Autor Thema: Im Winterpark  (Gelesen 1861 mal)

gummibaum

Im Winterpark
« am: Dezember 30, 2014, 15:41:36 »
Komm mit mir, den Park zu schauen,
den der Winter über Nacht
weiß und rein und still gemacht
für das erste Morgenblauen.

Lass uns hier das Schweigen hören,
das aus alten Bäumen spricht,
und aus seiner tiefsten Schicht,
was es bergen mag, beschwören.

Lass uns dann ein Haus von ferne,
das die Schneelast ruhig wägt,
still betrachten. Sieh, es trägt
auch ein schweres Dach noch gerne.

Höre, wie die Fenster klingen,
die von Eis bewachsen sind.
Flügel spielt dort unser Kind.
Und der Park beginnt zu singen.

« Letzte Änderung: Januar 03, 2015, 23:09:22 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Im Winterpark
« Antwort #1 am: Dezember 30, 2014, 22:32:50 »
Hi, Gum!

Hast du Rilke's "Die Parke" gelesen? Dein Werk hat mich thematisch und in manchen Bildern daran erinnert, auch wenn deine lyrische Sprache knapper, weniger ausladend ist.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Im Winterpark
« Antwort #2 am: Dezember 30, 2014, 22:56:33 »
Danke für deinen Kommentar, Erich. Ich glaube, ich kenne nur Georges "Komm in den totgesagten Park und schau".

Einen baldigen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir mit LG

gummibaum
« Letzte Änderung: Dezember 30, 2014, 23:35:16 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Im Winterpark
« Antwort #3 am: Dezember 30, 2014, 23:46:56 »
Hi, Gum!

Hier sind sie:

Die Parke
von Rainer Maria Rilke

I

Unaufhaltsam heben sich die Parke
aus dem sanft zerfallenden Vergehn;
überhäuft mit Himmeln, überstarke
Überlieferte, die überstehn,

um sich auf den klaren Rasenplänen
auszubreiten und zurückzuziehn,
immer mit demselben souveränen
Aufwand, wie beschützt durch ihn,

und den unerschöpflichen Erlös
königlicher Größe noch vermehrend,
aus sich steigend, in sich wiederkehrend:
huldvoll, prunkend, purpurn und pompös.


II

Leise von den Alleen
ergriffen, rechts und links,
folgend dem Weitergehen
irgendeines Winks,

trittst du mit einem Male
in das Beisammensein
einer schattigen Wasserschale
mit vier Bänken aus Stein;

in eine abgetrennte
Zeit, die allein vergeht.
Auf feuchte Postamente,
auf denen nichts mehr steht,

hebst du einen tiefen
erwartenden Atemzug;
während das silberne Triefen
von dem dunkeln Bug

dich schon zu den Seinen
zählt und weiterspricht.
Und du fühlst dich unter Steinen
die hören, und rührst dich nicht.


III

Den Teichen und den eingerahmten Weihern
verheimlicht man noch immer das Verhör
der Könige. Sie warten unter Schleiern,
und jeden Augenblick kann Monseigneur

vorüberkommen; und dann wollen sie
des Königs Laune oder Trauer mildern
und von den Marmorrändern wieder die
Teppiche mit alten Spiegelbildern

hinunterhängen, wie um einen Platz:
auf grünem Grund, mit Silber, Rosa, Grau,
gewährtem Weiß und leicht gerührtem Blau
und einem Könige und einer Frau
und Blumen in dem wellenden Besatz.


IV

Und Natur, erlaucht und als verletze
sie nur unentschloßnes Ungefähr,
nahm von diesen Königen Gesetze,
selber selig, um den Tapis-vert

ihrer Bäume Traum und Übertreibung
aufzutürmen aus gebauschtem Grün
und die Abende nach der Beschreibung
von Verliebten in die Avenün

einzumalen mit dem weichen Pinsel,
der ein firnisklares aufgelöstes
Lächeln glänzend zu enthalten schien:

der Natur ein liebes, nicht ihr größtes,
aber eines, das sie selbst verliehn,
um auf rosenvoller Liebes-Insel
es zu einem größern aufzuziehn.


V

Götter von Alleen und Altanen,
niemals ganzgeglaubte Götter, die
altern in den gradbeschnittnen Bahnen,
höchstens angelächelte Dianen
wenn die königliche Venerie

wie ein Wind die hohen Morgen teilend
aufbrach, übereilt und übereilend - ;
höchstens angelächelte, doch nie

angeflehte Götter. Elegante
Pseudonyme, unter denen man
sich verbarg und blühte oder brannte, -
leichtgeneigte, lächelnd angewandte
Götter, die noch manchmal dann und wann

das gewähren, was sie einst gewährten,
wenn das Blühen der entzückten Gärten
ihnen ihre kalte Haltung nimmt;
wenn sie ganz von ersten Schatten beben
und Versprechen um Versprechen geben,
alle unbegrenzt und unbestimmt.


VI

Fühlst du, wie keiner von allen
Wegen steht und stockt:
von gelassenen Treppen fallen,
durch ein Nichts von Neigung
leise weitergelockt,
über alle Terrassen
die Wege, zwischen den Massen
verlangsamt und gelenkt,
bis zu den weiten Teichen,
wo sie (wie einem Gleichen)
der reiche Park verschenkt

an den reichen Raum: den Einen,
der mit Scheinen und Widerscheinen
seinen Besitz durchdringt,
aus dem er von allen Seiten
Weiten mit sich bringt,
wenn er aus schließenden Weihern
zu wolkigen Abendfeiern
sich in die Himmel schwingt.


VII

Aber Schalen sind, drin der Najaden
Spiegelbilder, die sie nicht mehr baden,
wie ertrunken liegen, sehr verzerrt;
die Alleen sind durch Balustraden
in der Ferne wie versperrt.

Immer geht ein feuchter Blätterfall
durch die Luft hinunter wie auf Stufen,
jeder Vogelruf ist wie verrufen,
wie vergiftet jede Nachtigall.

Selbst der Frühling ist da nicht mehr gebend,
diese Büsche glauben nicht an ihn;
ungern duftet trübe, überlebend
abgestandener Jasmin

alt und mit Zerfallendem vermischt.
Mit dir weiter rückt ein Bündel Mücken,
so als würde hinter deinem Rücken
alles gleich vernichtet und verwischt.


Ich hoffe, es hat dir gefallen! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 30, 2014, 23:52:27 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Im Winterpark
« Antwort #4 am: Dezember 31, 2014, 00:13:48 »
Du Engel! Da habe ich die beste Nachtlektüre. Heißen Dank. LG g

cyparis

Re:Im Winterpark
« Antwort #5 am: Dezember 31, 2014, 13:54:51 »
Lieber gummibaum -


ich bin jetzt abseits von Rilke
(ich stürbe einen Liebestod!) -



Lass uns dann ein Haus von Ferne,


wird mir nicht schlüssig.
Entweder meinst du "von ferne", also von weither betrachtet (im Sinne von "weit weg")

oder (was mir weitaus besser gefiele)

Lass uns dann ein Haus aus Ferne
(wie im Märchen - nicht Lebkuchen, sondern Ferne)



aber ich bin vielleicht auf einer falschen Spur.
Verwirrt.


Dein Gedicht hab ich dennoch nicht aus den Augen verloren!


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Im Winterpark
« Antwort #6 am: Januar 03, 2015, 20:52:30 »
Hallo cyparis,

das Haus liegt mitten im Park, und wenn man in diesen hinaus geht, sieht man es allmählich von (der) Ferne (aus)=aus der Ferne.

LG gummibaum

cyparis

Re:Im Winterpark
« Antwort #7 am: Januar 03, 2015, 22:35:43 »
also
von fern

Du lieber gummibaum!

Besten Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Im Winterpark
« Antwort #8 am: Januar 03, 2015, 23:10:52 »
Hab's nun klein geschrieben. Danke, cyparis.

LG gummibaum

Letreo71

Re:Im Winterpark
« Antwort #9 am: Januar 04, 2015, 09:44:46 »
Lieber Gummibaum,

das ist sehr schön beschrieben, es regt die Sinne an.
Sehr verlockend, es zu beobachten. ;)

Lieben Gruß aus der Ferne,
Letreo

gummibaum

Re:Im Winterpark
« Antwort #10 am: Januar 04, 2015, 15:35:28 »
Danke, Letreo71. Alles Gute noch zum neuen Jahr.

LG gummibaum

Curd Belesos

Re:Im Winterpark
« Antwort #11 am: Januar 04, 2015, 19:29:31 »
moin moin gummibaum,

beim Lesen entsteht ein wunderschönes Bild vor meinen Augen. Doch erscheint es mir als ob du aus zwei verschiedenen "Gedankenwinkeln " sprichst.

Lass uns dann ein Haus von ferne,
das die Schneelast ruhig wägt,
still betrachten. Sieh, es trägt
auch ein schweres Dach noch gerne.

Höre, wie die Fenster klingen,
die von Eis bewachsen sind.
Flügel spielt dort unser Kind.
Und der Park beginnt zu singen.


Gefühlsmäßig würde ich es so lieber lesen:

Lass uns dann das Haus von ferne, da das "das" den Besitzgedanken beinhaltet.

und, nur so nebenbei,

hätte es eine Geige nicht auch getan, da sie sich auch fröhlicher anhört, wenn sie von dem eigenen Kind gespielt wird  ;D

Einen leichten musischen Gruß

CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Letreo71

Re:Im Winterpark
« Antwort #12 am: Januar 04, 2015, 21:16:59 »

Zitat
Alles Gute noch zum neuen Jahr.

Danke Gummibaum, das geb ich gerne zurück. ;)

Lieben Gruß,
Letreo

gummibaum

Re:Im Winterpark
« Antwort #13 am: Januar 05, 2015, 21:09:54 »
Hallo Curd,

ich hatte erst "das" und habe es gegen "ein" getauscht, weil ich dachte, die Eltern können im Rückblick ihrem Haus (auf weißer Leinwand) einmal so begegnen, als ob sie es zum ersten Mal sähen. Dann holt sie erst die Musik, die ihr Kind macht, ins Bewusstsein, hier etwas Wunderbares geschaffen zu haben, zurück.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: Januar 07, 2015, 15:56:19 von gummibaum »

cyparis

Re:Im Winterpark
« Antwort #14 am: Januar 07, 2015, 09:42:40 »
Es soll der Flügel sein und nicht die Geige.
Die Geige muß sich ebenso dem Cello als auch der Baßgeige beugen.
Eine Klaviatur sprengt die fesselnde Enge.


Subjektiv:
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte