Autor Thema: Überfordert (Ghasele)  (Gelesen 966 mal)

Agneta

  • Gast
Überfordert (Ghasele)
« am: Dezember 12, 2018, 10:30:43 »
Überfordert


Es schlürfte, gurgelte das braune Watt,
das Land umzu war überschaubar, platt.

Kein Baum besäumte jenen stillen Grund.
Die Frau an seiner Seite schlurfte matt.
Die Nacht fiel still bis auf den Meeresgrund,
der vieles schon in sich verborgen hat.

Er schleifte sie, er schleppte sie zum Meer
und zog das kleine Kind stumm hinterher.

Sie sollt die Flut sehn in des Mondes Rund.
Ihr Schritt war müde, ihre Augen leer.
Die Flut war mit dem Teufel heut im Bund,
sie bog sich auf. Es roch nach Tang und Teer.






« Letzte Änderung: Dezember 12, 2018, 11:14:54 von Agneta »

Erich Kykal

Re: Überfordert (Ghasele)
« Antwort #1 am: Dezember 12, 2018, 23:11:52 »
Hi Agneta!

Ein interessanter Text mit dichter, beklemmender Atmosphäre.

Die Reimwiederholung "Grund/Meeresgrund" stört mich ein wenig. Statt "Grund" hätte man "Sund" schreiben können.

Ansonsten sehr intensiv zu lesen, bloß bleibt mir leider unklar, was genau da eigentlich beschrieben will und worauf der Text hinaus will. So betrachtet passt der Titel (der für mich sonst zu nichts in diesem Gedicht passt) genau auf mich: Ich fühle mich überfordert! Die einzelnen Bilder sind zwar deutlich, aber sie verbinden sich für mich einfach nicht zu einer stringenten Handlung oder einer Moral. Zuviel bleibt Andeutung oder Symbol für mich - kannst du mir helfen?

Abgesehen davon sehr gern gelesen und lyrisch genossen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 12, 2018, 23:13:26 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Überfordert (Ghasele)
« Antwort #2 am: Dezember 13, 2018, 18:54:44 »
Lieber Erich,

die Stilmittel verdichten, die Ablaute sch, das aktive Watt, das schlürft, die einsame kleine Familie, die in die Katastrophe läuft durch Überfoderung.
Die überschaubare Landschaft, doch niemand sah hin, niemand half.
Andeutungen. Vielleicht bringt er seine Frau um, weil er sie nicht mehr sehen kann, vielleicht auch alle oder alle gehen gemeinsam in den Tod.
Du kennst die Landschaft des Watt nicht, ich kenne sie gut und liebe sie.
Sie ist weit, befreiend, aber sie kann auch bedrückend sein, düster und unheilvoll.
In einem anderen Forum findet die Ghasele sehr viel Anklang, die meisten aber, die wirklich Zugang finden, kommen eben aus dem Norden und kennen das Watt.
Ich verrate zunächst nicht mehr, um den anderen nicht vorzugreifen.
Ich habe hier mal wieder eine Doppelghasele geschrieben. Ich liebe ja die Ghasele als Genre und gerne fülle ich sie mit Mytischem. Erinnre dich an die "alte Villa".
Ghaselen haben das gerne...
Danke dir und bin mal gespannt, was die anderen sagen.
LG von Agneta


Sufnus

Re: Überfordert (Ghasele)
« Antwort #3 am: Dezember 13, 2018, 19:34:48 »
Eindringliche Zeilen mit einer - wie schon eKy schrieb - dichten Atmosphäre! Dazu höchst formvollendet! :)
Inhaltlich kann ich mir kaum vorstellen, wie man die Verse anders lesen kann, denn als eine Familientragödie, einen erweiterten Suizid. Der "stille Grund" verweist bereits auf den Meeresgrund, aber auch auf das Bild eines Friedhofs. Dann, noch deutlicher, der Hinweis darauf, was das Meer bereits alles verschlungen ("schlürfen"!) hat ("... der vieles schon in sich verborgen hat"). Ein "einfacher" Unfall einer im Watt verirrten Urlauberfamilie erschiene mir da recht unwahrscheinlich. Nein, der Mann, will seiner Familie das Watt bei Vollmond ("in des Mondes Rund") präsentieren, also dann, wenn die Gezeitenkräfte am stärksten sind, Springtide herrscht. Es nimmt kein gutes Ende, wenn da nicht rechtzeitig Rettung naht, aber von der ist weit und breit nichts zu sehen.
Gegruselt, aber doch fasziniert gelesen! :)
... nur der Titel stört mich auch etwas... er macht das Gedicht für meinen Geschmack fast etwas zu plakativ, erklärt zu viel (ein überforderter Familienvater, eine mit dem suizidalen Mann überforderte Frau, ein Kind, das sich nicht wehren kann)... mir hätte ein Titel, der näher beim Watt oder der Natur bleibt, besser gefallen... aber das trübt mitnichten den Lesegenuss! :)
« Letzte Änderung: Dezember 13, 2018, 19:40:53 von Sufnus »

Agneta

  • Gast
Re: Überfordert (Ghasele)
« Antwort #4 am: Dezember 14, 2018, 12:04:42 »
ja, du hast völlig recht, lieber Sufnus. Es könnte sich auch um Mord handeln.. Das mit der Springflut aber wissen meist nur Menschen umzu… lächeln. Du hast es perfekt analysiert.
Ich freue mich, darüber.
Es ist ein großes Problem, dass junge Familien oftmals überfordert sind im Beruf, Burn out, Depressionen überall . Das schockiert mich.Über eine Familie im Bekanntenkreis meiner Tochter habe ich besonders nachgedacht und denke, dass es nur auf eine Katastrophe hinauslaufen kann. Von 5 mir bekannten jungen Müttern haben 4 eine Depression, die natürlich die ganze Familie belastet und mit krank macht. Die Männer sind ebenso verwzeifelt. Die stärksten Mütter sind seltsamerweise weiter 3 Allein Erziehende...
Seltsame Welt.
Dennoch haben auch die Kinder solcher Depri-Mütter keine Chance, sich normal zu entwickeln, abgesehen von echten Katastrophen-Szenarien, die auch passieren können. Daruüber sollte die gesellschaft nachdenken und darum habe ich
dieses Thema  hier als Intution verarbeitet.
LG und danke von Agneta