Autor Thema: Spiegel der Welt  (Gelesen 1456 mal)

wolfmozart

Spiegel der Welt
« am: September 15, 2018, 12:06:44 »
Ich seh in Deinen Zauberaugen
Das weitgespannte Himmelszelt
Es sieht auf mich durch Deine Augen
Die ganze Welt, die ganze Welt

Du birgst in Dir den Daseinsquell
In seiner märchenhaften Form
Fast bist Du nicht, es schweigt die Uhr
Es bläst die Schicksalswerdung durch Dein Horn

Oh hör, der Du im Nichtsein weilst
Erhör das Flehen dieser Welt:
Laß uns in Deine Kammer ein
Damit der Schein, der trübe Schein
Des Unerkannten von uns fällt.

Alternative Version von Erich

Ich seh in Deinen Zauberaugen
das weitgespannte Himmelszelt,
es schaut für mich durch Deine Augen
die ganze Welt, die ganze Welt.

Du birgst in Dir den Daseinsquell
in seiner märchenhaften Form.
Fast bist Du nicht - es schweigt die Uhr,
es bläst das Schicksal durch Dein Horn.

Oh hör, der Du im Nichtsein weilst,
erhör das Flehen dieser Welt:
Laß uns in Deine Kammer ein,
damit der Schein, der trübe Schein
des Unerkannten von uns fällt.
« Letzte Änderung: Oktober 08, 2018, 15:47:10 von wolfmozart »

Agneta

  • Gast
Re: Spiegel der Welt
« Antwort #1 am: Oktober 02, 2018, 11:21:19 »
sehr schön geschrieben, lieber WQolf. Erst dachte ich an eine Liebeserklärung an eine Frau, am Ende denke ich , es ist eine für Gott.
"Der trübe Schein des Unerkannten", vielleicht, der sich nicht mal selbst kennt … gefällt mir.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Spiegel der Welt
« Antwort #2 am: Oktober 02, 2018, 22:35:07 »
Hi WM!

Ich schließe mich an: Sehr gelungen!
S1Z3 - "es sieht auf mich ... die ganze Welt" ergibt so keinen logischen Sinn, das ist unkorrekt formuliert.
S2Z4 hat Überlänge, aber das wäre leicht zu beheben.

Ich erlaube mir eine Version mit kompletten Satzzeichen und Alternativen:


Ich seh in Deinen Zauberaugen
das weitgespannte Himmelszelt,
es schaut für mich durch Deine Augen
die ganze Welt, die ganze Welt.

Du birgst in Dir den Daseinsquell
in seiner märchenhaften Form.
Fast bist Du nicht - es schweigt die Uhr,
es bläst das Schicksal durch Dein Horn.

Oh hör, der Du im Nichtsein weilst,
erhör das Flehen dieser Welt:
Laß uns in Deine Kammer ein,
damit der Schein, der trübe Schein
des Unerkannten von uns fällt.


Zum Inhalt: Ja. "märchenhaft", die Sehnsucht nach dem allsehenden Übervater, oder nach dem allumfassenden Verstehen der Dinge, oder nach dem geheiligten Schicksal, das der Existenz jenen Sinn verleiht, den man zuweilen schmerzlich vermisst. Als MÜSSTE alles um uns und wir darin irgendeinen Sinn für uns ergeben! Jedoch merke: Der Sinn, wie auch immer gerechtfertigt und formuliert, ist immer die Stütze der Furchtsamen, der Schwachen gewesen - oder das Machtmittel jener, die sie regieren!
Wer sich einem einmal für sich gefundenen Sinn hingibt, ohne je wieder zu hinterfragen, begibt sich der Eigenverantwortlichkeit seines Denkens und Handelns. wird vielleicht zum entmündigten Instrument einer Sache, die "größer" ist als er selbt und ihm somit die Größe verleiht, die ihm von je fehlte. Wer zum "Gläubigen" wird, macht sich beherrschbar und unfrei, auch wenn er gerade dadurch vom Gegenteil überzeugt scheint.
Die Illusion des inneren Wachstums und das willige Einfügen in ein fremdgesteuertes äußeres macht ihn in den Augen des Freidenkers nur kleiner.

So weit meine spontanen Gedanken zu obigen Zeilen - die allerdings nichts mit meiner Hochachtung vor ihrem lyrischen Wert zu tun haben, das möchte ich anmerken! Manchmal wünschte ich mir zuzeiten ja selbst, einfach an etwas glauben zu können, sich geborgen fühlen zu dürfen in einer beliebigen Wahrheit, die man als allumfassend deklariert, um sie von anderen abzuheben - dieses elitäre Gefühl, Teil einer besonderen Sache zu sein ... - und dann schaltet sich gnadenlos mein Hirn wieder ein, und der "Zauber" zerstiebt ...  ;) ::) >:D

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Spiegel der Welt
« Antwort #3 am: Oktober 03, 2018, 18:07:12 »
Ganz besonders schöne Zeilen, fast durchgängig zart und elegisch, sehnsuchtsvoll und innig. Also einfach schön. Subjektiv stört ich nur die Zeile, in der das Schicksal durchs Horn bläst... da wechselt die sonst so fein verwobene Sprache plötzlich ins Pathos-Register, fast klingt die ungewollte Komik mancher Verse von Richard Wagner an... insofern hat es mich persönlich an dieser Stelle etwas aus der Kurve getragen.

Inhaltlich bin ich mir nicht ganz sicher, was hier besungen wird, womöglich die Vergänglichkeit ("der Du im Nichtsein weilst"), womöglich auch die Erinnerung. Oder doch Gott wie von Agneta vorgeschlagen? Mir gefällt diese vielfältige Ausdeutbarkeit sehr! :)

Sehr gern gelesen! :)

wolfmozart

Re: Spiegel der Welt
« Antwort #4 am: Oktober 08, 2018, 15:59:02 »
Dank dir Agneta für deinen wohlwollenden Kommentar.
Deine Interpretation bereichert mein Gedicht.

Dank auch dir Sufnus. Das Gedicht entstand über einen besonderen Menschen, den ich getroffen und sehr bewundert habe.
Die Zauberaugen und all das Besungene handelt von ihm. Aber jede andere Auslegung ist willkommen.

Erich, ich hab wie du siehst deine Version meiner angefügt, weil die Satzzeichen das Gedicht leichter lesbar machen.
Aber du weißt ja, dass ich und die Interpunktion auf Kriegsfuß stehen  :).
Dein Diskurs über Sinn und anderes im Leben wird wohl der Wahrheit sehr nahe kommen, aber mein Gedicht ist wie gesagt nur der Versuch einen ausergewönlichen Menschen zu beschreiben, die Philosophie spielte mir dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Dank dir für deine Müh und Zeit die du ins Rezensieren investiert hast.

Liebe Grüße euch dreien,

wolfmozart
« Letzte Änderung: Oktober 08, 2018, 20:24:52 von wolfmozart »