Autor Thema: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft  (Gelesen 1833 mal)

Seeräuber-Jenny

Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« am: September 01, 2015, 23:51:34 »

(James Hamilton, Massacre of Glencoe February 13, 1692)

Ins grüne Tal marschierten die Soldaten.
Sie kamen, die MacDonalds zu besuchen.
Und Bruderherz hat Bruderherz verraten.

Die Gastfreundschaft, als edelste der Taten,
Die musste man im Hochland nicht lang suchen.
Ins grüne Tal marschierten die Soldaten.

Wohl roch MacDonald frühzeitig den Braten:
Die Campbells konnte William für sich buchen.
Und Bruderherz hat Bruderherz verraten.

Doch als sie an dem Tor um Einlass baten,
Da gab es Obdach, Abendbrot und Kuchen.
Ins grüne Tal marschierten die Soldaten.

Frühmorgens schritten sie zu Greueltaten.
MacDonald ruht in weißen Leichentuchen.
Und Bruderherz hat Bruderherz verraten.

Den Edlen will ich drum zur Vorsicht raten,
Die Campbells bis zum jüngsten Tag verfluchen.
Ins grüne Tal marschierten die Soldaten.
Und Bruderherz hat Bruderherz verraten.

« Letzte Änderung: September 01, 2015, 23:58:35 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« Antwort #1 am: September 02, 2015, 11:08:34 »
Liebe Jenny -


ist das ein Pantum (oder sonstige Spezialität?).
Überaus gelungen! Und das Gemälde gibt noch einen ganz eigenen "Strich" dazu.

Vielleicht mach ich doch auch einmal eine Favoritenliste auf?
Dort hätte es seinen Platz.


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Seeräuber-Jenny

Re: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« Antwort #2 am: September 02, 2015, 13:44:05 »
Liebe cyparis,

ja, das Gedicht ist an das Pantum, auch Pantun genannt, angelehnt, das aus Malaisia stammt. Eigentlich besteht das Pantun aus vierzeiligen Strophen im Kreuzreim, deren zweite und vierte Zeilen immer wieder aufgegriffen werden. Ich habe mich für eine dreizeilige Variante entschieden, deren erste und dritte Zeilen ich wiederhole. Ich finde diese Form sehr eindringlich und genau passend für ein so abscheuliches Verbrechen, wie es das Massaker von Glencoe war.

Nachdem sich die Clans des schottischen Hochlands der Machtergreifung durch Wilhelm von Oranien widersetzt hatten, unterwarfen sie sich nach den verlorenen Schlachten dem neuen König von England, Schottland und Irland, um in den Genuss einer Amnestie zu kommen. Alastair, der Chief des Clans MacDonald, zögerte die Ableistung des Treueeides bis zum Schluss hinaus. Nachdem er unterzeichnet hatte, ließen sich die verwandten Campbells auf eine Verschwörung ein und kündigten ihren Besuch bei den MacDonalds an, samt einem Regiment des Earl of Argyll, dass unter dem Kommando des Sir Robert Campbell of Glenlyon stand. Alastair war zwar zunächst misstrauisch, gewährte den Campbells samt den angereisten Soldaten jedoch Gastfreundschaft, wie es im Hochland Tradition war. Die Feinde verbrachten den Abend im Haus ihres Gastgebers beim Kartenspiel mit ihren ahnungslosen Opfern und nahmen noch eine Einladung zum Essen am folgenden Tag an, bevor sie schlafen gingen. Frühmorgens begann das Massaker. Alastair MacDonald wurde getötet, als er gerade aufstehen wollte, aber seine Söhne konnten fliehen, wie zunächst auch seine Frau. Insgesamt wurden 38 Männer in ihren Häusern oder während der Flucht in die Hügel ermordet. Weitere 40 Frauen und Kinder starben, da sie der winterlichen Witterung ungeschützt ausgeliefert waren, nachdem ihre Häuser niedergebrannt worden waren. Andernorts hatten einige Soldaten ihre Gastgeber gewarnt, andere zerbrachen lieber ihre Säbel, als den Befehl auszuführen. Zusätzlich zu den Soldaten, die sich in Glencoe aufhielten, standen in dieser Nacht zwei weitere Abteilungen mit jeweils 400 Mann bereit und sperrten die Fluchtwege ab. Beide Abteilungen erreichten jedoch ihre Positionen zu spät, nicht zuletzt durch den Schneesturm, der den Weg unpassierbar machte. Ebenso ist es möglich, dass sie nicht rechtzeitig ankommen wollten, um an dem Verbrechen nicht teilnehmen zu müssen. Nur wenige Angehörige des Clans MacDonald überlebten das Massaker.
 
1695 wurde eine Kommission eingesetzt, die die Vorfälle untersuchen sollte. Im schottischen Recht gibt es eine strafverschärfende Vorschrift, den "Mord unter Missbrauch des Vertrauens". Das Glencoe-Massaker passte eindeutig in diese Kategorie. Die folgende Untersuchung wies Parallelen zu den späteren Nürnberger Prozessen auf, in denen auch die zentrale Frage behandelt wurde, ob Verbrechen dadurch gerechtfertigt werden können, dass Befehle befolgt werden mussten. Der König sollte für das Massaker nicht zur Rechenschaft gezogen werden, die anderen Beteiligten hatten inzwischen das Land verlassen. Der Abschlussbericht der Kommission bestätigte die Unschuld des Königs und schob alle Schuld einem Staatssekretär zu. Nachdem das schottische Parlament den Kommissionsbericht zur Kenntnis genommen hatte, erklärte es die Hinrichtung der MacDonalds zum Mord und beauftragte das "Komitee für die Sicherheit des Königreichs", sich an den König zu wenden, damit dieser die für das Massaker Verantwortlichen bestrafen und gleichzeitig die überlebenden MacDonalds entschädigen sollte. Am Ende wurde niemand für das Massaker zur Rechenschaft gezogen.

https://youtu.be/0ENKR6jlzZs

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny
« Letzte Änderung: September 02, 2015, 22:49:56 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« Antwort #3 am: September 03, 2015, 11:16:00 »
Hab Dank für die ausführliche Antwort!


Ich kenne inzwischen auch Deine andere Intention, das Gedicht zu schreiben und hier einzustellen.
Dafür laß Dir ebenfalls danken!


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Seeräuber-Jenny

Re: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« Antwort #4 am: September 03, 2015, 14:20:03 »
Liebe cyparis,

dieses schmachvolle Massaker könnte ein Lehrstück für uns alle sein. Zwar leben wir nicht im schottischen Hochland, wo die Gastfreundschaft Gesetzescharakter hatte. Doch auch wir sollten sie als ungeschriebenes Gesetz betrachten.
Wer Gastfreundschaft genießt, gilt im Sinne des Wortes als Freund. Ein Freund kommt in friedlicher Absicht und greift nicht den, der ihm die Tür öffnete, aus dem Hinterhalt an.

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny
« Letzte Änderung: September 03, 2015, 14:24:09 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« Antwort #5 am: September 03, 2015, 19:12:58 »
Für mich ein ungeschriebenes Gesetz.

Aber ich mußte gleiche Erfahrungen wie Erich machen.
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Seeräuber-Jenny

Re: Das Massaker von Glencoe oder vom Wert der Gastfreundschaft
« Antwort #6 am: September 03, 2015, 19:16:00 »
Ja, solche schlimmen Erfahrungen haben wir wohl alle schon gemacht. Aber wir haben es zum Glück überlebt.
Waffen und Worte können töten. Weh dem, der seinen Mörder mit offenen Armen empfängt.

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny
« Letzte Änderung: September 04, 2015, 02:08:07 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz