Autor Thema: Letzter Ausweg  (Gelesen 951 mal)

gummibaum

Letzter Ausweg
« am: Oktober 25, 2016, 22:23:42 »
Heute schien, ich sei begraben,
und mein Sarg war äußerst schwer
durch die vielen Grabbeigaben
und mein Tonsoldatenheer.

Auch die Frauen, mir gegeben,
die Minister, hoch geschätzt,
durften mich nicht überleben,
wurden mit mir beigesetzt.

Alles war aufs Los der Leichen
irgendwann so konzentriert,
dass dem Sarge zu entweichen
mir gelang, schon balsamiert.

Niemals hatte ich die Riten
meines Volkes unterstützt.
Als misslang, sie zu verbieten,
hat nur Scheintod mich beschützt...

Erich Kykal

Re: Letzter Ausweg
« Antwort #1 am: Oktober 25, 2016, 22:49:58 »
Hi Gum!

Du spielst auf die Gruft des ersten chinesischen Kaisers an, der die sieben Reiche einte (- Wie edel das klingt! Anders ausgedrückt, er eroberte eins nach dem anderen unter gnadenlosem Gemetzel, bis man ihn so fürchtete, dass das letzte Reich sich freiwillig ergab!). Wie genau man seinen Namen schreibt, weiß ich nicht, aber es klingt wie "Chin Huang Di".
In der Grabkammer soll sein ganzes Reich als Modell abgebildet sein, mit Flüssen und Meeren aus Quecksilber. Von der Terrakottaarmee ist erst ein Bruchteil ausgegraben.

Witzig, dass er daran starb, dass er unsterblich werden wollte: Dem Quecksilber sagte man damals magische, ja göttliche Eigenschaften nach, es galt als Elixier des ewigen Lebens - zumindest machte man dies dem Kaiser weis. Er schluckte täglich Quecksilberpillen, zwar nicht in unmittelbar tödlicher Dosis, aber innerhalb weniger Jahre war sein Körper so vergiftet, dass er elend zugrunde ging!

Dein Gedicht impliziert, dass der Kaiser die "Riten seines Volkes" nicht unterdrücken konnte. Das ist so nicht korrekt. Er herrschte absolut, sein Wort war Gesetz, und wer nicht gehorchte, starb. Ganze Landstriche wurden entvölkert, wenn es dem Herrscher so gefiel. So eine Täuschung hätte er nicht nötig gehabt: Er bestimmte die Riten, und niemand durfte die leiseste Kritik wagen.
Vielleicht war es nur so möglich, ein größeres Reich zu schmieden, mit einheitlicher Sprache, einheitlicher Währung, einheitlichen Maßen und Gewichten. Nett war der Typ aber sicher nicht!

Worauf dein Gedicht aussagemäßig also hinaus will, erschließt sich mir nicht so ganz. Schon wieder ...  ::) ;D ;)

Was haben die damals üblichen Sterbesakramente und Bestattungsriten damit zu tun, dass ein Kaiser wie er es nötig gehabt haben könnte, seinen Tod vorzutäuschen? Wozu das alles also? Außerdem spricht gegen dein Bild, dass der Kaiser ja selbst sein Grabmal geplant hatte, dass es ganz gemäß seinen Angaben gebaut wurde, ganz seinen eigenen Vorstellungen entsprechend. Auch die Riten waren ganz die seinen, nicht die seines Volkes.
Die Grabkammer wurde versiegelt. Der Hügel wurde aufgeschüttet. Wie hätte er entkommen sollen?
Und wäre er zuvor erwacht, warum hätte er sich verbergen sollen? Er wollte ja die Unsterblichkeit - so eine Wiedergeburt hätte seine Legende bekräftigt, seinen Ruhm gemehrt.
Was könnte sein Motiv gewesen sein für so eine Scharade? Ein sorgenfreies Altenteil fern der Macht und den Intrigen bei Hofe? Unwahrscheinlich - solche Soziopathen wie dieser definieren sich ganz über die Macht, die sie außerlich ausüben. Weisheit und Demut im Alter ist etwas, das denen kaum zustößt ...

Ist es nur eine Art Traumbild? Dann müsste es keinen Sinn ergeben.

Gern gelesen - zumindest die beiden ersten Strophen, die für mich Sinn ergeben. ;) Der Rest ist auch schön geschrieben, hat mir aber zu viele logische Widersprüche - zumindest nach meinem Wissensstand und so, wie ich deine Aussagen interpretiere.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Letzter Ausweg
« Antwort #2 am: Oktober 26, 2016, 00:15:05 »
Lieber Erich,

du weißt einfach zu viel, und so lerne ich immer was dazu.

Ich wusste heute gar nichts zu schreiben. Wie tot also, daher der Sarg und zugleich die Hoffnung, dass mir doch noch was einfällt und ich aus der Kiste entwischen kann. Was aus Altchina und Altägypten im Anschluss daran zusammengewurstelt wurde, hat mit geschichtlichen Ereignissen und Personen nichts zu tun. Schon die Aussage, dass das ganze Tonsoldatenheer im tragbaren Sarg steckt, kann -angesichts der Größe, von der du sprichst- gar nicht sein und diente mir nur dazu zu erklären, warum man nicht merkte, dass der Sarg nach dem Ausbüchsen des Herrschers leichter geworden war.     

Vielleicht hätte ich den Text bei Humor oder besser gar nicht einstellen sollen.

Danke nochmals für den fundierten geschichtlichen Abriss. Ich werde dieser grausamen chinesischen Persönlichkeit -um einiges gut zu machen- demnächst ein Gedicht widmen.

Ganz liebe Grüße
gummibaum
« Letzte Änderung: Oktober 26, 2016, 00:20:27 von gummibaum »

Günter

Re: Letzter Ausweg
« Antwort #3 am: November 03, 2016, 09:43:02 »
Lieber Gum, lieber Erich,
auch mir kam bei den ersten Zeilen gleich dieser Kaiser in den Sinn. Den Rest ordne ich unter eine Mischung aus benannter Ablehnung des Volkes und skurrilen Wahnvorstellungen das Protagonisten. Offenbar ist das nur mein Eindruck.
Interessant geschrieben und gern gelesen!
Herzlichst Günter