Autor Thema: Schachbrettliebe  (Gelesen 1330 mal)

Agneta

  • Gast
Schachbrettliebe
« am: Oktober 05, 2018, 18:47:30 »
Schachbrettliebe

Ich war so frei, ich habe dich geliebt
mit Haut und Haar und ohne jede Frage.
Figuren sind wir, und das Schicksal schiebt
uns übers Schachbrett unsrer Lebenstage.

Ich war so frei und hab dich lieben wollen,
du warst der König, ich war deine Dame.
Respekt und Anstand wollten wir uns zollen.
Du machtest aus der Wilden eine Zahme.

Ich bin so frei, dein Schachbrett engt mich ein,
ich lass mich nicht wie einen Bauern schieben.
Es tut mir leid, ich kann kein Schachmensch sein,
und dennoch werde ich dich immer lieben.

Ach, bin ich dir nicht völlig einerlei,
dann mach mich frei, dann lass mich wieder frei.
« Letzte Änderung: Oktober 16, 2018, 10:56:28 von Agneta »

Erich Kykal

Re: Schachbrettliebe
« Antwort #1 am: Oktober 05, 2018, 19:25:59 »
Hi Agneta!

Ein interessantes Gleichnis: Die Beziehung als Schachpartie! Dieses "Spiel der Könige" würde ja schon sattsam verglichen und gleichgesetzt mit Politik, Strategie, Philosophie! Von dorther kommt es ja auch - aber letztlich ist es auch für intime Verhältnisse gültig! Was sind unsere gegenseitigen Manipulationen durch Gespräche und Verhaltensstrategien denn auch anderes als - wenn auch (hoffentlich) liebevolle - Versuche, eigene Vorstellungen und Ziele innerhalb einer Beziehung zu verwirklichen? Oder die Beziehung so werden zu lassen, wie man selbst sie sich vorstellt und erträumt?

Und da passt es eben nicht immer zusammen! Was dem einen Schutz und Geborgenheit ist, Behüten und Bewahren, erscheint dem anderen womöglich als Gefangenschaft und Bevormundung, Kontrollzwang und Eifersucht.
Nicht umsonst gibt es den Spruch: Was du wirklich liebst, musst du loslassen können! Dann kommt es freiwillig zu dir zurück. Nimmst du es aber für dich gefangen, wirst du es verlieren.

Vorschläge:

Ich war so frei, ich habe dich geliebt
mit Haut und Haar und ohne jede Frage.
Figuren sind wir, und das Schicksal schiebt
uns übers Schachbrett unsrer Lebenstage. So erscheint mir der Satz direkter formuliert.

Ich war so frei und hab dich lieben wollen,
du warst der König, ich war deine Dame.
Respekt und Anstand wollten wir uns zollen.
Du machtest aus der Wilden eine Zahme.

Ich bin zu groß, dein Schachbrett engt mich ein, Die Aussage "Ich bin so frei" von einer Eingeengten ist unlogisch. Gemeint ist "freidenkend" oder "freiheitsliebend", aber das ist semantisch etwas anderes. "Frei" im Wortsinne ist das LyrIch ja eben NICHT!
ich lass mich nicht wie einen Bauern schieben.
Es tut mir leid, ich kann kein Schachmensch sein, Komma hier.
und dennoch werde ich dich immer lieben.

Ach, bin ich dir nicht völlig einerlei,
dann mach mich frei, dann lass mich wieder frei.


Sehr gern gelesen und bearbeitet!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

wolfmozart

Re: Schachbrettliebe
« Antwort #2 am: Oktober 06, 2018, 18:42:56 »
Hallo Agneta,

eines der originellsten und von den Formulierungen schönsten Liebesgedichte, die ich je las.

Liebe Grüße

wolfmozart

gummibaum

Re: Schachbrettliebe
« Antwort #3 am: Oktober 06, 2018, 18:58:40 »
Das finde ich sehr originell, liebe Agneta. Der König hat aber wenig und Dame viel Freiheit in diesem Spiel, und strebsame Bauern können zur Dame werden.
LG g
« Letzte Änderung: Oktober 06, 2018, 19:08:29 von gummibaum »

Sufnus

Re: Schachbrettliebe
« Antwort #4 am: Oktober 08, 2018, 15:29:52 »
Ich schließe mich dem Kreis der Bewunderer an! Ich liebe den Inhalt, die Haltung, den Klang, den Gedanken und die Form Deines Gedichts! wolfmozart übertreibt nicht. :)

Die "einzigste" ;) kleine Inkongruenz, die mir aufgefallen ist: Das Schachbrett wechselt einmal den Besitzer: In S1Z4 das Schicksal und in S3Z1 das lyrische Du. Durch eKys Vorschläge für S1 wäre dieser Widerspruch m. E. aufgelöst. :)

Agneta

  • Gast
Re: Schachbrettliebe
« Antwort #5 am: Oktober 16, 2018, 10:53:00 »
entschuldigt, entschuldigt, Ihr Lieben,  dass ich so spät antworte. Ist mir einfach durchgegangen... Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass dieses Werk so viel Anklang findet. Nichtsdestotrotz freut mich dies natürlich sehr Jetzt aber:
@Erich
danke für deine intensive Befassung.
Deine Korrektur in Strophe eins nehme ich gerne an, da sich dadurch auch die Satzstellung verbessert. Auch Sufnus' Anmerkung wäre damit bereinigt.
Das "Ich bin so frei" steht in einem doppelten Wortsinn:
1- Ich bin ein freier Mensch, der sich selbst bestimmt
2. Ich nehme mir die Freiheit im Sinne von: Ich bin so frei und tue dies oder das

 In diesem Sinne ist die von dir monierte Unlogik aufgelöst, denn das LI nimmt sich die Freiheit, jemanden zu, lieben, wo es komliziert wird, das wusste das LI... Hier habe ich den 2. Sinn verwendet. War ich noch angemessen stolz drauf- zwinker. Darum ist auch das Imperfekt: hab dich lieben wollen , also kein Widerspruch zum andauernden Lieben.
Ich bin zu groß, das fände ich völlig verfehlt, denn dies wäre eine Anmaßung in einer Partnerschaft.

Es geht hier auch nicht um einen Trennungswunsch, sondern um die Anmahnung der eigenen persönlichen Freiheit innerhalb einer Beziehung.
Dieses ist sicherlich ein Thema , das viele Beziehungen betrifft, das sich Partner irgendwann überlagern, sich zu ähnlich werden. Um dieses ging es mir.
Wer in dem Falle opponiert, riskiert nicht selten einen Bruch der Beziehung, denn viele Partner oder Partnerinnen möchten den anderen immer irgendwie "ändern", formen. Eine gewisse Angleichung erfolgt sicherlich automatisch in einer langen Beziehung, denke ich, man nennt das im Volksmund "sich aneinanderrubelln". Eine Überlagerung aber und Auflösung der eigenen Persönlichkeit ist nicht wünschenswert.
Die Liebe allein ist es, die ein solches "kleines Wunder" vollbringen kann, denn nur sie nimmt den anderen so an und belässt ihn so, wie er ist.

@wolf und Gum, siehste, so gut kann ich nicht Schach spielen...

Lieben Dank für euer Lob.
@Sufnus
lies doch bitte meine Antwort zu Erichs Kommentar. Auch dir lieben Dank für dein Lob.


« Letzte Änderung: Oktober 16, 2018, 11:03:51 von Agneta »