Autor Thema: Resumeé  (Gelesen 1940 mal)

Erich Kykal

Resumeé
« am: August 07, 2018, 11:36:08 »
Du fühlst die Jahre, wie sie unbenutzt verstreichen,
und fragst dich hin und wieder, welche Lebensziele
dir tätlich zu erfüllen weiter noch gefiele,
so du noch etwas wirken wolltest und erreichen.

Doch regt sich kaum noch etwas in den Innenräumen,
das nicht schon, allzu oft verwendet und verschlissen,
nach gnädigem Vergessen ruft, als sollte dein Gewissen
mit solcher Last beladen nicht vom Ende träumen.

Gedankenspiele tragen ihre Fracht zu Grabe,
die Welt ist ihnen krummes Wagnis nur und Scheitern,
ein ungewisser Pfad  mit wechselnden Begleitern
durch steiniges Gelände ohne Rast und Labe.

Was bleibt von alledem, was wir gehetzt durcheilen,
als zögen uns Gewichte unerklärten Glaubens
durch Szenenbilder des Verhinderns und Beraubens?
Ein welkes Aufbegehren in gereimten Zeilen.
« Letzte Änderung: Juni 03, 2020, 11:34:11 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Resumeé
« Antwort #1 am: August 07, 2018, 15:40:39 »
Wunderbar, tiefempfunden, anregend, vollendet, mich allenfalls mit dem Wunsch nach einem etwas unverzagteren Ende hinterlassend. :)


Ansonsten nur korinthöse Rumgefummelei:

Du fühlst die Jahre, wie sie unbenutzt verstreichen,
und fragst dich hin und wieder, welche Lebensziele
dir tätlich zu erfüll'n hienieden wohl gefiele, [um die Wdh. von "noch" zu vermeiden]
so du noch etwas wirken wolltest und erreichen.

[...]

Was bleibt von alledem, was wir gehetzt durcheilen,
als zögen uns Gewichte unerklärten Glaubens
durch die Kulissen des Verhinderns und Beraubens? [liest sich für mich etwas flotter]
Es bleibt genug! Das Aufbegehren! Diese Zeilen! [Das ist jetzt nat. kein wirklich ernstgemeinter Vorschlag, die resignierte Haltung des LI (hoffentlich mit dem Autor unidentisch!) ist nun mal wie sie ist... aber mich juckte es halt, dem LI etwas Positiveres zuzurufen... :) ]

------------------------

Vgl. auch Goethe:

"Die Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles:
Die eigentliche Lust des Sinnespieles,
Erinnerung des allerliebsten Tandes
von gestern, weit und breiten Landes
durchschweifen frommt nicht mehr; selbst nicht von oben,
der Ehren anerkannte Zier, das Loben,
erfreulich sonst, aus eignem Tun Behagen
quillt nicht mehr auf, dir fehlt ein dreistes Wagen!
Nun wüsst ich nicht, was dir Besondres bliebe?"

"Mir bleibt genug! Es bleibt Idee und Liebe!"

« Letzte Änderung: August 07, 2018, 15:44:03 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Resumeé
« Antwort #2 am: August 07, 2018, 23:51:40 »
Hi Suf!

Vielen Dank für deine ausführlichen Gedanken!  :)

Tja, das unverzagtere Ende - auch nur eine Schönrederei, oder? Was letztlich bleiben wird, ist so oder so ein Fragezeichen, für dich, für andere. Es gibt keine Sicherheiten, darin Trost zu suchen. Die Frage bleibt letztlich immer offen, denn die Antwort kennt nur der Tod. Deshalb möchte ich die "resignative Haltung" des LyrIch in der Conclusio beibehalten. Nur das Fragezeichen am Ende kann ich wegmachen, denn ja: Es bleibt wirklich nicht mehr als ein welkes Aufbegehren in Reimen!  ;) 8) ... Aber das ist okay so. Es muss nicht mehr sein.

Das "erfüll'n hienieden"  - solche Verkürzungen wie das erstere mag ich nicht, wende sie nur im äußersten Notfall an, und das letztere klingt für mich doch ein wenig gespreizt, zu betont edel.
Über die "Kulissen" werde ich ernstlich nachdenken, aber der lange Zischlaut (deutlicher als das "Sz" in meinem Wort) macht das Wort "schrill" wie Schlangengezischel.

Danke für das vergleichende Beispiel von Goethe! Der alte Zausel verknallte sich ja noch im hohen Alter ungeniert in eine Minderjährige - so viel zur "Liebe" und Ideen, die vielleicht besser Ideen geblieben wären. Der olle Herr Geheimrat hat sich damals jedenfalls ziemlich damit blamiert ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Resumeé
« Antwort #3 am: August 08, 2018, 16:35:55 »
Hi!
Interessant, dass Du auf die Werbung des (aus damaliger Sicht) greisenhaften Goethe um die im Enkelinnen-alter angesiedelte Ulrike anspielst. Das Gedicht "Die Jahre nahmen Dir" ist zwar ein paar (wenige) Jahre vor den skandalösen Ereignissen in Karlsbad entstanden, vom Geheimrat aber just auf dem Höhepunkt seiner "Minne" um die junge Ulrike wieder hervorgeholt und neu datiert worden.
Für mich trenne ich aber recht streng zwischen dem Verfasser (alter Sack!) und seinen Zeilen. Goethes Lyrik ist meiner Meinung nach immer noch die schönste bisher in deutscher Sprache verfasste... ohne das ein Wort des Lobes für die vielen, vielen anderen deutschen Meisterpoetinnen und -poeten zuviel wäre.
Grüße!
S.

Erich Kykal

Re: Resumeé
« Antwort #4 am: August 08, 2018, 16:45:31 »
Hi Suf!

Für mich persönlich (und das dränge ich niemandem auf) ist Rilke der Allergrößte, was Sprachdurchdringung und lyrischen Sprachfluss angeht.

Vorsicht übrigens mit "alten Säcken": Ich bin ja schließlich auch einer! Und ich kann bestätigen, dass man niemals alt, verwelkt oder unförmig genug sein kann, um nicht dennoch immer noch zu ersehnen und zu begehren - wie skandalös oder unästhetisch das auch immer sein mag!  ::) :o ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Resumeé
« Antwort #5 am: August 09, 2018, 18:26:13 »
Hi eKy,
Rilke ist auch kein ganz schlechter ;) (scherz... er hat natürlich auch einen äußerst ehrenvoll geschmückten Hausaltarplatz bei mir)... überhaupt eine komische Sache, dass das glückliche Österreich bis auf den heutigen Tag als so ein unerschöpflicher Hort wunderbarer Lyrikerinnen rüberkommt... mir scheint, die Lyriker-pro-Einwohner-Ratio ist um ein beträchtliches höher als in Piefkanien... und da es bei den Helvetiern auch nicht ganz so reichhaltig zuzugehn scheint, hat es wohl nicht nur etwas mit den Bergen zu tun ;) Vielleicht inspirieren die leckeren Mehlspeisen zum Dichten? :) Und der gute Kaffee ist sicher auch nicht von Nachteil. :)
Grüße!
S. (alt)
P.S.:
Hm... wobei beim nochmal Nachdenken, die Assoziation von Rilke zum Loblied auf die österreichischen Dichter i. e. S. zumindest diskutabel ist... aber selbst wenn man alle kakanischen DichterInnen außerhalb des "eigentlichen" Österreichs abzieht, bleiben ja noch genug Idole übrig. :)
« Letzte Änderung: August 09, 2018, 18:30:05 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Resumeé
« Antwort #6 am: August 09, 2018, 19:27:36 »
Hi Suf!

Die Deutschen verwenden ihre Sprache wie ein Skalpell mit vielen Möglichkeiten - scharf, sauber, methodisch.
Die Schweizer rollen das Deutsche in ihren Mündern wie Sisyphos seinen Stein - mühsam, sperrig, langsam.
Die Österreicher umarmen das Deutsche wie eine Geliebte, mit der sie Sex haben - genüsslich, lüstern, zungenfertig.

 ;) - Ist mir gerade so eingefallen!  ;D Jedenfalls erklärt es das unterschiedliche Poetenverhältnis zwischen den Deutsch sprechenden Völkern ...  O0. Kochen tun wir jedenfalls so oder so besser!  8) :P

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 10, 2018, 11:59:39 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Resumeé
« Antwort #7 am: August 10, 2018, 10:02:05 »
Hi Suf!

Für mich persönlich (und das dränge ich niemandem auf) ist Rilke der Allergrößte, was Sprachdurchdringung und lyrischen Sprachfluss angeht.


Vorsicht übrigens mit "alten Säcken": Ich bin ja schließlich auch einer! Und ich kann bestätigen, dass man niemals alt, verwelkt oder unförmig genug sein kann, um nicht dennoch immer noch zu ersehnen und zu begehren - wie skandalös oder unästhetisch das auch immer sein mag!  ::) :o ;)

LG, eKy

So ausschließlich wie Du bin ich nicht konditioniert;
Wenn Du Dich als "alten Sack" beschreibst, kann ich nur lauthals gröhlen! :-*

Ich freue mich, daß Sufnus sich als sehr kompetenter Wiesenbewohner  erwiesen hat!

Liebsten Gruß
von
Cypi
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Sufnus

Re: Resumeé
« Antwort #8 am: August 10, 2018, 11:46:19 »
@eKy
Ein ganz wunderbares Bonmot über die drei großen, deutschzüngelnden Sprachräume... vielleicht sind nur die Hüter von Schoki, Geld und Käse dabei ein wenig schlecht weggekommen... ich würd den schweizer Sisyphos wohl "zupackend, rackernd, beharrlich" mit der Sprache hantieren lassen. :)
Und ja... tu felix Austria kochst am besten! :)

@Cypi
Vielen Dank für die Blumen!!! Ich arbeite dann mal noch dran, mir die auch zu verdienen... :)

cyparis

Re: Resumeé
« Antwort #9 am: August 13, 2018, 11:38:51 »
Du fühlst die Jahre, wie sie ungenutzt verstreichen,
und fragst dich hin und wieder, welche Lebensziele
dir tätlich zu erfüllen weiter noch gefiele,
so du noch etwas wirken wolltest und erreichen.

Doch regt sich kaum noch etwas in den Innenräumen,
das nicht schon, allzu oft verwendet und verschlissen,
nach gnädigem Vergessen ruft, als sollte dein Gewissen
mit solcher Last beladen nicht vom Ende träumen.

Gedankenspiele tragen ihre Fracht zu Grabe,
die Welt ist ihnen krummes Wagnis nur und Scheitern,
ein ungewisser Pfad  mit wechselnden Begleitern
durch steiniges Gelände ohne Rast und Labe.

Was bleibt von alledem, was wir gehetzt durcheilen,
als zögen uns Gewichte unerklärten Glaubens
durch Szenenbilder des Verhinderns und Beraubens?
Ein welkes Aufbegehren in gereimten Zeilen.

Ganz, ganz großer Wurf, lieber Erich.
Es ist ein Genuß, durch diese Verse zu schreiten.
Hinter so profunden Kommentaren, wie sie Sufnus Dir dezidiert, kann ich mich nur schamrot verstecken! :) :-*
Trotzdem bestehe ich darauf, daß Du, solltest Du Dich so sehen, völlig vorbeischrammst.

Immer
Deine Cypi!

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Resumeé
« Antwort #10 am: August 13, 2018, 18:17:41 »
Hi Cypi!

Ein Teil, ein Aspekt meines Wesens sieht mich/sich so, aber ich höre nicht wirklich auf den sauertöpfischen alten Zyniker!  ;) ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.