Autor Thema: Weckruf  (Gelesen 4611 mal)

Erich Kykal

Weckruf
« am: Dezember 22, 2016, 17:46:50 »
Bedenke, der du gehst wie unter Qualen,
in tausend Ketten liegend, deren Schwere
durch keinen Trost erträglicher dir wäre -
dass auch die andern deinen Schmerz bezahlen:

Die um dich sind, da sie dich wirklich lieben,
wie drückt sie deine Miene, die entsagend
sich abtut, alles ringsum niederschlagend,
als wäre Gram allein der Welt geblieben.

Und all dein Stilles, das die Namen tötet
all jener, die sich ehrlich um dich sorgen,
bis endlich keines Auge mehr sich rötet,

wenn du vergehst – es kratzt mit kalten Krallen
Erinnern aus, darin du einst geborgen
und sicher warst im Herzen von uns allen.
« Letzte Änderung: Mai 03, 2021, 20:03:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Copper

Re: Weckruf
« Antwort #1 am: Dezember 23, 2016, 14:27:35 »
Hallo Erich,

was soll man dazu noch schreiben ? Einzigartig wie Du hier die Depression beschreibst und dabei auch das leidende Umfeld nicht vergisst.

Ein Lesegenuss.  LG. Copper

Curd Belesos

Re: Weckruf
« Antwort #2 am: Dezember 23, 2016, 23:34:14 »
moin moin Erich,

ich habe es gestern Abend bereits gelesen, doch wollte es nicht sofort kommentieren.

Ich kann es je nach Gemütsverfassung immer neu für mich deuten.

Da das Forum zur Zeit leidend ist, behalte ich die gestrige Deutung für mich, die heutige stimmt mit der von Copper überein.

Es ist für mich so ausdruckstark geschrieben, dass ich es begeistert gelesen habe.

LG
CB

Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Erich Kykal

Re: Weckruf
« Antwort #3 am: Dezember 24, 2016, 10:39:54 »
Hi Copper, Curd!

Hier ging es mir um jene, die mitleiden, wenn jemand Trübsal schiebt und an der Welt verzweifelt, egal, ob gerechtfertigt oder nicht. Irgendwann wird jeder Sauertopf von den Seinen aufgegeben, wenn er sich als zu unbelehrbar oder unheilbar erweist. Irgendwann springt man ab, um nicht selbst mit zu ertrinken - aber bis dahin fügt der Leidende ihnen unwissentlich viel Schmerz zu, oder er ist so in seinem Selbstmitleid befangen, dass es ihm egal ist!

Vielen Dank für eure Gedanken dazu!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Marion Baccarra

Re: Weckruf
« Antwort #4 am: Januar 20, 2017, 17:42:20 »
Lieber Erich

Ich gehöre zu den mitleidenden, zum Umfeld. Wohl dem, der den Absprung zur passenden Zeit noch schafft. Ich kann kaum darüber reden, weil es mich immer noch wie eine Krake umschlingt. Schwer und trüb und Tränenreich - mehr fällt mir im Moment nicht ein.

Dein Sonett ist sehr einfühlsam, und dennoch absolut auf den Punkt gebracht.

Liebe Grüße in deinen Abend sendet dir

Marion
Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie still beschienen;
in meinem Armen schlafen Wälder ein, -
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.

Rainer Maria Rilke, 2.2.1898, Berlin

Erich Kykal

Re: Weckruf
« Antwort #5 am: Januar 20, 2017, 17:58:39 »
Hi Marion!

Ich hatte früher auch mal diese Strophe von Rilke als "Fußnote" - gratuliere zum guten Geschmack!  :) (Nicht von ungefähr lautet mein Subname in den Foren "Tenebrae"!  ;)


Ich kenne beide Seiten der Medaille - verlor Nahestehende durch Miesepetrigkeit und Depression, bin zu anderen Zeiten aber auch schon mal selbst "abgesprungen", wenn ich den Eindruck gewonnen hatte, nichts erreichen zu können und mich "moralisch ausreichend" bemüht zu haben.
Ich denke, manchmal hat man auch das Recht egoistisch sein zu dürfen, um nicht mit unterzugehen, mit runtergezogen zu werden - so gern man auch helfen würde, man kann es nun mal nicht immer!

Mehr bleibt da wohl auch nicht zu sagen. Vielen Dank für deine einfühlenden und erfahrenen Gedanken!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 25, 2021, 13:18:20 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Weckruf
« Antwort #6 am: Januar 24, 2017, 22:31:59 »
Hallo Erich,

ein Depressiver kann zehn Helfer gleichzeitig mit seinen Strudel  ziehen. Aber meist hat er es nicht in der Hand, sich die Ketten von der Seele zu streifen oder wenigstens unauffälliger damit zu rasseln.

Sehr gern gelesen

LG gummibaum


Erich Kykal

Re: Weckruf
« Antwort #7 am: Januar 24, 2017, 23:15:56 »
Hi Gum!

Wahre Worte!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Weckruf
« Antwort #8 am: Juni 15, 2017, 12:06:22 »
Lieber Erich,

auch habe diese Leidenden erfahren und denke genauso wie Du - über ein bestimmtes Maß hinaus kann ich micht nicht mehr bemühen. Rat und Tat kommen so oft unerbeten, daß die Schwelle der "Mildtätigkeit" steigt.
Zuerst dachte ich, Dein großartiges Sonett ziele auf mich, aber ich bin eigentlich kein Griesgram, kein Melancholiker und nicht depressiv, von kleineren Phasen abgesehen.

Ich habe eine depressive Freundin, die wirklich geplagt ist (körperlich), die sich aber partout nicht helfen lassen will und bei gutem Rat "Ja, ja!" seufzt - und das wars.

Was meint denn der gute Curd damit, daß das Forum leidend sei?
Woran leidet es denn? Das möcht ich doch zu gerne wissen! Ich jedenfalls kann nichts entdecken! :)

Lieben munteren Gruß
von
Cypi
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Weckruf
« Antwort #9 am: Juni 15, 2017, 18:51:26 »
Hi Cypi!

Nein, du warst ganz bestimmt nicht gemeint!  :-*

Curd meinte wohl (im Dezember), dass das Forum unter deiner Abwesenheit leidet. Einige Autoren schreiben mittlerweile wohl nicht mehr hier, weil sie zu wenig Echo erhielten.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Weckruf
« Antwort #10 am: Juni 15, 2017, 19:24:22 »
Hi Cypi!

Nein, du warst ganz bestimmt nicht gemeint!  :-*

Curd meinte wohl (im Dezember), dass das Forum unter deiner Abwesenheit leidet. Einige Autoren schreiben mittlerweile wohl nicht mehr hier, weil sie zu wenig Echo erhielten.

LG, eKy

Aber ich kann doch nicht der/die Einzige sein, die kommentiert! ???
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Phoenix-GEZ-frei

Re: Weckruf
« Antwort #11 am: Juni 16, 2017, 00:15:42 »

Hallo Erich,

ich erlaube mir ein kleines Vorwort!

Die Biene Maja hat einen besten Kumpel mit Namen:Willi.
Maja ist lebensfroh, neugierig und geht auch Risiken ein.
Willi ist das Gegenteil von alledem. Extrem fauel, etwas
dicklich und nicht so eloquent.

Ich identifiziere mich zu einhundertprozent mit diesem:Willi
In ganz jungen Jahren stellte ich mir vor diese Maja zu sein.
Im Nachhinein.

Der Titel deines Werkes: Weckruf
Dein Auftakt: Bedenke
Man beachte auch das Komma.

Die erste Strophe endet im Vers vier
mit:"das auch die anderen deinen Schmerz bezahlen:"
Reimschema: a b b a.

Warum schreibe ich das?
Ich könnte so weitermachen.
bis zu letzten Worten deines Werkes.
"uns allen"

Ich sehe einen durch und durch strukturierten Menschen.
Intelligent, äußerst Eloquent, großherzig - Meisterlich im
Aufbau seiner Werke. Gabe um Gabe.

Auch sehe ich die vielen Willis die sich wünschten, etwas
von dir zu haben.

Aber, was nutzt es dem Menschen wenn "Sie" die kalten
Krallen in Strukturen schlagen, die diesen nicht standhalten?
Wie sind die Fundamente eines solchen Wesens?
Und warum bezahlen?

Sind wir nicht eher hilflos, ohnmächtig und verzweifelt?

Ich kenne keinen Menschen auf unserem Planeten
der nicht irgendwie eine Form von Depression hätte.

Lieber Erich,
ich habe drei Menschen in drei aufeinander folgenden
Jahren durch Krebs verloren.
Zuerst den Bruder meiner Mutter meinen
Onkel. Dann meine Babuschka (Mutter) und zuletzt
meine liebe Frau mit jungen achtunddreißig Jahren.

Das ist lange her und nur ein Teil von dem was
einer zu tragen vermag. Ich habe wieder neu
anfangen dürfen. Jetzt habe ich Flügel und bin...

"Der Meister meines Lebens."

Danke für dein Gedicht
Ich bin nochmals fief in mich hinein.
Es tut weh. Und wenn es Lebensmüden hilft

um so besser!

Herzlichst Phoenix







Erich Kykal

Re: Weckruf
« Antwort #12 am: Juni 16, 2017, 08:48:52 »
Hi Phönix!

Wir alle haben unser Päckchen zu tragen, und wer vermag zu sagen, um wieviel mehr der eine leidet als der andere? Schicksalsschläge bleiben nicht aus, und jeder geht anders damit um - muss darum auch das Ausmaß des Schmerzes ein anderes sein?

Tatsache bleibt, dass manche Menschen daran zerbrechen. Wie lange kann man solche Menschen lieben, ehe sie einen mit in den Abgrund ihres Leidens ziehen? Sie werden in ihrem allumfassenden Weh kaum daran denken, was dies für jene bedeutet, denen sie etwas bedeuten. Noch schlimmer, wenn sie es tun und sich aus Rücksicht auf andere zurückziehen ...

Hier geht es aber um jene, die gar nicht bemerken, wie sehr andere mitleiden, wenn sie selbst leiden, weil sie so gefangen sind in ihrer Peinspirale, ihren Depressionen, dass ihnen der Gedanke gar nicht erst kommt. Das ist nicht einmal egoistisch gemeint - die Welt wird einfach nur ausgeblendet, wenn die Beschäftigung mit dem eigenen Kummer allumfassend wird.

Darum soll es in diesem Gedicht gehen. Auch ich bin übrigens ein "fauler Willi" - ich kann mich bloß etwas eloquenter ausdrücken als dieser ...  ::) ;) Auch ich bin einer der letzten Überlebenden meiner Familie.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Erich Kykal

Re: Weckruf
« Antwort #13 am: Juni 16, 2017, 08:59:20 »
Hi Cypi!

Nein, bist du natürlich nicht, aber dies war immer ein kleines Forum. Je weniger Autoren und Kommentatoren, desto mehr fällt es ins Gewicht, wenn eine Stütze wegbricht.

Das ist natürlich nicht als Vorwurf gemeint - wir wissen um dein Leid und die Unbill der letzten Jahre! Aber ohne deinen Eifer und deine Begeisterung für Lyrik ist es in dieser Zeit hier doch "ruhiger" geworden. So zumindest mein Empfinden.

Das mag sich sukzessive wieder ändern, und vielleicht liegt es auch an der allgemeinen Forenüberdrüssigkeit, die sich breitzumachen scheint. Wie auch immer, mich stört es nicht. Der "kleine Rahmen" war mir immer schon sympathischer!  :) - Und mit großen Leserzahlen hat man als Lyriker heutzutage ohnehin nicht mehr zu rechnen!  ;) ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Phoenix-GEZ-frei

Re: Weckruf
« Antwort #14 am: Juni 16, 2017, 10:29:00 »

Hi Erich,

ich bin ganz auf deiner Seite.

Dann sind wir ja "zwei Willis"
Der eine extrovertiert
Der andere introvertiert

Nur frage ich mich: "wo ist die Biene Maja" ;D

LG
Phoenix