Autor Thema: Bachnacht  (Gelesen 1274 mal)

Sokrafisch

Bachnacht
« am: Mai 25, 2017, 13:18:38 »
Um mich dehnte sich der nächtliche neuseeländische Urwald. Meine Schienbeine schnitten durch das gelassen strömende Bachwasser, dessen Boden mit Algen eingeölte und aquatisch geschmirgelte, wacklige Steine bildeten.
Eine Stirnlampe und ein stützender Wanderstock, den ich zur Stabilisierung in Steinspalten steckte, schützten mich vor Stürzen.
Ab und an schlängelten, in Kolkvertiefungen, anakondaartige Aale an meinen Waden vorbei. Exemplare der neuseeländischen Langflossenart, die bis zu 100 Jahre alt werden kann, und von den Ausmaßen ausgehend, will ich nicht ausschließen einigen Aal-Zentenaren begegnet zu sein.
Wenn ich meine Lampe auf ein Rascheln im Dickichttunnel richtete, der mich umschloss, glühten mir stets zwei oder drei aufgerissene Augenpaare entgegen, als würde ich von Urwalddämonen beschattet. In der Netzhaut der neuseeländischen Opossums hat sich, durch ihre Nachtaktivität, eine schimmernde Schicht entwickelt, die den Lichtreiz intensiviert und dadurch das nokturnale Sehvermögen steigert (das uns von der Hauskatze bekannte Tapetum Lucidum). 
Irgendwann hörte ich, mit jedem Schritt lauter werdendes Rauschen und erreichte bald ein breites Wasserfallbecken. Für einige Momente setzte ich mich auf das knirschende Kissen des Kieselufers. Und empfand dieses dröhnende, stürmische Stürzen in der kilometerweiten Stille des nächtlichen Waldes als eindringlichen Kontrast. 
Trotz der von Wald und Wasserfall gekühlten Luft, zog ich mich aus, legte die ausgeschaltete Kopflampe auf meine Kleider und watete in die prasselnde Prallzone des Wasserfalls. Und bis zum Brustkorb eingetaucht stellte ich mich, in vollkommener Dunkelheit, unter die kalte, donnernde Dusche.
Wieder bekleidet kletterte ich seitlich der steilen Kaskaden des krachenden Katarrhakts hinauf und setzte meine Wanderung fort. 
Manchmal löschte ich mein Stirnlicht und schaute - In den Erdhöhlungen am Wasserrand funkelten an Seidenfäden hunderte hellblaue Tröpfchen; Biolumineszenz betreibende Mückenlarven, die in winzigen Schleimkapseln an klebrigen Fangschnüren entlangglitten. Heller schimmernd, je hungriger sie waren. Gegen den dunklen Hintergrund der Bachmulden mimten die leuchtenden Mückenlarven einen sternenträchtigen Nachthimmel. Neben einer solchen Nische baute ich mir ein Uferbett aus welken Farnblättern und schlief ein zum gleichmäßigen Babbeln des Baches, zu dem Gurgeln der Gumpen und dem Glimmern der Arachnocampa.

cyparis

Re: Bachnacht
« Antwort #1 am: Juni 06, 2017, 20:52:05 »
Hallo, Sokrafisch -

das ist ein Stück fesselndes Naturerlebnis, das sich verschlingt wie ein blutiges Steak.
Gumpen werde ich mir im Lexikon suchen müssen.
Daß es solche riesigen und alten Aale gibt - wer hätte das gedacht?
Du schreibst einen kräftigen Stil ohne Schnörkel, ohne seichte Stellen, fesselnd.
Es ruft danach, fortgesetzt zu werden, dieses geschliffene Stück Text.
Darf man hoffen?

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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