Autor Thema: Spiegelbild  (Gelesen 2033 mal)

Aspasia

  • Gast
Spiegelbild
« am: Juni 15, 2016, 12:17:14 »
Ich schau mich im Spiegel
und weine mir zu,
mein Mund ist ein Siegel,
verschlossen das „Du“.

Ich schau meine Augen,
in Eisblau erstarrt,
an Düsternis saugen,
in Trauer verharrt.

Ich schau meine Wangen:
Sie glühen nicht mehr,
sind wächsern vor Bangen,
an Lebenssaft leer.

Ich senke die Lider:
Genug ist geschaut,
was war, kommt nicht wieder -
ich bin nicht mehr Braut.

15.06.2016
« Letzte Änderung: Juni 15, 2016, 14:07:32 von Aspasia »

Erich Kykal

Re: Spiegelbild
« Antwort #1 am: Juni 15, 2016, 14:02:33 »
Hi, Aspasia!

Traurig - die verlorene Braut! Verbitterung, Enttäuschung, innere Vereisung, Weh ...

In S2 würde ich in Z1 statt "schau" ein "seh" einsetzen, dann wäre zum einen die folgende Satzkonstruktion und ihr reflexiver Charakter auf dieses Wort verständlicher, zum anderen  würde das "schau" sich nicht dreimal wiederholen, was du angesichts der letzten Str. ohnehin nicht als stringente Reihe durchhältst. Hier sollte gelten: Entweder ganz oder gar nicht.

In S4 würde ich die vorletzte Zeile mit einem Bindestrich oder einem Punkt beenden, damit sich die letzte, inhaltlich entscheidende Zeile deutlich durch eine Pause abhebt.


Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #2 am: Juni 15, 2016, 14:10:26 »
Danke, Erich. Den Vorschlag mit dem Gedankenstrich habe ich gern übernommen.

Die dreimalige Wiederholung von "Ich schau .." ist gewollt. Es soll kein "Sehen" sein, sondern ein "Betrachten". "Sehen" klingt mir zu allgemein und unpoetisch.

LG
Aspasia

Pit Bull

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #3 am: Juni 15, 2016, 16:16:08 »
Hallo Aspasia!

Ich kann nachvollziehen, warum du beim "schau" bleiben möchtest, da es ja um eine Betrachtung
des Gegenübers (des anderen Ichs) geht.

Ich bin beeindruckt von dieser Arbeit und freue mich daher umso mehr, hier einen Kommi zu hinterlassen.

VG Pitti

Erich Kykal

Re: Spiegelbild
« Antwort #4 am: Juni 15, 2016, 16:42:02 »
HI Aspasia!

Noch eins: Es müsste in S2Z4 korrekt heißen: "In Trauer verharrend"?

Eine Passivform dieses Wortes gibt es nicht: Etwas verharrt, aber kann nicht verharrt werden. Demzufolge ist deine Form des Wortes in dieser Satzkonstruktion falsch.

Du kannst dies zwar so lösen:

Ich schau meine Augen,
in Eisblau erstarrend,
an Düsternis saugen,
in Trauer verharrend.

Aber das durchbricht das Kadenzenschema des Gedichts (wmwm). Entscheide selbst, was dir wichtiger ist.

So erkennt man aber auch, wie schwer verständlich das "schau" hier ist: "Ich schau meine Augen an Düsternis saugen"
Verständlicher wäre: "Ich seh meine Augen an Düsternis saugen". Denkbar - und noch nachvollziehbarer - wäre auch: "Ich lass ..." oder "Ich spür ...".


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #5 am: Juni 15, 2016, 19:03:12 »
Ich freue mich, Erich, dass Dich mein Gedicht so beschäftigt.

Partizipien sind aber nicht mein Ding.

Natürlich kann man den Text komplett umbauen. Nur zu ... ich bin ganz offen und gespannt auf deine Vorschläge.

Erich Kykal

Re: Spiegelbild
« Antwort #6 am: Juni 15, 2016, 20:42:26 »
Ad hoc:

Ich fühle die Augen
mit eisblauem Rand
an Düsternis saugen,
in Trauer gebannt.

Oder:

Ich lasse die Augen,
in Eisblau erstarrt,
an Düsternis saugen,
von Trauer genarrt.


Ist da was für dich dabei?

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Spiegelbild
« Antwort #7 am: Juni 15, 2016, 21:49:41 »
Wurde die Braut zu einer Heirat mit einem ungeliebten Mann gezwungen?
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Aspasia

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #8 am: Juni 16, 2016, 04:54:22 »
Wurde die Braut zu einer Heirat mit einem ungeliebten Mann gezwungen?

Das Gedicht ist für jede Interpretation offen.

Aspasia

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #9 am: Juni 16, 2016, 05:02:23 »
Ad hoc:

Ich fühle die Augen
mit eisblauem Rand
an Düsternis saugen,
in Trauer gebannt.

Oder:

Ich lasse die Augen,
in Eisblau erstarrt,
an Düsternis saugen,
von Trauer genarrt.


Ist da was für dich dabei?

LG, eKy

Ich muss mal sehen, ob ich das verwenden kann, aber ich fürchte, das wird dann ein ganz anderes Gedicht.

Ich habe jetzt doch mal im Duden nachgesehen und festgestellt, dass "verharrt" im Partizip II richtig ist. Ich schwankte beim Schreiben des Gedichts auch erst zwischen "verharrend" und "verharrt", hatte mich dann aber instinktiv - weil beim Schauen die Augen ja bereits erstarrt waren, es sich also um einen abgeschlossenen Vorgang handelt - für das Letztere entschieden. Du bist Lehrer, also wenn das dennoch falsch sein sollte, lass es mich wissen.

Copper

Re: Spiegelbild
« Antwort #10 am: Juni 16, 2016, 10:31:27 »
Hallo Aspasia,

wunderschön geschrieben. Ich fühle mit.
Die Braut ist für mich ein Metapher. Die Braut steht für Jugend, Schönheit, begehrt sein, im Mittelpunkt stehen. Vor dem Spiegel sehe ich eine gereifte ältere Dame, die wehmütig an frühere Jahre denkt.


Sehr, sehr schön.

Danke. LG Copper

Erich Kykal

Re: Spiegelbild
« Antwort #11 am: Juni 16, 2016, 17:44:22 »
Hi Aspasia!

Ich kann mich nur wiederholen: In deiner Srt, den Satz zu konstruieren, ist "verharrt" falsch.

Die Augen sind "in Trauer verharrend", "in Trauer gebannt", "in Trauer gesenkt", "in Trauer entrückt", usw...

- "von Trauer verhangen", "von Trauer gezeichnet", "von Trauer ermattet", "von Trauer geflutet", usw...

Er/sie es verharrt - hier geht es um die Augen---> Plural! Also: "Ich seh meine Augen ... in Trauer verharren" .

Es ginge also auch so, als Aneinanderreihung von gleichberechtigten Verben:

Ich fühle die Augen
in Eisblau erstarren,
an Düsternis saugen,
in Trauer verharren.

Andere Variante:

Ich fühle die Augen,
in Eisblau erstarrt,
an Düsternis saugen,
von Trauer genarrt.

Letztere erscheint mir am passendsten, ohne inhaltlich entscheidend etwas zu verändern. Auch die Kadenzenfolge bliebe gewahrt.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #12 am: Juni 16, 2016, 18:02:50 »
Okay. Also auf ein Neues:

Ich schau mich im Spiegel
und weine mir zu,
mein Mund ist ein Siegel,
verschlossen das „Du“.

Ich schau meine Augen,
in Eisblau gekehrt,
an Düsternis saugen,
von Trauer verzehrt.


Ich schau meine Wangen:
Sie glühen nicht mehr,
sind wächsern vor Bangen,
an Lebenssaft leer.

Ich senke die Lider:
Genug ist geschaut,
was war, kommt nicht wieder -
ich bin nicht mehr Braut.

Erich Kykal

Re: Spiegelbild
« Antwort #13 am: Juni 16, 2016, 18:53:28 »
Hi Aspasia!

Wunderbar gelungen! Keinerlei Einwände! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re: Spiegelbild
« Antwort #14 am: Juni 16, 2016, 19:05:32 »
Uff! Da bin ich aber froh! Jetzt kann ich mich entspannt auf unser EM-Spiel gegen Polen freuen.  ;D