Autor Thema: Drei Weiber  (Gelesen 964 mal)

gummibaum

Drei Weiber
« am: Februar 20, 2016, 18:54:04 »
Die Drei sind lang ein Abklatsch süßer Hüllen,
denn ihre Hurenhaut ist, früh entehrt,
durch langen Ekel taub und sinnentleert,
mit Fraß gestopft, ein Seelenloch zu füllen.

Wie widersinnig spottet hier der Schleier
der Venus einem fratzenhaften Weib,   
der Stuck in dem Salon dem feisten Leib,
der Ohrring Blicken, gierig wie ein Geier.

Und doch begegnen sich in dieser Runde,
am Boden als Kontrast zu toter Lust,
ein Weib und ihr Gespiele wie zwei Hunde.

Der Pinscher bellt und springt ihr an die Brust,
und sie formt einen Kuss mit ihrem Munde
und lächelt, alter Träume halb bewusst.


http://www.kunstmarkt.com/pagesmag/kunst/_id247072-/marktberichte_grossbildansicht.html?_q=

(Otto Dix: Drei Weiber, 1926)
« Letzte Änderung: Februar 20, 2016, 22:34:12 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Drei Weiber
« Antwort #1 am: Februar 20, 2016, 21:26:52 »
Hi, Gum!

Wieder ein tolles Bildersonett!

Folgende Stellen würde ich SO schreiben:


Die Drei sind lang ein Schatten süßer Hüllen, Abschaum ist man als Ganzes, eine bloße Hülle mag, wenn zerstört, ein Zeichen von Abschaumhaftigkeit sein, aber nicht der Abschaum selbst - der steckt nämlich drin! ;)
denn ihre Hurenhaut ist, früh entehrt,
durch langen Ekel taub und sinnentleert,
mit Fraß gestopft, ein Seelenloch zu füllen.

Wie widersinnig spottet hier der Schleier
der Venus einem fratzenhaften Weib,   
der Stuck in dem Salon dem feisten Leib,
der Ohrring Blicken, gierig wie ein Geier.

Und doch begegnen sich in dieser Runde Entweder: Komma am Zeilenende, dann ist die Folgezeile ist ein Einschub.
am Boden als Kontrast zu toter Lust, Oder: Kein Komma oben und keins am Ende dieser Zeile, dann ist es ein Satzglied.
ein Weib und ihr Gespiele wie zwei Hunde, Hier besser Punkt.

der Pinscher bellt und springt ihr an die Brust,
und sie formt einen Kuss mit ihrem Munde
und lächelt, alter Träume halb bewusst.


Du hast das Bild sehr gut umgesetzt. Im 2. Quartett war der rote Faden bei den vielen Aufzählungen etwas diffus, vor allem, wenn man erst das Sonett liest und den Link zum Bild erst danach entdeckt, so wie ich. ::) Da wird es ein wenig schwierig, dem Konstrukt Sinn abzuringen! ;)

Zum Inhalt und deiner Sicht:
Das Bild lebt von der Faszination des Menschen für Grauen und Ekel. So wie es schwerfällt, bei Unfällen NICHT hinzusehen, wird man von diesem Sujet angezogen und abgestoßen zugleich. Die bittersüße Diskrepanz zwischen moralischem Gewissen und nackter optischer Sensationsgier sorgt für den Kitzel! >:D
Es ist interessant, dass man einer Nutte oft sogar schon in jungen Jahren ihre Profession ansieht. Ganz leicht ist es bei denen, die sich übermäßig schminken, ellenlange grellbunte Fingernägel pflegen und hautenge, auffällige Kleider bevorzugen, an denen alles "Ich bin leicht zu kriegen!" schreit! Dazu noch kniehohe rote oder schwarze Lacklederstiefel - und fertig! ;D
Aber auch wenn sie nackt sind - ein verlebter Zug um die Lippen, automatisierte laszive Körperhaltung, ein hohler Blick, emotionslos oder berechnend ... eingeschnitzter Zynismus, der Gesichter früh altern lässt, innere Verlorenheit, die andeutet, dass man sich lange aufgegeben hat ... - irgendwie merkt man es auf unterbewusster Ebene, deutet die Summe der Zeichen.
Natürlich gibt es solche und solche, und die auf dem Bild sind wohl von der besonders ordinären, bildungsfernen und verlotterten Sorte. Erinnert mich an die widerliche Fernsehwerbung ab 2h morgens: "Geile Omas wollen's dir besorgen! Ruf ..." u.a.
Eine besoffen, eine eher katatonisch und eine infantil-regressiv. Das einzige unschuldige Wesen auf dem Bild ist der kleine Hund, der einer der Huren als Kindersatz, Gefühlsträger und Sozialkontakt dient!

Ausgesprochen gern gelesen! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 04, 2016, 22:41:56 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Drei Weiber
« Antwort #2 am: Februar 20, 2016, 22:00:35 »
Lieber Erich,

ich habe noch nie einen so tiefgehenden und erhellenden Kommentar auf ein Gedicht bekommen! Ganz besonderen Dank.
In der Tat habe ich im 2. Quartett zu viele Details des Bildes abgearbeitet und nur mit dem "Spotten" zusammengehalten, so dass ohne das Bild kaum ein Eindruck entsteht.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re: Drei Weiber
« Antwort #3 am: Februar 20, 2016, 22:09:16 »
Hi, Gum!

Danke. Statt "Abschaum" könntest du auch "Abklatsch" schreiben, das würde m.E. besser passen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Drei Weiber
« Antwort #4 am: Mai 04, 2016, 18:10:48 »
Lieber gummibaum,

das habe ich etliche Wochen vor mir hergeschoben.
Dieses salzsäureartige Gemälde stößt mich, obwohl es im Sine des Wortes hervorragend ist als Zeitzeugnis,
also, es stößt mich dermaßen ab, daß Dein großartiges Sonett keine Schwerstarbeit leisten mußte, um mir einen quintessentiellen  Ausruf zu entlocken:
Ja!

Zur Umsetzung und zur Schönheit des Sonetts.
Auf der anderen Seite:
Dieser gewollten Scheußlichkeit Deine dichterische Schönheit entgegenzusetzen - das muß auch Dir ein souveränes Gefühl verliehen haben.
Oder?

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Agneta

  • Gast
Re: Drei Weiber
« Antwort #5 am: Mai 07, 2016, 19:16:54 »
in Spitzensonett, lieber Gum, das ich lese ohne das Bild zu betrachten. Der Anfang schon ist wortgewaltig und beeindruckend. Am Ende wird es traurig, ein wenig Verständnis blitzt auf für die so "verachtenswürdigen"Huren.
Das Sonett ist klasse gemcht ohne wenn und aber, Erich hat ja scheinbar  noch ein wenig gesenft.. :).dennoch möchte ich persönlich sagen, dass ich Huren nicht so verachtenswürdig finde.
Schließlich bedienen sie nur das, was die Gesellschaft braucht.
Es stehen immer auch Menschen, Frauen dahinter und das kommt am Ende erst in deinem Gedicht als Aspektchen durch.
Ich vermute m al, dass du dich da eng am Bild gehalten hast und somit möglicherweise die Aussage des Malers zunächst übernommen.
Wie auch immer. Meinungen sind halt verschieden.
LG von Agneta


gummibaum

Re: Drei Weiber
« Antwort #6 am: Mai 08, 2016, 10:45:47 »
Liebe cyparis, liebe Agneta,

herzlichen Dank für eure Kommentare. Ich habe mich sehr gefreut. Zunächst springt das Abstoßende bei dem Bild ins Auge, und das Gedicht greift es auf. Doch habe ich versucht, die Menschen, die in dieser Welt leben, sie inszenieren und ihr ausgeliefert sind, zu verstehen. Manche Frauen, die in der Prostitution leben, wünschen sich ja das, was anderen längst muffig vorkommt: eine harmonische Beziehung, ein bürgerliches Zuhause.

Schöne Sonntagsgrüße
gummibaum