen Grabe
in jenen Himmel, den ich in dir habe:
daß kühn aus ihm das Überleben geht.
Du junger Ort der tiefen Himmelfahrt.
Du dunkle Luft voll sommerlicher Pollen.
Wenn ihre tausend Geister in dir tollen,
wird meine steife Leiche wieder zart.

                        VII

Wie rief ich dich. Das sind die stummen Rufe,
die in mir süß geworden sind.
Nun stoß ich in dich Stufe ein um Stufe
und heiter steigt mein Samen wie ein Kind.
Du Urgebirg der Lust: auf einmal springt
er atemlos zu deinem innern Grate.
O gieb dich hin, zu fühlen, wie er nahte;
denn du wirst stürzen, wenn er oben winkt.


Meine persönlichen Favouriten sind Nr. III, vor allem aber Nr. IV!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 28, 2019, 18:47:05 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Lustgetragen
« Antwort #7 am: Mai 29, 2019, 00:03:59 »
Ja, da hat er sich köstlich aus der Hängematte der Spätphase geschmissen! Machtvoll im Rhythmus, philosophisch orgelnd in den Nebenflüssen, prachtvoll bebildert im Ganzen.

Wenn du noch ein wenig Blablabla zu DEINEN Klängen haben möchtest.......

Mit ungesagten bzw. eher gesagten Geständnissen muss das in meinem Fall grausam sein. Ich würde meinen Geist als eher zurückgezogen und devot und leicht beschreiben, da muss so ein Geständnis besonders intensiv erscheinen......

und all mein Wissen nicht. --------- Ach ja, wie bizarr! Wenn mich was Holdes und Hübsches aus dem Stalinismus wie ein Gespenst umgeht, funkelt alles Mögliche auf, von der Augenbinde bis zum Prügeln in die Vereinigung hinein.

Der Kutscher, der die Rosse zügelt ------------ Das ist natürlich nicht besonders fein, dieses Auf-Teufel-komm-raus. Es gibt ja noch an Erotischem die allerdings ungereimte 3. Elegie und diese schließt mit dem Rat ans Mädchen zum Spielverderben, zum Untersagen. Ansonsten: für mich ist das nicht relevant.

sich verwandelt in ein wildes Tier ----------- muss es immer, immer das Tier sein? Kann man nicht auch ganz menschlich schlecken und knabbern? Im Übrigen: ich mag auch Arme sehr gern!  ;)

Sieh, du hast dir meine Glut gewonnen, und sie ist in meiner Scham geronnen ---------------- Schön gezeichnet.

Deine Tiefen wie ein Gott bereist. ---------- Ach ja, das macht wieder melancholisch. Muss denn wirklich eins ins andere übergehen, braucht es Herr und Püppchen? Tjajaja....


Jetzt bliebe noch die spannende Frage: hast du Liebessehnen? Ach ja, ich muss jeden Tag für ne Stunde in die Therapie. Weißt du, was ich mir neulich gesagt habe: es ist so ein kristallenes Rosiges oder rosiges Kristallenes, aber mit Annlieslein läge ich noch n bisschen lieber im Bette: denn dieser Jubel konnte immer wieder neu entzündet werden, dieses Meer hatte keine Küsten.......

Dein körperliches Wrack schleppse aber nicht an die grünblinkenden Gestade, oder? Ich selber weiß ja nicht, ich weiß ja nicht. Ich bin im Übrigen noch absolut unberührt: noch nicht mal Händchenhalten wurde mir vergönnt. Dann sollte ich mir vielleicht den Spruch meiner Freunde zu Herzen nehmen: das Beste oder nichts. Dafür müsste ich wahrscheinlich in die letzte mongolische Jurte krabbeln. Und natürlich gibt es noch andere Aspekte.


Viele Grüße zur Nacht
vom
Adm in spe:
also auch einem großen Herrn


Erich Kykal

Re: Lustgetragen
« Antwort #8 am: Mai 29, 2019, 11:45:02 »
Hi Martin!

Ich weiß zwar nicht, was du mit "Geständnissen" meinst, aber ich gehe davon aus, dass jeder "normal" hormongesteuerte Mann teils bis ins hohe Alter ein "Liebessehnen" hat.

Das obige Gedicht zielt aber keineswegs auf Dominanz oder gar Sado-Maso ab, sondern will nur den Animus der puren Lust beschreiben. Und wenn auch jedes eregierte Glied sich gottgleich wähnt (was wohl in der Natur der Sache liegt ...  ;) >:D) - die Frau kann ja nach Belieben Gebrauch davon machen, ohne das Teil (oder das keuchende Anhängsel) gleich anzubeten!  ;D

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 31, 2019, 22:57:01 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Curd Belesos

Re: Lustgetragen
« Antwort #9 am: Mai 31, 2019, 22:38:39 »
Moin Erich,
ich schweige beseelt ob deiner Verse und der Nr. VI von Rilke  ;D

Beglückten Nachtgruß

CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Erich Kykal

Re: Lustgetragen
« Antwort #10 am: Mai 31, 2019, 23:00:05 »
Hi Curd!

Ja, der gute Rilke war schon ein Schelm!  >:D

Vielen Dank für dein Lob an auch meine Zeilen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.