Autor Thema: Die Apfelernte  (Gelesen 1187 mal)

charis

  • Gast
Die Apfelernte
« am: Juni 27, 2015, 14:30:50 »
Ich seh mich toben ganz im Banne
der Freiheit als ich vier war oder drei,
zur Strafe stand ich in der Wanne,
die erste Wortkunst war ein greller Schrei.

Ich nervte nie mehr mit Gebitzel,
im Frösteln war es plötzlich klar,
es fand das Zahnrad seinen Ritzel
von da an war nur Dichtung wahr.

Es  hat die Muse mich geboren,
erfroren waren Trotz  und  Zorn.
Sie hielt mich warm, hat mich erkoren,
licht sprudelte der Dichterborn.

Der Teppichklopfer, Goethes Besen,
den Mutter schwang, ward mir dann lieb.
Ich zählte zu den scheuen Wesen,
doch duckte mich vor keinem Hieb.

Es schützte mich die Körperfülle
auch vor der Kinder Spott und Hohn,
gefangen in der Hornrandbrille
sah ich nur Panther, roten Mohn.

Mein Vater war der Butterweiche,
- den Mutter führte an der Hand -
aus Kruppstahl, eine deutsche Eiche,
der wie ein Felsen vor mir stand.

Die Liebe konnte er nicht zeigen;
er war - vielleicht  - eine feiger Dieb.
Einzig sein verstocktes Schweigen
ist alles, was mir von ihm blieb.

Ich wuchs am Fühlen und Erinnern:
Ein Baum, der sich geduldig müht,
dem Winter trotzt, in seinem Innern
stets Früchte trägt, stets neu erblüht...
« Letzte Änderung: August 12, 2015, 00:07:09 von charis »

gummibaum

Re: Die Apfelernte
« Antwort #1 am: Juni 27, 2015, 17:01:06 »
Eigentlich sollte ein anderer als erster kommentieren. Aber ich kann mich nicht zurückhalten, wenigstens zu flüstern: "Super!"

Erich Kykal

Re: Die Apfelernte
« Antwort #2 am: Juni 27, 2015, 18:45:34 »
Hi, Charis!

Mit drei oder vier Jahren ist man noch kein Musenkind - da war von späterem Sprachtalent noch nichts zu bemerken. Da wurde sicher keine "Muse geboren"! ;) ::) Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass mich dieses Erlebnis eher hemmte als etwas in mir zu erwecken: Mein Selbstbewusstsein war für den Rest meiner Kindheit geknickt, und die Häme meiner späteren Klassen"kameraden" besorgte dann den Rest.
Allerdings mache ich meiner Mutter keinen Vorwurf. Sie hatte es so gelernt in einer Zeit, als man der Meinung war, man sollte Kinder die ganze Nacht vergeblich schreien lassen, um sie abzuhärten. So betrachtet war sie ansonsten ausgesprochen liebevoll. Nur meinen Eskapaden begegnete sie mit unerbittlicher Konsequenz. Mein überbehütender Vater verwöhnte mich und schränkte mich ein, aber meine Mutter erzog mich - und gab mich frei!

Mein Kommentar bei Gummibaums Gedicht hat dich offensichtlich inspiriert - aber ehrlich gesagt befremdet mich die Versform meiner Geschichte eher, denn für jemanden, der all die kleinen Details hinter der Fassade kennt - die ich in einem Kommentar natürlich nicht ausführlich beschreiben konnte - wirken die Zeilen allzu hart und pauschal urteilend, auch wenn sie bloß meine eigenen Aussagen widerspiegeln.
Zudem fühle ich mich mit derlei "Besingung" sehr unwohl - ich halte mich für keinen, der derlei verdient hätte. Zudem habe ich den Eindruck, in den ersten Strophen nicht allzu gut wegzukommen ...  ;)

Deine Aussagen widersprechen sich teilweise: Mein Vater konnte nicht zugleich der "Butterweiche" und "aus Kruppstahl" oder "ein Felsen" sein - er litt zeitlebens unter Albträumen über seine Kriegszeit. Ein "feiger Dieb" war er aber sicherlich nicht - er hat sich kaputtgearbeitet, um seiner kleinen Familie zu Wohlstand und Sicherheit zu verhelfen!

Die Körperfülle hat mich nie "geschützt", im Gegenteil - sie war ein nie endender Quell des Spottes und der Erniedrigung, des Selbstekels und des eigenen Versagens, sich zu beherrschen! Ich hasse meinen Körper - und eine Hornbrille trug ich nie. ;) :D

Die letzte Strophe ist dir lyrisch sehr gut gelungen - sie wäre einem edleren Geist als dem meinen würdig und angemessen. Ich bin kein Baum, eher ein windzerzauster, aber zäher hässlicher Kaktus, der einfach nicht einsehen will, dass er auf dem kargen Boden, in dem er wurzelt, niemals wirklich gedeihen wird. (Mit dem kargen Boden ist nicht meine Kindheit gemeint, sondern meine eigenen sozialen Defizite!) Einzig die Früchte - meine Kunst - mag mich überdauern oder auch nicht ... aber diese Entscheidung liegt nicht in meiner Hand. :-X

Ich danke dir für dieses Gedicht, möchte aber zugleich - auch allgemein - darum bitten, künftig von solchen Hommagen(?) abzusehen. Ich kann dazu nur Goethe's Faust zitieren, seine Reaktion auf die Ehrung der Menge für seine und des Vaters (aus seiner Sicht vergebliche) ehemalige Behandlung von Pestkranken, während des Spaziergangs am Ostertag mit dem Famulus Wagner:

"Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
wie wenig Vater und Sohn
solch eines Ruhmes wert gewesen!"

Bitte versteh diesen Kommentar nicht als negative Kritik - ICH bin gerjenige, der hier das Problem hat, nicht du!

LG, eKy

PS: Um die metrischen Schnitzer soll sich diesmal jemand anders kümmern - es würde irgendwie blöd wirken, wenn ich das bei einem Gedicht mache, wo es um mich selbst geht!
« Letzte Änderung: Juni 27, 2015, 19:04:19 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re: Die Apfelernte
« Antwort #3 am: Juni 27, 2015, 21:21:57 »
"Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
wie wenig Vater und Sohn
solch eines Ruhmes wert gewesen!"


Ja genau, lieber Eky, ich habe mit diesem Widerstand gerechnet. Und dieses Gedicht hier war in erster Linie als Fingerzeig auf jene Homage auf Rilke gedacht, der sich im Gegensatz zu dir, nicht mehr wehren kann.

Trotzdem denke ich, dass die letze Strophe sehr gut auf dich passt und deine Offenheit ist mehr als bewundernswert! Chapeau!

Lieben Gruß
charis

« Letzte Änderung: Juni 28, 2015, 09:44:37 von charis »

cyparis

Re: Die Apfelernte
« Antwort #4 am: Juni 28, 2015, 10:07:45 »
Da ich den Hintergrund nicht kenne, liebe charis, habe ich dies eher als Dein "Outing" gelesen.

Dies

Ich zählte zu den scheuen Wesen,
doch ich duckte mich vor keinem Hieb.


könnte haarscharf auf mich gemünzt sein.

Ich bin metrisch lediglich über den Hornrand Deiner Brille gestolpert.


Schönen Sonntag!
Und liebe Grüße
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

charis

  • Gast
Re: Die Apfelernte
« Antwort #5 am: Juni 28, 2015, 11:03:28 »
Du hast ein feines Gespür, liebe Cyparis!
Vor allem weil du genau diese beiden Verse zitierst.

Lieben Gruß
charis