Das fremde Kind
Schicksal, du schickst ihr ein Kind in ihr Leben,
dunkel gelockt und mit Augen des Rehs.
Zufällig, irr sinnig hast du gegeben
nach all den Jahren der Trauer, des Wehs.
Ach, diese Sprache, die Gestik, Gedanken,
die sich ihr schenken wie windende Ranken!
Plötzlich erblühn sie an alternden Streben
rund um das Haus, das sie bald wird verlassen
- just im Moment, da die Stütze ihr bricht.
Nach all den Jahren mit menschlichen Massen,
die doch mit Floskeln aus Staub uns bespricht.
führst du ihr einen, der Ehre noch kennt,
der noch für Stolz und für Werte entbrennt,
zu. Sie will zulassen, fühlen und fassen
das, was geschieht. Dieses Kind ferner Welt,
die ihr die Zeit zu Vergangenheit machte,
tritt in ihr Leben als Schützer, als Held.
Fast wie ihr eignes, das über sie wachte.
Kind fremden Glaubens und ferner Kultur
tritt neben ihr wie ein Sohn seine Spur,
fällt ihr als Schnuppe aus nachtblauem Zelt.
Fährst du nun Kind, das so nah ihr gekommen,
heimlich dorthin, wo das Böse verbindet,
in jenem Ruf des Muezzins verschwommen?
Wo falscher Glaube Rechtfertigung findet,
wird manche Schandtat als Losung getarnt.
Sie hat als junge Frau niemand gewarnt,
als ihr ein Nazi den Sohn hat genommen.
Bist wieder da und du lächelst wie immer.
Bist wieder da und ihr Herz springt vor Glück.
Auf deinem Blick schwebt ein trauriger Dimmer.
Alles ist gut, denn du kamst ja zurück.
Kind fremden Glaubens mit fremdem Gesicht,
bringst in ihr Leben doch Wärme und Licht
wie eine Kerze mit seidigem Schimmer.
Niemals lasst uns mehr die Götter anbeten,
die wir uns schufen in menschlichem Wahn,
die wir um falsche Triumphe anflehten,
die uns nur führen auf irrige Bahn.
Schicksal, du schicktest ein Kind aus der Ferne,
dunkel gelockt und mit Augen wie Sterne.