Die Würde der Hure ist unantastbar
Immer wieder – und leider neuerdings immer öfter – bemerke ich herabwürdigende Äußerungen zu allen Arten von Minderheiten oder nonkonformem Aussehen oder Verhalten.
Sei es, dass jemand von einem „Politiker“ öffentlich als „Halbneger“ bezeichnet wird (das Wort klingt schon beim Lesen im Kopf nach Verachtung!), bloß weil seine Haut dunkler ist, oder dass neuerdings wieder Schwulenhetze oder Begriffe wie „völkisch“ in manchen deutschsprachigen Gegenden salonfähig zu werden scheinen – es ist dieselbe braun angerührte, als Sorge um die „Volksgesundheit“ getarnte Widerlichkeit, die uns schon beim letzten Mal den Respekt der ganzen Welt gekostet hat!
Ich persönlich muss ehrlich gestehen, dass mir ein Dutzend „Halbneger“ jederzeit bessere Gesellschaft sind als auch nur ein einziger sie so bezeichnender „Halbmensch“!
Warum nun dieser Titel? Ich habe einmal sagen hören, man könne die moralische Kompetenz und den ethischen Tiefgang eines Volkes daran ablesen, wie es mit seinen Huren umgeht. Werden sie respektiert und geachtet, behandelt man sie mit der ihnen zustehenden Würde und Fairness?
Denn in Artikel eins der Charta der Menschenrechte steht ja zu lesen: Die Würde des Menschen ist unantastbar!
Nun wird wohl niemand abstreiten können, dass Huren eindeutig Menschen sind, also trifft auch die Formulierung des obigen Titels eindeutig zu. Und ob es nun Prostituierte seien, Flüchtlinge oder Ausländer im Allgemeinen, ob Schwule, Juden oder andere Sündenböcke für armselige Geister – man hat sie alle mit dem selben Respekt zu betrachten wie den höflichen Nachbarn, der einen jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit über den Zaun grüßt, wie den verdienten Vereinskollegen, mit dem man seit Jahren befreundet ist, und eben allen anderen sogenannten vertrauten Teilen des gesellschaftlich und kulturell normierten „Volkskörpers“.
Dabei zählen keine angst- oder wutgesteuerten Argumente für die an den Tag gelegte Antipathie gleich welcher Art, da geht es nur um die Art des Umgangs mit jenen, die nicht das Glück oder die Gelegenheit hatten, Teil dieses Körpers zu werden, anerkannt und wohlgelitten. Jenen, die man pauschal verurteilt, ob aus moralischen Resentiments oder aus wirtschaftlichen oder gar rassischen Ängsten heraus, mit herablassender Verachtung, beleidigenden Vorurteilen oder mit krankem Hass zu begegnen, nur um sich selbst daran hochziehen und auf einem überlegenen moralischen oder gesellschaftlich elitären Ross sitzen zu können, DAS ist das wahrlich Verachtenswerte!
Ob es nun die Zeugen Jehovas sind, die denken, ihr „reines Blut“ mache sie zu etwas Besserem als den Rest der Menschheit, und die bereit sind, selbst das Leben ihrer eigenen Kinder auf dem Altar ihrer arroganten Verstiegenheit zu opfern, indem sie rettende Bluttransfusionen von „Ungläubigen“ verweigern und ihre Kinder damit nur auf der Basis einen unbeweisbaren „Glaubens“ zum Tode verurteilen, allein damit sie selbst Teil dieser menschenverachtenden Gemeinschaft bleiben können – oder ob Scientologen, die dazu indoktriniert werden, sogar die engsten Familienmitglieder zu verstoßen, wenn diese nicht bereit sind, ihnen auf dem Weg in die höchste Form menschlicher Verblendung zu folgen – ob Rassisten jeglicher Couleur, die mangels eigener Begabungen, Talente und Persönlichkeit Zuflucht zu dem Irrglauben nehmen, ihre Herkunft allein mache sie zu etwas Besonderem und Erhabenen – ob jene „Angstbürger“, die sich benachteiligt fühlen und dafür gern all jene verantwortlich machen, die ihnen irgendein manipulativer Agitator vorschlägt, egal wie oberflächlich und subjektiv die diesbezüglichen Argumente sein mögen – ob eben auch all die Bildungsfernen und Dummen, die willig mit der Herde blöken, nur um ihren eigenen Unverstand zu kaschieren – und natürlich ob es die Fanatiker sind, egal ob religiös oder politisch motiviert, die allen, die nicht ihren Ansichten und Vorstellungen folgen wollen, gleich ganz jegliches Existenzrecht absprechen … wer es auch sei, sie verletzten uns alle mit ihrem Denken und Handeln und tragen dazu bei, dass unsere Zivilisation letztlich untergehen wird, weil sie irgendwann nicht mehr fähig sein kann, all diesen Irrsinn gesellschaftsverträglich zu kompensieren.
Da steckt man den Kopf lieber in den Sand und faselt etwas von „Toleranzprinzip“. Wirklich? Ich muss Wahnsinn, Blödheit, Arroganz und Verwerflichkeit tolerieren und respektieren, bloß weil die sich wie eben beschrieben verhaltenden Betreffenden sich eine Religionsgemeinschaft oder eine eingetragene politische Partei nennen? Ich soll schweigen dazu oder zumindest nicht ausfällig werden, wenn ich ihr Fehlverhalten und ihre eklatante Missachtung demokratischer oder allgemeiner moralischer Werte anprangere?
Schwer, aber genau das wird erwartet, wenn man nach den Regeln unserer sozialen Übereinkünfte spielen soll, und zwar unabhängig davon, ob die Opponenten sich selbst an ebenjene Regeln halten oder nicht – was sie natürlich nie tun! Können wir auf diese Weise überhaupt gewinnen, nur indem wir ein „besseres Beispiel“ geben und höflich tadelnd anmahnen?
Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass das funktionieren wird. Aber welche Alternative haben wir, wenn wir nicht genauso pauschalisierend und oberflächlich werden wollen wie jene, die unser System und unsere Werte bekritteln und untergraben? Wie können wir noch pluralistisch und tolerant sein, wenn es darum geht, den Feind im Inneren zu bekämpfen, der nur ebenjenen Mitteln der Gewalt weichen wird, die wir so an ihm selbst verdammen?
Eine schwierige Frage. Wer die Antwort kennt, nenne sie mir.