Autor Thema: Die Wand  (Gelesen 749 mal)

charis

  • Gast
Die Wand
« am: Februar 17, 2015, 19:05:17 »
Nächtens kühlt die Sternenflut
Gleißend helle Sehnsuchtsglut
Sanfter Träume Ruhekissen
Wärmt sie noch in tiefen Rissen
 
Weiche Wangen an der Wand
Schlafend such ich deine Hand
Unsre wunden Fingerspitzen
Finden sich durch Mauerritzen
Willenlos im Zu-uns-Streben
Schwelt in uns ein banges Beben
Diesem Gral ist unser Blut geweiht

Willenlos im Zu-uns-Streben
Finden sich durch Mauerritzen
Weiche Wangen an der Wand
Schwelt in uns ein banges Beben
Schlafend such ich deine Hand
Unsre wunden Fingerspitzen
Diesem Gral ist unser Blut geweiht

Unsre wunden Fingerspitzen
Weiche Wangen an der Wand
Finden sich durch Mauerritzen
Schwelt in uns ein banges Beben
Schlafend such ich deine Hand
Willenlos im Zu-uns-Streben
Diesem Gral ist unser Blut geweiht

Schwelt in uns ein banges Beben
Willenlos im Zu-uns-Streben
Finden sich durch Mauerritzen
Weiche Wangen an der Wand
Unsre wunden Fingerspitzen
Schlafend such ich deine Hand
Diesem Gral ist unser Blut geweiht

Sanfter Träume Ruhekissen
Gleißend helle Sehnsuchtsglut
Wärmt sie noch in tiefen Rissen
Nächtens kühlt die Sternenflut
« Letzte Änderung: Februar 18, 2015, 17:46:40 von charis »

cyparis

Re:Die Wand
« Antwort #1 am: Februar 17, 2015, 19:22:09 »
Liebe charis,


sehr geheimnisvoll und durch die Wiederholungen beinahe hypnotisch-magisch.
Mir steht ein schlimmes Schicksal vor den Augen:
Krieg oder Gefangenschaft oder sehr schmerzliches Getrenntsein anderer Art.
Etwas Dunkles und Tragisches strömt aus den Versen.
Tod.

Ich werde nochmals eintauchen.


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Die Wand
« Antwort #2 am: Februar 17, 2015, 21:46:18 »
Hi, Charis!

Sämtliche Satzzeichen fehlen - bis auf den Strophenschlusspunkt.

In S4 fehlt die Zeile "schlafend such ich deine Hand".

Die jeweils letzte Zeile der siebenzeiligen Strophen fällt durch Überlänge auf. Absicht? Altern.: "Gral, dem unser Blut geweiht." Das klingt recht pathetisch - vielleicht solltest du über eine andere Zeile nachdenken ...

Für die erste und letzte Zeile erscheint mir "Dunkel kühlt die Sternenflut" inhaltlich sinnvoller. Dieser erste und letzte Vierzeiler steckt allerdings voller Widersprüche und Unerklärtem:
Sterne sind hell - warum also "dunkel"? Das All um die Sterne herum ist dunkel und kalt - die Sternenflut ist eher das Gegenteil.
Das "sie" in Z4 bezieht sich wohl auf die Sehnsuchtsglut. Diese wärmt also die Ruhekissen sanfter Träume? Nun, tut Sehnsucht - sogar glühende - nicht eher das Gegenteil? Ein glühendes Sehnen hat mich eigentlich nie zur Ruhe kommen lassen!
Und von welchen tiefen Rissen ist da die Rede? Und vor allem: Risse worin? Da bleibt zu vieles okkult und vage ...

Das "Zu-uns-Streben" ist ein etwas linkisch wirkender Begriff. Die lyrische Alternative wäre "Zueinanderstreben", aber das geht sich metrisch nicht aus. Altern.: "Willenloses Hinbestreben"


Wie Cypi schon richtig bemerkte, wirkt die unterschiedlich gestaffelte Wiederholung der Zeilen hypnotisch, ohne langweilig zu werden. Ich finde das Werk gut gelungen, sind die obigen Punkte erst geklärt. Auch ich dachte beim Lesen an ein Liebespaar mit schwerem Geschick - vielleicht in getrennten Zellen inhaftiert, und nur ein schmaler Riss in der trennenden Mauer verbindet sie.
Sie geben sich ganz ihrer Sehnsucht zueinander hin, wissend oder ahnend, dass sie anders nie mehr zueinander finden können/werden. Vielleicht sind sie zum Tode verurteilt (allerdings unwahrscheinlich, denn Gefangene unterschiedlichen Geschlechts würde man nie nebeneinander inhaftieren).

Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re:Die Wand
« Antwort #3 am: Februar 18, 2015, 17:51:09 »
Liebe Cyparis, lieber Eky,

Vielen Dank, liebe Cyparis, für dein Einfühlen und Eintauchen :) und lieber Eky, für deine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Gedicht.

Es muss sich in diesem Gedicht nicht alles logisch fügen, so wie sich eben Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht der Logik meist entziehen.

Die Wand ist nur eine Metapher, aber mit Gefangensein hat es wohl zu tun.

Eine Interpunktion ist entbehrlich. Ich hab jetzt alle Satzzeichen entfernt. Es sind aneinandergereihte Bilder, sie drehen sich im Kreis, es geht in erster Linie um eine magisch-hypnotische Wirkung und dieser Versuch, ist offensichtlich (bedingt :)) gelungen...

Das "Zu-uns-Streben" ist von Rilke inspiriert:

Leise hör ich dich rufen
in jedem Flüstern und Wehn.
Auf lauter weißen Stufen,
die meine Wünsche sich schufen,
hör ich dein Zu-mir-gehn.


Er hat halt die feinere Feder. ;)

Mit den Quardetten hab ich mich sehr geplagt. Ich hoffe, sie sind jetzt klarer. Ich wollte damit etwas sehr Spezielles zum Ausdruck bringen: Die Glut wird in der Nacht (zuerst: im "Dunkel" der Nacht) in der Sternenflut gekühlt; ich empfinde einen Sternenhimmel nicht als warm und hell und "Flut" assoziere ich mit kühlendem Wasser; man darf die "Sterne" also nicht wörtlich nehmen; es sind empfunden nur Lichtpunkte/haufen in kalten, dunklen, endlosen Weiten. Die Tagessonnenglut zieht sich also in die Risse (der Mauer) zurück,  hält sich dort als Wärme; somit können LI und LD (metaphorisch) geschützt und gewärmt zur Ruhe kommen...träumend sich (wirklich) erspüren. Das letzte Quardett hat eine etwas andere Nuance.

Und die jeweils letzte (zu lange) Verse passen für mein Gefühl so. Sie sollen ganz bewusst herausfallen, sie finden den Rhythmus und die Reime nur in sich selbst. Ich weiß, dieser Vers ist sehr pathetisch  ::), aber es ist eine Art Beschwörung oder ein Mantra...der Gral in seiner wundertätigen, aber auch verwirrend vielfältigen (Heils)bedeutung wird hier angesprochen, wer weiß, was er vermag...

Na ja, in letzter Zeit schreib ich wohl ziemlich eigenartige Sachen :).

Lieben Gruß und nochmals vielen Dank für das Teilen Eurer Eindrücke und Gedanken!
charis
« Letzte Änderung: Februar 18, 2015, 17:54:42 von charis »