Autor Thema: Was der alte Lehrer dachte  (Gelesen 1944 mal)

Erich Kykal

Was der alte Lehrer dachte
« am: Dezember 28, 2016, 11:20:06 »
An Schülern schon erkennt man alle niedern Seiten
des Menschseins, wenn sie miteinander streiten,
Gerüchte sich erdenken und geschickt verbreiten,
um so einander Unbill zu bereiten.
Da wird gerauft, gejagt und sich brutal geprügelt,
sobald kein Wille ihre Seelen zügelt;
von mehreren auf einen, bis die Opfer weinen,
wird lachend Spott und Häme aufgehäuft,
und mit dem derben Sinn von Hunden oder Schweinen
wird alles Gute in Geschrei ersäuft.
Man stiehlt, wenn keiner hinsieht, leugnet ständig alles,
beschuldigt andre, wenn im Fall des Falles
mal doch ein Lehrer sich um Ehrlichkeit bemüht,
wie Große schon so kalt und abgebrüht.
Es wird gemobbt, was nicht wie sie im Kern verbogen
und grausam ist, in Dummheit großgezogen
von jenen, die behaupten, dass es so im Leben
mal sei und sein muss und so zugeht eben.
Man hasst einander heimlich oder offen glühend,
verachtet, wie man es daheim gelernt,
das Andere mit Inbrunst, grüne Galle sprühend
auf alles, was so fremd scheint und entfernt.
Und über allem liegt ein dünn gewetzter Mantel
von Angepasstheit, um den Trug zu horten,
dass unser Menschsein mit dem Hunger der Tarantel
wohl mehr gemein hat als mit schönen Worten.

Doch da sind jene auch, die all dies still ertragen,
die lernen wollen und nach allem fragen,
und trotz des schrillen Kreischens rundumher nicht klagen,
sich nicht ergeben und zu wachsen wagen,
wo sonst nur Geifer tropft von den gebleckten Zähnen!
Für jene lohnt es sich, sich zu bemühen,
den Karren Mensch aus seinem eignen Dreck zu ziehen -
allein für diese paar gereiften Seelen,
die nicht so klein sind, alles Schwächere zu quälen,
versuchen wir zu sein, was wir nie waren,
und hoffen, dass vielleicht in abertausend Jahren
wir endlich werden, was wir „besser“ wähnen.
« Letzte Änderung: Januar 21, 2017, 00:18:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Günter

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #1 am: Januar 02, 2017, 16:57:24 »
Lieber Erich,
ein höchst philosophisch-psychologische Analyse unserer heutigen Gesellschaft,
Bei dem "dünn gewetzten Mantel" habe ich Zweifel, ob er nicht doch so dick ist, alles zu verdecken?
Und ob wir es wirklich nie waren, was wir sein sollten? Ich denke, es ist ein stetes Auf und Nieder der Moral, die zeitweilig auch Gutes hervorbringt.
Sehr gern gelesen!
LG Günter

Erich Kykal

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #2 am: Januar 02, 2017, 18:00:30 »
Hi Günter!

Wie der Titel sagt (ich bin selber Lehrer), ist dies eher das Lamento eines resignierenden Pädagogen, der Seufzer von jemandem, der tagtäglich die menschlichen Schwächen vor Augen geführt bekommt, weil Kinder sie noch nicht gut genug verbergen können. Er erzählt, wie es so zugeht im Schulalltag - natürlich überzeichnet, aber wenn der Frust kulminiert, werden die positiven Erfahrungen eher ausgeblendet.

Der dünn gewetzte Mantel bezeichnet die brüchige Tünche der Zivilisation über Jahrhunderttausenden der Entwicklungsgeschichte nach Naturgesetzen, da die Vorfahren eher amoralisch, aber effizient egoistisch waren. Natürlich hätten wir ohne Gruppenzusammengehörigkeit und Teamwork nicht überlebt, aber das geht mit Vortäuschen sozialer Kompetenz auch - sogar oft besser: Solche Individuen kommen gern an die Spitze der Macht, weil sie rücksichtsloser vorgehen können.
Fazit: Die Geschichte der Menschheit wird vornehmlich von intelligenten Soziopathen geschrieben - und wir lassen es zu!

Okay, lassen wir die Vorlesung - das würde noch lang dauern!  ;) Vielen Dank für deine Gedanken!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #3 am: Januar 05, 2017, 13:07:24 »
Lieber Erich,

wie wahr, wie wahr!
Du hast Erinnerunge geweckt, die verschüttet waren.
Darunter fällt ein ungemein schönes Lob einer meiner Lehrerinnen:
"Eine Schülerin wie Sie zu haben, macht den ganzen anderen Ärger vergessen".

In diesem Sinne:
Kopf hoch!


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #4 am: Januar 05, 2017, 17:01:15 »
Hi Cypi!

Wie gesagt, dieser Text war nur eine Art Dampfablassen über Berufsstress - gänzlich ohne Anspruch auf Objektivität!  ;)

Danke für den kleinen Ausflug in deine Erinnerungen! Ähnliches habe ich selbst zuweilen schon zu Schülern gesagt!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Curd Belesos

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #5 am: Februar 02, 2017, 23:52:01 »
"Eine Schülerin wie Sie zu haben, macht den ganzen anderen Ärger vergessen".

moin moin Erich,

wenn ich lese was die Lehrerin zu Cyparis sagte, könnte ich fast glauben, dass du die Inkarnation meiner Deutschlehrerin bist, sie war meinetwegen immer "Dampfgeladen", aber sie schäumte auch, doch dass wird dir hoffentlich erspart bleiben  ;D

Ein gutes Sicherheitsventil hast du benutzt  ;)

LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

gummibaum

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #6 am: Februar 03, 2017, 11:56:34 »
Ich sehe es zwar nicht ganz so düster, nämlich in den meisten eine Mischung beider Typen, aber das Gedicht gefällt mir, lieber Erich. Kann ich es unter deinem Namen im Lehrerzimmer aufhängen? Es findet dort bestimmt Interesse und Zuspruch.

LG gummibaum

Letreo71

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #7 am: Februar 03, 2017, 13:31:55 »
Da hast du aber ganz schön Dampf abgelassen, lieber Erich! Respekt!
Kann ich sehr gut nachvollziehen, bin froh, dass ich kein Schüler mehr bin.

Mit Bewunderung gelesen. 8)

LG Letreo

Erich Kykal

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #8 am: Februar 03, 2017, 15:53:08 »
Hi Curd!

Deine Deutschlehrerin kann ich nicht gewesen sein, es sei denn, sie starb vor 1964!  ;) ;D

Hi Gum!

Gerne kannst du es aufhängen!  >:D ;D

Hi Letreo!

Als Schüler hat man es vergleichsweise leicht: Man muss nur funktionieren, ansonsten kann man passiv bleiben und kriegt alles beigebracht und vorgekaut.
Der Lehrer ist für alles verantwortlich: Das Wohlergehen seiner Schutzbefohlenen, die Disziplin, den Lernerfolg - dabei wird er abgesehen von den ständigen Attentaten und Untergrabungen, Rücksichtslosigkeiten und Dummheiten der Schüler und ihrer dauernden Lärmbelästigung von einer Vielzahl von Verordnungen, Gesetzen, teils hirnrissigen Weisungen und Regeln drangsaliert, muss über alles Buch führen, nebenbei noch alles organisieren, planen, verbessern, Arbeitsblätter und Schularbeiten schreiben, den Unterricht vorbereiten und nachbereiten - kurz, er ist eigentlich längst teilentmündigt, geknebelt und totalüberwacht!
Und wehe, es beschwert sich dann mal einer! Dann kriegt man vorgehalten, wie toll man's doch hat mit dem bißchen Arbeit und Stress!  ::) :o >:D >:( >:( >:( >:( >:(
Und wer hat Schuld, wenn das Kind doof bleibt oder was passiert? - Immer der Lehrer, bei dem's passiert! Nie das verzogene, gestörte Balg, das es ständig drauf anlegt, nie die Eltern, die die Erziehung sowas von verbockt haben, nie die Vorgesetzten, die ihm all den sinnlosen Bürokratismus aufgehalst haben, nie die Politiker und Hauruckreformer, die sich auf Kosten von Lehrernerven alle paar Jahre eine eigene Karriere schnitzen wollen! Nein - immer die arme Sau, der Lehrer!

Aber immer schön die Nerven behalten ...  8) >:( >:( >:(


Seufzende Grüße, eKy
« Letzte Änderung: Februar 03, 2017, 22:13:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Günter

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #9 am: Februar 03, 2017, 21:52:38 »
Hallo lieber Erich,

obwohl ich kein Lehrer bin und seit geraumer Zeit nichts mit der Schule zu tun haben, bleibt mir die Entwicklung nicht verborgen.

Was Du hier in dem letzten Beitrag geschrieben hast, drückt mit wenigen Worten die ganze Misere aus.
Dass wir Lehrermangel haben, wundert mich insofern nicht, denn ich möchte heute auch keiner mehr werden.
Wenn ich das vergleichsweise auf die Landwirtschaft beziehen darf, wer keine Nachzucht betreibt, wird bald keine Kühe mehr haben.
Diese, unsere heutige Nachzucht ist wohl wenig geeignet (bis auf Ausnahme) Milch zu produzieren - so mein Eindruck!

LG Günter

Erich Kykal

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #10 am: Februar 03, 2017, 22:20:45 »
Hi Günter!

An den Kindern liegt es am allerwenigsten - die sind dieselben wie vor 100 Jahren auch - es liegt an den Präliminarien unserer Erziehung! Kaum einer hat und nimmt sich dafür heute noch die nötige Zeit, weil sie eben kaum einer noch hat! Wir haben unsere Welt mehr und mehr beschleunigt, Zeit ist Geld geworden - aber gute Kindererziehung braucht Zeit - und ist daher teuer! Wer kann sich bei heutiger Wirtschaftslage das noch leisten?
Und die sich's leisten können, tun es nicht selbst, wie sich's gehörte, sondern stellen "Personal" ein und seilen sich dann auf die Bahamas ab!
Des weiteren herrscht heute die Einstellung, der Staat werde es schon richten - die Eltern fühlen sich nicht mehr verantwortlich für die charakterliche und geistige Schulung ihres Nachwuchses - mit dem Kindergarten geben sie diese Verantwortung quasi an der Schwelle ab und tun so, als ginge sie das nichts mehr an - aber wenn dann etwas schief geht, sind alle schuld - außer ihnen!

Naja - noch 13 Jahre, dann geht es mich auch nix mehr an! Oder früher, falls ich vor der Pensionierung abtrete ...

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 19, 2021, 11:15:20 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Günter

Re: Was der alte Lehrer dachte
« Antwort #11 am: Februar 04, 2017, 11:39:39 »
Lieber Erich,
ich denke, da kommt noch etwas hinzu. Es ist einerseits das, u.a. durch die Werbung stark geförderte Anspruchsdenken "Ich bin es mir wert" und andererseits die Abwahl von Aufgaben und Pflichten. Alles wird ausgelagert und auf niedere und schlecht bezahlte "Personen" übertragen. Das ist Wohlstandsdenken "Ich kann es mir leisten". Somit wird nicht nur eine Aufgabe delegiert, auch sind die Verantworten abgeschoben. "Mein Gewissen ist rein! Schuld sind immer die anderen!" Somit kann an schlechten Leistungen/unerträglichem Verhalten niemals die schlechte Erziehung im Elternhaus oder gar die Faulheit oder der Egoismus der Schüler Schuld haben.
Natürlich können ursächlich die Kinder nichts für diese Erziehung, doch sie nehmen diese gern an. Es ist schöner Rechte statt Pflichten zu haben! Es ist schöner bedient zu werden als selber zu dienen.
Das Gute ist selten schön und das Schöne ist selten gut!
Das scheint mir einerseits gewollt zu sein (von wem - das wäre ein längeres Thema) und andererseits eine Tendenz, die sich in jeder Endphase einer hochentwickelten Gesellschaft abzeichnet - siehe z.B. den Untergang Roms.
Gib deshalb nicht auf! Es gibt immer Schüler, die sich irgendwann gern an Dich erinnern und den Samen weitertragen.
LG Günter