Autor Thema: Die Alte vorm Haus  (Gelesen 2445 mal)

Erich Kykal

Die Alte vorm Haus
« am: Mai 30, 2016, 22:55:12 »
Verhärmt, gebeugt, aus einer fremden Welt gesunken
beinahe schon, die sie nicht wiederkennt und weiß,
so ruht sie aus. Ein bunter Falter flattert trunken
an ihrem Blick vorbei, der Garten summt von Bienen,
und ihre Seele tritt aus Augen, träumetrüb und greis
in Sommer der Vergangenheit und lebt in ihnen.

Die welken Knotenhände, die einander bebend finden,
als suchten sie sich Trost zu sein und bangen Halt
ihr in das müdgeschlagene Mutterherz zu binden,
erhebt sie manchmal fahrig, beinah so, als grüßte
sie einen lieben, lang vermissten Sohn, doch bald
erkennt sie Leere dort, wo er sie grüßen müsste.

Dann sinkt sie wieder einwärts in die blassen Bilder
aus überlebter Zeit und schöpft sich Ruhe dort;
und Atemzug um stiller Atemzug erstreckt sich milder
in ihr Gesicht, auf dem die ungezählten, tiefen Falten
- gerade so, als formten sie ein allerletztes Wort -
ein fast verträumtes Lächeln auf den Zügen halten.


Aus dem Buch "Weltenwege", leicht korrigiert.
« Letzte Änderung: November 28, 2022, 21:43:11 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #1 am: Juni 10, 2016, 16:48:25 »
Lieber Erich,


ich müßte in dem Band suchen, um die leichten Korrekturen auszuspüren.
Ich bin mir jedoch sehr sicher, daß ich dieses Gedicht - wenn nicht hier, dann woanders - kommentiert habe.
Es hat nichts von seiner Faszination verloren; die Bilder sind frisch wie von Anfang an.

Ein Gedicht wie ein Portrait, ein Portrait im Gedi ht.
Einfach schön!

Lieben Gruß
von
Cypi

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #2 am: Juni 11, 2016, 13:04:20 »
Hi Cypi!

Auf jeden Fall kanntest du es schon - es stammt sozusagen aus der Frühzeit meines Schaffens nach 2005.

Viele meiner früheren Werke sind nicht in den aktuellen Foren vertreten, da die Foren, wo ich sie damals publizierte, nicht mehr existieren und ich sie damals nie transferierte.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Jonny

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #3 am: Juni 11, 2016, 20:09:07 »
Ein Lesegenuss, lieber Erich.
Schöne. eindrucksvolle Bilder: Eine alternden Frau, mit all den Schönheiten eines Abends.
Eines Lebensabends. Wunderbar verdichtet.
Seufzend gelesen!

Liebe Grüße dir
Jonny

Erich Kykal

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #4 am: Juni 11, 2016, 20:21:57 »
Hi Jonny!

Willkommen hier! Vielen Dank für deinen Kommi.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #5 am: Juni 13, 2016, 17:49:07 »
ein Gedicht wie ein Bild, Erich. Eine alte Frau, in deren Bild man schon den Tod spürt, in einer Welt befindlich, die nicht mehr ganz hier und nicht mehr ganz dort ist. Behutsam und zart hast du das beschrieben. Ein sehr schönes Gedicht, wie eine Ode an "die Alten".
LG von Agneta

cyparis

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #6 am: Juni 13, 2016, 17:53:39 »
Hin und wieder wage ich mich an Bleistiftzeichnungen.
So auch hier vor Jahren.
Selbstverständlich glückte das nicht.
Aber das Bild trage ich nach wie vor in mir.
Der Schönheit treu ergeben
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Agneta

  • Gast
Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #7 am: Juni 13, 2016, 17:58:26 »
ich kann leider nicht malen, aber man möchte es malen, das Gedicht. Der Gedanke kam mir ach. Stell doch deine Zeichnung einmal dazu, sie würde mich interessieren, Cyparis. :)

cyparis

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #8 am: Juni 13, 2016, 20:23:57 »
Die Bleistiftzeichnung ist längst den Weg alles Irdischen gegangen. :)

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gummibaum

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #9 am: April 01, 2017, 23:04:22 »
Tolles Gedicht. Die Alte tritt plastisch vor Augen, äußerlich wie innerlich.

Entzückte Grüße
gummibaum

Curd Belesos

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #10 am: August 18, 2017, 21:51:53 »
Zitat
Dann sinkt sie wieder einwärts in die blassen Bilder
aus überlebter Zeit und schöpft sich Ruhe dort

moin moin Erich,

für dieses, dein Können, mit Worten Bilder entstehen zu lassen, die so bestimmt schon oft gedacht wurden, aber nie so lyrisch beschrieben wurden, danke ich dir.

LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Erich Kykal

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #11 am: August 18, 2017, 22:52:07 »
Hi Agneta, Cyparis, Gum und Curd!

Da habt ihr im Laufe der Zeit alle eure Gedanken beigesteuert - und ich habe es bis jetzt nicht bemerkt! Vielen Dank dafür!  :)

Dies ist eins von meinen ziemlich alten Werken von vor etwa 10 - 12 Jahren. Mehrere mir bekannte "alte Frauen" standen dabei Pate, unter anderem meine Mutter. An den Tod dachte ich beim Schreiben nicht, wollte nur die versonnene Gleichmut vieler alter Menschen verdeutlichen, auch angesichts im Leben erlebten Schmerzes, der einen dann und wann einholt.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #12 am: Oktober 15, 2017, 19:08:21 »
der einen dann und wann einholt.

Wie wahr, wie bitter wahr.
Der Schönheit treu ergeben
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Erich Kykal

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #13 am: Dezember 23, 2020, 12:24:04 »
Ach, gute Anne!

Wer, der nur lang genug gelebt hätte, hätte diese Erfahrung nicht gemacht ...?  :-\ :-[
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Die Alte vor'm Haus
« Antwort #14 am: Dezember 23, 2020, 15:43:32 »
Hallo Erich,


auch über das Hinaufholen dieses Gedichtes bin ich sehr froh. Ein liebevoll gezeichnetes Porträt, das aber dennoch den Schmerz des Alterns nicht verleugnet. Doch der Schmerz ist  nicht das Bestimmende. Er ist da, wie die Realität, die nicht immer gestaltet werden kann, wie es schön wäre. Aber es bleibt die höhere Weisheit des Lächelns.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.