Autor Thema: Herr Lüdcke  (Gelesen 4356 mal)

Seeräuber-Jenny

Herr Lüdcke
« am: September 18, 2014, 21:30:20 »
Ihr Lieben,

Herr Lüdcke, mein ehemaliger Chef, ist tot.

http://www.tagesspiegel.de/berlin/tierschutz-ein-mann-fuer-alle-felle/999962.html

Er war ein guter Mensch und der beste Chef, den man sich wünschen kann. Die Arbeit war sehr abwechslungsreich und ich habe in den fünf Jahren eine Menge gelernt. Zusammen haben wir für den Berliner Tierschutz viel erreicht.

Zum Glück komme ich nicht groß zum Nachdenken, weil ich im Senat bei den Vorbereitungen für die Beerdigung am Dienstag helfe. Der Senat hat eine Todesanzeige aufgegeben. Viele ehemalige Mitstreiter mussten verständigt werden. Auch will ich für die Berliner Stadtkatzen noch einen Nachruf schreiben.

Nehmt es mir also nicht übel, wenn ich mich z.Z. ein bisschen rar mache.

Wünsche euch noch einen schönen Abend!

Eure Seeräuber-Jenny
« Letzte Änderung: September 18, 2014, 21:32:50 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re:Herr Lüdcke
« Antwort #1 am: September 20, 2014, 09:47:28 »
Liebe Jenny,


ich kenne diesen wunderbaren Mann nur vom Hörensagen.
Begegnen konnte ich ihm leider nie.

Ich fühle mit Dir!


Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Seeräuber-Jenny

Re:Herr Lüdcke
« Antwort #2 am: September 21, 2014, 22:28:42 »
Dafür konnte ich vier Jahre intensiv mit ihm zusammenarbeiten!

Im Tagesspiegel sind drei Anzeigen erschienen: von seiner Familie, von der Berliner Tierärztekammer, deren Präsident er früher war, sowie eine Anzeige von Senator, Staatssekretärin und seinem Nachfolger.

Hier mein Nachruf für die HP der Berliner Stadtkatzen:

Nachruf auf Dr. Klaus Lüdcke

Der erste Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin, Dr. med. vet. Klaus Lüdcke, ist tot. Er wurde 75 Jahre alt und verstarb plötzlich.

Er war von der damaligen Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Katrin Lompscher, 2007 in sein Ehrenamt berufen worden. Von 2008 bis 2012 hatte ich das Glück, seine Geschäftsstelle zu führen.

Dass er ein wunderbarer Chef war, das finde nicht nur ich. Meine Vorgängerin Frau Vetter versuchte alles, um ihre Altersteilzeitregelung rückgängig zu machen, weil sie mit ihm weiterarbeiten wollte. Leider war das nicht möglich. Doch, wie gesagt, es war mein Glück.

Herr Dr. Lüdcke war ein Verfechter des Ehrenamtes. Während seiner Tätigkeit als Tierschutzbeauftragter verzichtete er auf jegliche Aufwandsentschädigung. Die Fahrscheine, die er für seine Termine benötigte, bezahlte er aus eigener Tasche, ebenso wie die Blumensträuße für die Tierschutzpreisträger am Berliner Tierschutztag.

Jeden Mittwoch hielt er seine Sprechstunde ab. Nur einmal nicht, da lag er bewusstlos in der Wohnung. Er kam aber auch an anderen Tagen in die Geschäftsstelle, arbeitete darüber hinaus zu Hause und nahm zahlreiche Termine wahr.

In der Geschäftsstelle und zu Hause stand das Telefon selten still. Unzählige Berliner Bürgerinnen und Bürger, die um das Wohl der Tiere besorgt waren, meldeten sich bei ihm. Hunderte von E-Mails kamen jeden Monat in seinem Postfach an.

Sein Engagement war bemerkenswert. Er hat im Tierschutz viel bewegt, zusammen mit dem Netz der Aktiven, das er geknüpft hat.

Regelmäßig treffen sich auf seine Initiative hin im Berliner Tierschutzforum Tier- und Naturschützer, Amtstierärzte, Politiker und Journalisten zum Dialog. Er holte das Treffen der Tierschutzbeiräte der Länder nach Berlin in den Bundestag, wo die Beiräte alljährlich über alle aktuellen Tierschutzthemen beraten, sich mit den Politikern austauschen und ihre Kräfte bündeln. Er rief auch das Bündnis Tierschutzpolitik ins Leben, an dessen Sitzungen die großen Berliner Verbände teilnehmen.

Er ist der „Vater“ des Hundeführerscheins und war ein unermüdlicher Streiter für mehr Hundeauslaufgebiete in Berlin. Mit seiner Hilfe gelang es dem Bezirk Mitte, Leitlinien für die Kutschpferde zu erarbeiten. Dank ihm finden die Stadttauben nunmehr Obdach in bezirklichen betreuten Taubenschlägen. Er protestierte bei den Schirmherren des Weltfriedenstages gegen die Auflassung von Brieftauben und erreichte, dass die Evangelische Kirche einen runden Tisch einberief. Immer setzte er sich für die Umsiedlung der Berliner Stadtbären aus dem unwürdigen Zwinger in einen Bärenpark ein. Bereits als Präsident der Berliner Tierärztekammer forderte er eine Chip- und Kastrationspflicht für Freigängerkatzen. Seine Bemühungen wurden von seinem Nachfolger fortgeführt und scheinen demnächst Früchte zu tragen. Er fand es gut, dass Menschen in den Städten Haustiere als Gefährten haben, sofern es keine Exoten oder Wühltischwelpen sind.

Er setzte sich für ein Wildtierverbot im Zirkus ein und erreichte, dass keine landeseigenen Flächen mehr für Tierzirkusse zur Verfügung gestellt werden und dass auch ein Privatunternehmen nachzog. Das Verbandsklagerecht lag ihm besonders am Herzen. Leider waren seine diesbezüglichen Bemühungen bisher nicht von Erfolg gekrönt.

So gütig er war, so streitbar war er auch. Wenn ein undisziplinierter Hundebesitzer ihm frech kam, zog der ehemalige Amateurboxer schon mal das Jackett aus. Aquarien- und Zirkusverbände schickten ihm böse Briefe. Der damalige Zoo- und Tierparkdirektor bekam von ihm schonungslose Kritik zu hören.

Auch nachdem er sein Amt niedergelegt hatte, war er noch aktiv und unterstützte seinen Nachfolger Prof. Spielmann nach Kräften.

Besonders gefiel mir an Herrn Dr. Lüdcke gefiel seine humorvolle, unkomplizierte und direkte Berliner Art. Und sein großes Wissen imponierte mir. Ich habe in dieser Zeit so viel gelernt. Außerdem war er kulturell sehr interessiert, liebte die Musik und die Literatur.

Vor allem aber liebte er die Tiere. Ihnen widmete er sein Leben.


http://www.berlinerstadtkatzen.de/neuigkeiten/
« Letzte Änderung: September 23, 2014, 22:11:28 von Seeräuber-Jenny »
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Carl Schurz

cyparis

Re:Herr Lüdcke
« Antwort #3 am: September 21, 2014, 22:40:01 »
Anrührend und so ganz weit weg von den Alltagsnachruftexten!


Ich steh an Deiner Seite.
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Seeräuber-Jenny

Die Beisetzung
« Antwort #4 am: September 23, 2014, 22:38:29 »
Herr Lüdcke wurde am 23. September auf dem Parkfriedhof Lichterfelde beigesetzt.

http://www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/politik-und-verwaltung/aemter/strassen-und-gruenflaechenamt/gruenflaechen/friedhoefe/artikel.82250.php

Die Beerdigung war sehr traurig, aber auch sehr schön.

In der Kapelle drängten sich die Trauergäste. Außer der Familie waren sehr viele Freunde und Gefährten gekommen.

Von den Tierschützern waren vertreten: Daniel Buchholz (Tierschutzpol. Sprecher SPD), Marion Platta (Tierschutzpol. Sprecherin Die Linke), Prof. Horst Spielmann (Landestierschutzbeauftragter), Gabriele Salzmann (Geschäftsstelle des Landestierschutzbeauftragten), Brigitte Jenner (Bündnis Tierschutzpolitik), Christiane Bernhardt (TVB), Heike Taschner (TVB), Dr. Jörg Styrie (Bundesverband Tierschutz), Dr. Torsten Nöldner (Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz), Klemens Steiof (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt) sowie Björn Daum in Vertretung der Staatssekretärin für Verbraucherschutz Sabine Toepfer-Kataw. Grüße übermittelten die frühere Senatorin Katrin Lompscher, ihr früherer Staatssekretär Benjamin Immanuel Hoff, Johann-Wolfgang Landsberg-Becher von der Stiftung Naturschutz und Derk Ehlert, unser früherer Wildtierbeauftragter.

Hauptsächlich waren weißhaarige alte Herren da. Herrn Lüdckes Homepage hieß luedcke-koffer.berlin.de. Wie ich nun erfuhr, hat das nichts mit dem Koffer in Berlin zu tun, sondern diesen Spitznamen erhielt er aufgrund seiner Statur von der Turnerschaft Alemanno-Borussia, einer auf den Ideen von Turnvater Jahn fußenden, früher schlagenden Verbindung! Schlagende Verbindung, das sieht unserem "Berlinischen Kleiderschrank" ähnlich! Mit einem der alten Herren unterhielten wir uns. Er versicherte uns, die Turnerschaft hätte sich damals entschieden gegen die Mensur ausgesprochen, es würde wenig Alkohol konsumiert, von den alten Herren gar nicht, sie hätte ausländische Studenten aus aller Welt in ihren Reihen, wäre demokratisch ausgerichtet und würde keine Nazis aufnehmen.

Die Andacht hielt ein betagter Pfarrer aus der evangelischen Gemeinde des Herrn Lüdcke, der ihn wohl schon lange kannte. Er bedauerte, dass Herr Lüdcke früher der Kirche den Rücken gekehrt habe und lobte ihn dafür, dass er zum Glauben zurückgefunden und an einem Männerkreis teilgenommen hätte. Der Pfarrer hatte für die Feier herzergreifende Orgelmusik von Bach ausgewählt. Denn Johann Sebastian Bach war der Lieblingskomponist von Herrn Lüdcke.

Auch ein Vertreter der Turnerschaft hielt eine Rede, in der er vor allem das soziale Engagement und die sportlichen Leistungen des Herrn Lüdcke hervorhob und natürlich, was für ein fröhlicher und lebensbejahender Mensch er war.

Der Sarg war über und über mit Sonnenblumen geschmückt. Wir folgten ihm im Sonnenschein durch grüne Alleen zum Familiengrab. Die Erde, die ich ins Grab warf, glitzerte wie Goldstaub in der Sonne. Sonnig war ja auch sein Gemüt gewesen. Ich schickte eine weiße Rose hinterher, kondolierte seiner Tochter, lachte seinen Enkelkindern zu und umarmte seine Lebensgefährtin innig.

Liebe Grüße
Jenny
« Letzte Änderung: September 24, 2014, 00:24:52 von Seeräuber-Jenny »
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Carl Schurz

Seeräuber-Jenny

Re:Herr Lüdcke
« Antwort #5 am: November 16, 2014, 22:10:01 »
Es gab noch einige Nachrufe für Herrn Lüdcke:

http://www.buendnis-tierschutzpolitik-berlin.de/home/kompletter-artikel/article/wir-trauern-um-dr-luedcke.html?cHash=e4d06809ec49628ba7b66ae89f02dea9

http://www.stiftung-naturschutz.de/die-stiftung/team/nachruf-klaus-luedcke/

Und am meisten freut mich natürlich, dass der Tagesspiegel auf meine Anregung hin nun ebenfalls einen sehr persönlichen Nachruf verfasste:  :)

http://www.tagesspiegel.de/berlin/nachrufe/klaus-luedcke-geb-1938/10975930.html

Eine merkwürdige Begebenheit: Zwei Wochen nach der Beisetzung war ich mit zwei Tierschützerinnen am Grab. Vor uns waren bereits andere Besucher da gewesen: Ein Rudel Wildschweine! Den Spuren nach waren sie gezielt zum Grab gelaufen, wühlten um das Grab herum die ganz Erde auf, ließen aber das Grab unberührt und verließen dann den Friedhof wieder.  
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
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Carl Schurz

cyparis

Re:Herr Lüdcke
« Antwort #6 am: November 17, 2014, 00:44:09 »
Ebenso gespenstig wie schön!
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